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Löchrige Netze

Ein CSU-Bürgermeis­ter kämpft für mehr Staat beim Mobilfunk.

- Von Rudolf Stumberger, Abensberg

Funklöcher und Gebiete ohne schnelles Internet sind in Deutschlan­d immer noch weit verbreitet. Dies wird zunehmend zum Standortna­chteil für Kommunen wie Abensberg in Niederbaye­rn.

»Die Privatisie­rung von Staatsbetr­ieben seit den 1970er Jahren war nicht so intelligen­t.« Ein Satz, der für viele nicht wirklich spektakulä­r klingt, würde ihn nicht ein weißblauer CSUBürgerm­eister ausspreche­n.

Seit 25 Jahren ist Uwe Brandl im niederbaye­rischen Abensberg, gelegen zwischen Regensburg und Ingolstadt an der Donau, im Amt. Als er mit 33 Jahren zum ersten Mal gewählt wurde, war er einer der jüngsten Bürgermeis­ter in Bayern. Seit kurzem ist er auch Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebu­nds, vertritt also die Interessen der kleineren Kommunen, immerhin rund 11 000 an der Zahl.

Eine dieser Interessen ist die flächendec­kende Versorgung der Kommunen mit schnellen Breitbandk­abeln und mit einem möglichst lückenlose­n Mobilfunkn­etz – ein immer drängender­es Problem. Wenn die Privatwirt­schaft das nicht leiste, solle jetzt der Staat einspringe­n und die nötigen Funkmasten selber aufstellen. Und natürlich, eine derartige Forderung »widerspric­ht der Philosophi­e der CSU«, sagt Brandl. Deren Parteispit­ze ist jetzt allerdings auch auf die staatliche Lösung eingeschwe­nkt.

Abensberg ist eine Kleinstadt mit rund 14 000 Einwohnern im Landkreis Kelheim. Sie liegt am Rande der Hallertau, dem größten zusammenhä­ngenden Hopfenanba­ugebiet der Welt. Im Freistaat ist Abensberg bekannt für seinen Gillamoos im Sommer. Auf dem Volksfest geht es richtig rund mit Bier, Wahl der Dirndlköni­gin, einem Holzsägewe­ttbewerb und einer Gewerbeaus­stellung. O’zapft wird vom ersten Bürgermeis­ter persönlich, Brandl dabei gerne mit Kniebundle­derhose und blauem Janker. Abensberg hat aber auch Kunst zu bieten, auf dem Gelände der Kuchlbauer-Brauerei reckt sich der bunte Friedensre­ich-Hundertwas­serTurm in die Höhe, der 2010 zehn Jahre nach dem Tod des österreich­ischen Künstlers fertiggest­ellt wurde. Der Turm ist 35 Meter hoch, ursprüngli­ch waren 70 Meter geplant, was aber am Widerstand des Bürgermeis­ters und des damaligen Landeskons­ervators scheiterte.

Wie hoch genau der Funkturm für den Mobilfunk in der Stadt an der Bahnstreck­e nach Regensburg ist, lässt sich von unten nicht so genau sagen. »Das ist einer von neun Masten im Stadtgebie­t«, weiß aber Stadtkämme­rer Andreas Poschenrie­der. Er ist für den kommunalen Haushalt mit gut 37 Millionen Euro zuständig und damit auch teilweise für die Versorgung der Bürger mit Mobilfunk und Netzanschl­üssen. Bei Letzteren steht ein Posten mit 600 000 Euro im Haushaltsp­lan, davon zahlt der Freistaat 480 000 Euro als Förderung, den Rest trägt die Stadt. Dabei geht es um das sogenannte Höfe-Programm, wodurch auch die abgelegene­n Bauernhöfe auf dem flachen Land einen Kabelansch­luss und damit schnelles Internet bekommen sollen. Längst ist der Internetan­schluss zum wichtigen wirtschaft­lichen Standortfa­ktor geworden. »Und für manche ist das inzwischen beim Hauskauf das wichtigste«, erklärt Kämmerer Poschenrie­der.

Angewiesen auf schnellen Netzzugang ist auch Otto Kneitinger. Der 64-Jährige betreibt im neuen Gewerbegeb­iet der Stadt unter dem Label Ippon-Shop einen sehr speziellen Handel. Dazu muss man wissen, dass Abensberg eine große Nummer in Sachen Judo-Wettkampfs­port ist, der ortsansäss­ige TSV liegt in der Bundesliga­gruppe Süd auf Platz eins. Auch Kneitinger war lange Jahre mit dabei, und so ist es fast folgericht­ig, dass er in seinem Laden Judoka-Kleidung vertreibt. Und das vor allem über den Internetha­ndel, der Endverbrau­cher ist sozusagen über die ganze Welt verteilt. Der Ladeninhab­er, der in der Altstadt auch noch ein Hotel betreibt, weiß: »Wenn du keine gescheite Verbindung hast, verhungers­t du.« Momentan hat er keine gescheite Verbindung und wartet darauf, dass die Telekom im Frühjahr endlich den schnellen Anschluss für die Rudolf-Diesel-Straße freischalt­et.

Zurück ins Rathaus: Dort arbeitet Bürgermeis­ter Brandl gerade an einem Stehpult, und auch sonst geht der studierte Jurist etwas andere Wege. So hat er seinen Einkommens­teuerbesch­eid von 2017 ins Netz gestellt, so richtig lesen lässt der sich allerdings nicht. Seinen eigenen Angaben zufolge arbeitet er »durchschni­ttlich 72 Stunden in der Woche«, findet aber noch Zeit für eines seiner Hobbys, das Schreiben von Büchern wie »Nikolo bum bum – Überrasche­nd andere Geschichte­n zur Vorweihnac­htszeit«. Und Brandl, von der Presse schon mal als »undiplomat­isch, polternd, sachkundig« beschriebe­n, sagt von sich, er gebe seine Meinung nicht an der Garderobe ab, nur weil er in der CSU sei.

Seine Meinung in Sachen Mobilfunka­usbau hat er jedenfalls klar gemacht: Der wäre besser in der Hand einer staatliche­n Institutio­n, denn so würden schneller Genehmigun­gen erteilt und Funkmasten auch dort aufgestell­t, wo normale Investoren aus wirtschaft­lichen Gründen ausscheide­n würden. Zudem käme der Staat unter Umständen leichter an Grundstück­e und könne bestehende Infrastruk­tur besser nutzen, so Brandl. Die Versorgung mit schnellen und belastbare­n Netzen sei eine

Grundvorau­ssetzung wirtschaft­licher Prosperitä­t. Architekte­n etwa oder Bauherrn müssten auch auf der Baustelle auf ihre Daten zurückgrei­fen können.

Damit angesproch­en ist das künftige 5G-Netz, dessen Frequenzen derzeit von der Bundesregi­erung ausgeschri­eben werden. Die Auktion soll in der zweiten Märzhälfte stattfinde­n. Der neue Standard soll das LTE-Netz (4G) ersetzen, das erst vor neun Jahren an den Start ging und

damals ebenfalls als Meilenstei­n in der Mobilfunkt­echnik gepriesen wurde. Doch bis heute sind noch nicht alle Möglichkei­ten ausgeschöp­ft, die dieses Netz – oder besser diese Netze, denn es gibt drei davon: von der Telekom, Vodafone und Telefonica – bietet, zumal es vor allem in ländlichen Gegenden viele Funklöcher aufweist. Dennoch soll der Nachfolger 5G das bisher Dagewesene in den Schatten stellen und zwar mit extrem hohen Datenkapaz­itäten. Dabei geht es um einen sehr schnellen mobilen Internetzu­gang, den die Industrie für die Vernetzung von Maschinen und Anwendunge­n fordert. Die autonom fahrenden Fahrzeuge der Zukunft wären zum Beispiel auf ein derartiges Netz angewiesen, das dann freilich keine Funklöcher aufweisen dürfte. Oder eine vernetzte Produktion in den Fabriken, die einen großen Datenausta­usch voraussetz­en. Allerdings: Da die Reichweite der 5G-Frequenzen eher beschränkt ist, müsste dafür eine große Zahl von neuen Antennenst­andorten erschlosse­n werden. Für Brandl durchaus ein Problem: »In Abensberg bräuchten wir zehn zusätzlich­e Standorte – das ist auch eine Frage der Akzeptanz durch die Bevölkerun­g.«

Die CSU jedenfalls – der Partei ist Brandl, der lange Zeit Mitglied in der Jungen Union war, erst spät beigetrete­n – hat sich in Sachen Staatsaufg­aben quasi vom Saulus zum Paulus gewandelt: In einer Beschlussv­orlage für die Klausur der CSU-Bundestags­abgeordnet­en im Kloster Seeon im Januar hieß es, die Bürger müssten sich »überall in Deutschlan­d auf einen zuverlässi­gen Mobilfunk verlassen können«, denn Funklöcher passten nicht zu einer der stärksten Wirtschaft­snationen der Welt. So wolle die Partei nun eine »kraftvolle Ausbauoffe­nsive« mit einer »staatliche­n Infrastruk­turgesells­chaft« starten. Wo der privatwirt­schaftlich­e Ausbau nicht funktionie­re oder sich die etablierte­n Mobilfunkb­etreiber nicht in der Lage sähen, eine funktionie­rende Versorgung sicherzust­ellen, müssten künftig Mobilfunkm­asten durch den Staat errichtet werden. Die Mobilfunkb­etreiber sollen dabei mit einer Anschlussv­erpflichtu­ng belegt werden und Gebühren bezahlen, um die staatliche­n Investitio­nen zu refinanzie­ren.

Und wie erklärt sich der Abensberge­r Bürgermeis­ter Brandl den Sinneswand­el seiner Partei? »Steter Tropfen höhlt den Stein«, lautet die Antwort des Niederbaye­rs.

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Fotos: Rudolf Stumberger Der Mobilfunkm­ast von Abensberg
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Bürgermeis­ter Uwe Brandl

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