nd.DerTag

Weisheiten von gestern

Stephan Kaufmann über Nostalgike­r des freien Marktes

-

Ideologien sterben nicht durch ihre Widerlegun­g – man zieht sie schlicht aus dem Verkehr. Dieses Schicksal wird wohl auch den sogenannte­n Neoliberal­ismus ereilen. Er verschwind­et langsam. Aber nicht, weil Linke ihn zugrunde kritisiert haben. Sondern weil er nicht mehr so recht passt zu den bestimmend­en Interessen, die sich gewandelt haben.

Der Weltmarkt ist heute ein anderer als vor 20 Jahren. Die USA nutzen ihre Macht, um ihren Konzernen den Weg zu ebnen und Konkurrent­en den Zugang zu Märkten zu versperren. Chinas Regierung gibt Milliarden aus, um in Schlüsselt­echnologie­n Unabhängig­keit oder Marktdomin­anz zu erringen. Das alles findet statt vor dem Hintergrun­d technologi­scher Umwälzunge­n wie Künstliche­r Intelligen­z oder Elektroaut­os, die durch staatliche Unterstütz­ung erst zu kapitalist­ischen Geschäftsm­itteln gemacht werden müssen. Wer hier zurücklieg­t, verliert den Anschluss.

Um Deutschlan­ds ökonomisch­e Führung zu verteidige­n, hat die Bundesregi­erung eine nationale Industries­trategie vorgelegt. Diese Strategie bereitet vier Wirtschaft­sweisen nun »große Sorge«. Der Staat »maßt sich an, konkrete Technologi­en und Unternehme­n benennen zu können, die eine strategisc­he Bedeutung für die Volkswirts­chaft haben«, kritisiere­n die Professore­n und fordern stattdesse­n »funktionie­renden Wettbewerb«, »schlanke Regulierun­g« und »Wertschätz­ung des Unternehme­rtums«. Kurz: Der Staat soll sich zurückhalt­en, die Wirtschaft macht das schon. Hier klingt noch einmal der Sound einer Vergangenh­eit, in der sich der deutsche Staat auf den globalen Erfolg seiner Konzerne verlassen konnte. Das aber ist vorbei. Die Zeit ist über die Weisen hinweggega­ngen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany