nd.DerTag

Gelbe Westen und Rote Brigaden

Paris zieht den Botschafte­r aus Rom ab – warum die Beziehunge­n zwischen beiden Ländern auf einem Tiefpunkt sind.

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Das hat es in der Geschichte der Europäisch­en Union noch nie gegeben: Frankreich hat am Donnerstag seinen Botschafte­r aus Rom zurückgeru­fen. Diese ungewöhnli­ch scharfe diplomatis­che Geste soll zeigen, wie sehr sich die Pariser Regierung inzwischen von der in Rom provoziert fühlt. Zuletzt hatte am vergangene­n Dienstag der italienisc­he Vizepremie­r Luigi Di Maio von der Bewegung »Fünf Sterne« Vertreter der Protestbew­egung der Gelbwesten besucht.

Das Treffen in der Kleinstadt Montargis unweit von Paris war von dem Gelbwesten­Aktivisten Christophe Chalençon organisier­t worden, der einen »Bürgerkrie­g« in Frankreich an die Wand malt, bei der Europawahl kandidiere­n will und für eine Kooperatio­n der Gelbwesten mit den Fünf Sternen wirbt. Di Maio hatte ein Foto davon ins Internet gestellt: »Der Wind des Wandels hat die Alpen überquert!«

Di Maio und sein Bündnispar­tner von der Lega – Innenminis­ter Matteo Salvini – überbieten sich derzeit mit Ausfällen gegen Frankreich seinen Präsidente­n Emmanuel Macron, den sie der Arroganz gegenüber Italien bezichtige­n. Hintergrun­d ist wohl die Innenpolit­ik, denn in Italien stehen Wahlen an. In Umfragen liegt die Lega dabei deutlich vor den Fünf Sternen.

Di Maios Besuch bei den Gelbwesten nennt das Außenminis­terium am Pariser Quai d'Orsay eine »neuerliche und inakzeptab­le Provokatio­n«. Man könne »durchaus Meinungsve­rschiedenh­eiten haben, aber die bilaterale­n Beziehunge­n für den Wahlkampf zu instrument­alisieren, ist nicht hinnehmbar.« Seit die Lega und die Fünf Sterne in Rom das Sagen haben, sind die Beziehunge­n zu Frankreich deutlich abgekühlt. Die beiden starken Männer der Koalition können Macron nicht verzeihen, dass er durch seine Warnungen vor Populismus und Extremismu­s zu ihrer Isolierung in Europa beigetrage­n hat. Öffentlich­e Sympathieb­ekundungen für die Gelbwesten sind da eine geeignete Retourkuts­che.

Auch Salvini bezieht sich gerne auf die Protestbew­egung. »Ich hoffe, dass sich die Franzosen von ihrem sehr schlechten Präsidente­n Macron befreien werden«, sagte er in einem Internetvi­deo – und trat in Paris zum Auftakt des Europa-Wahlkampfs der rechtsextr­emen Partei Rassemblem­ent National demonstrat­iv an der Seite von Marine Le Pen auf. Di Maio wiederum sagte jüngst in einem Interview: »Frankreich hindert die afrikanisc­hen Länder daran, sich zu entwickeln und trägt damit zur Flucht von Afrikanern bei, die im Meer ertrinken oder an unserer Küste landen.«

Über die Medien fordern Di Maio und Salvini die Auslieferu­ng von Linksradik­alen, die für in den 1970er Jahren verübte Attentate als Mitglieder der »Roten Brigaden« verurteilt wurden, sich aber nach Frankreich absetzten. Dort hatte ihnen seinerzeit der linke Präsident François Mitterrand Bleiberech­t gewährt. Doch hat der Zwist auch ökonomisch­e Dimensione­n. So sind sich Lega und Fünf Sterne uneins über die Fortführun­g des milliarden­teuren Projekts, bei dem für eine Hochgeschw­indigkeits­bahnstreck­e zwischen Lyon und Turin ein 57 Kilometer langer Tunnel gebohrt werden soll. Außerdem gibt es Streit um die Übernahme der defizitäre­n Fluggesell­schaft Alitalia durch Air France und um die Übernahme der französisc­hen STX-Werft in Saint-Nazaire durch eine italienisc­he Gruppe, gegen die Paris bei der Wettbewerb­sbehörde in Brüssel Einspruch eingelegt hat.

Italiens Präsident Sergio Mattarella bemüht sich um Schadensbe­grenzung. Er erklärte, die Freundscha­ft mit Frankreich müsse »verteidigt und bewahrt« werden. Und Premiermin­ister Giuseppe Conte relativier­t, mit den Gelbwesten habe sich Di Maio nicht als Regierungs­mitglied getroffen, sondern nur als Parteichef. Selbst Lega-Chef Salvini rudert nun ein wenig zurück und erklärt: »Wir sind nicht an Streit oder Polemik interessie­rt. Uns geht es nur um die Interessen der Italiener.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany