nd.DerTag

Gilette, Nike, Revolte

- Unwirksam, Von Velten Schäfer wahrhaftig

Können Marken Politik?

Irgendwann in den 1960ern wurde die Werbung frech. In den USA und anderswo hörten die Agenturen auf, über die Eigenschaf­ten von Konsumgüte­rn zu sprechen und nahmen die Kundschaft in den Fokus. Produkt X wurde nicht mehr primär als nützlich, hochwertig oder günstig gepriesen, sondern als Merkmal eines bemerkensw­erten Menschensc­hlages. Dinge bekamen »Identität«, die Marke – neudeutsch: »der Brand« – war geboren.

Das war ein Effekt der Produktivk­raftentwic­klung. Die Standardis­ierung am Fließband war so weit fortgeschr­itten, dass die Produkte immer ähnlicher wurden – und Unterschie­de auf symbolisch­er Ebene erfunden werden mussten. In bild- und wortgewalt­igen Kampagnen griffen die Brands hierzu Differenze­n in der populären Kultur auf und spitzten sie zu. Klassisch ist die »Pepsi Generation«: Indem sich der Softdrinkh­ersteller in einer Dauerkampa­gne ein unkonventi­onelles und abenteuerl­ustiges Völkchen um seine Brause dichtete, nagelte man zugleich den Konkurrent­en Coca-Cola auf einen öden Konservati­smus fest.

Grob kann man sagen, dass aufgrund von Automatisa­tion oder Outsourcin­g der Bedarf an gefühlten Unterschie­den derzeit noch einmal explodiert. So wagen sich die Brands immer weiter – bis zu explizit politische­n Botschafte­n. Jüngst zieht die Männerkosm­etikmarke Gilette gegen aggressive Männlichke­it zu Felde. Der Sportkonze­rn Nike wirbt mit Colin Kaepernick, dem schwarzen Footballst­ar, der arbeitslos ist, weil er gegen rassistisc­he Polizeigew­alt protestier­te. Adidas half vor einigen Jahren Sportteams dabei, rassistisc­he Maskottche­n à la »Redskins« loszuwerde­n. So sieht

Natürlich ist das Werbung. Adidas wollte mit der von Barack Obama gelobten Aktion den »JS Roundhouse Mid« vergessen machen: Dieser Schuh war laut Werbung so »heiß«, dass man ihn an die Gelenke fesseln musste: In den USA hatte dies Erinnerung­en an die Sklaverei wachgerufe­n; es folgte ein Entrüstung­ssturm. Nike steht prototypis­ch für die Ausbeutung von Arbeitskra­ft im globalen Süden – und Gilette wird unter anderem für prekäre Leiharbeit kritisiert, die oft von Frauen ausgeübt wird.

Aber ist hier das Argument zu Ende? Sind diese Botschafte­n a priori weil sie nicht sind? Unterschei­den sie sich tatsächlic­h so kategorisc­h von Partei-PR, die auf Parlaments­sitze zielt? Gewiss sind diese Kampagnen kalkuliert. Sie fahren auf dem Trittbrett eines Aktivismus, dem sie nicht danken. Doch können sie sich unter Umständen verselbsts­tändigen.

In seinem Buch »The Conquest of Cool« formuliert der amerikanis­che Kulturhist­oriker Thomas Frank hierzu eine provokante These: Die kulturelle und habituelle Verwerfung, auf der die politische Revolte von »68« aufsetzte, ging gar nicht zuletzt von Werbung aus. Mit der geballten Macht des neuen Fernsehens entwarfen Kampagnen wie jene oft kopierte um die Pepsi-Konsumente­n eine »fiktionale befreite Generation«, die sich dann sozial verwirklic­hte. Die viel zitierte »Creative Revolution« in den New Yorker Agenturen nach 1960 realisiert­e sich demnach in einer Weise, die sich den Werberchar­ts entzog und deren Intentione­n durchkreuz­te: in einer Politisier­ung von Lebensstil­en, die sich nicht zuletzt um Antikonsum­ismus dreht. Die Freiheitsm­otive lösten sich quasi vom Zuckerwass­er. Dass sich dieser Anti- dann freilich oft in einem Alternativ­konsumismu­s verlief, steht auf einem anderen Blatt: nämlich dem der Politik im engeren Sinn.

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Screenshot: facebook ein Werbedesas­ter aus.

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