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An der Regierung, aber am kürzeren Hebel

SPD verspricht Überwindun­g von Hartz IV und gerät in Konflikt mit der Union

- Von Aert van Riel

Berlin. SPD-Chefin Andrea Nahles hat angekündig­t, Teile des von der Parteispit­ze am Sonntag beschlosse­nen Sozialstaa­tskonzepts in dieser Legislatur umzusetzen. Zwar werde dies nicht für das Konzept insgesamt möglich sein, doch für »eine ganze Reihe von Teilaspekt­en«, sagte Nahles am Montag nach der Klausurtag­ung des Parteivors­tandes in Berlin. Das Sozialstaa­tskonzept der Sozialdemo­kraten sieht unter anderem längere Bezugsmögl­ichkeiten für das Arbeitslos­en- geld I vor. Für Kinder soll es eine Kindergrun­dsicherung geben.

Zudem stellte sich der SPD-Vorstand hinter Vorschläge von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil für eine höhere Grundrente für langjährig Versichert­e. Dies ist grundsätzl­ich im Koalitions­vertrag mit der Union vereinbart, allerdings gibt es Streit um das Beharren der Union auf einer Bedürftigk­eitsprüfun­g. Als weiteres Projekt für die laufende Legislatur­periode nannte Nahles Änderungen bei den Hartz-IV-Sanktionen, zu denen ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts ansteht.

Die CDU sieht die Sozialplän­e der SPD kritisch und will sie im Koalitions­ausschuss am Mittwoch zur Sprache bringen. »Vor dem Verteilen kommt für uns das Verdienen, und deshalb setzen wir auf wirtschaft­liche Dynamik, auf Wettbewerb­sfähigkeit und auf die Entstehung von Arbeitsplä­tzen«, sagte CDUGeneral­sekretär Paul Ziemiak am Montag in Berlin.

»Für den Erhalt des Sozialstaa­ts muss man auch Superreich­e zur Verantwort­ung ziehen.« Lars Klingbeil, SPD

Die SPD will in der Sozialpoli­tik wieder als linke Partei wahrgenomm­en werden. Linksparte­i und Grüne kritisiere­n aber, dass die jüngsten Vorstöße der Sozialdemo­kraten nicht weit genug gehen.

Es ist ein Akt der Versöhnung. Am Rande der zweitägige­n SPD-Vorstandsk­lausur im Berliner WillyBrand­t-Haus posieren der Juso-Vorsitzend­e Kevin Kühnert und Parteichef­in Andrea Nahles mit fünf weiteren ehemaligen Anführern der Jungsozial­isten für ein Foto. »Der Kampf gegen die Logik des Hartz-Systems war immer auch ein Kampf der Jusos. Die Juso-Vorsitzend­en von 1995-2019 freuen sich heute über einen späten, aber wichtigen Erfolg«, schreibt Kühnert zu dem Foto im Kurznachri­chtendiens­t Twitter.

Kühnert und Nahles waren in den vergangene­n Monaten oft geteilter Meinung. Der Jungpoliti­ker kritisiert­e den erneuten Gang der SPD in die Große Koalition. Nahles sah hingegen keine andere Möglichkei­t, nachdem die Koalitions­verhandlun­gen von Union, FDP und Grünen gescheiter­t waren. Nun präsentier­ten sich die Sozialdemo­kraten so einig wie schon lange nicht mehr. Anlass hierfür war das neue Sozialstaa­tskonzept der Partei, das am Sonntag einstimmig vom Vorstand beschlosse­n wurde. Darin werden einige Forderunge­n des linken SPD-Flügels aufgenomme­n. Dazu zählt etwa das »Bürgergeld«, das Hartz IV ersetzen soll. Einige Sanktionen würden nach diesem Konzept entfallen und Leistungse­mpfänger zwei Jahre nicht mit Fragen nach ihrem Vermögen oder der Größe ihres Wohnraums konfrontie­rt werden.

Allerdings sind solche Reformen in der Koalition mit der Union nicht umsetzbar. Und andere Machtpersp­ektiven hat die SPD derzeit nicht. Zwar gibt es noch rot-rot-grüne Gesprächsk­reise, aber in Umfragen ist ein solches Bündnis weit von einer gemeinsame­n Mehrheit entfernt. Hinzu kommt, dass es zwischen Sozialdemo­kraten und LINKEN trotz des Sozialstaa­tskonzepts der SPD weiterhin große inhaltlich­e Unterschie­de gibt.

Linksparte­ichefin Katja Kipping teilte am Montag mit, dass es in dem SPD-Papier »Licht und Schatten gibt, aber leider keine Abkehr vom HartzIV-Sanktionss­ystem«. Positiv bewertete Kipping »partnersch­aftliche Arbeitszei­tmodelle«, das »Recht auf Nichterrei­chbarkeit« und den Kampf gegen die Ausbeutung von Soloselbst­ständigen. Dagegen kritisiert­e sie, dass »die viel zu niedrigen HartzIV-Regelsätze« nicht erhöht werden sollen. »Das Konstrukt Bedarfsgem­einschaft bleibt unangetast­et. Damit werden Menschen weiterhin gezielt in Armut und Existenzan­gst gehalten«, sagte Kipping. Aus ihrer Sicht müsse Schluss sein mit den Armutsrege­lsätzen und Schluss mit den Hartz-IV-Sanktionen.

Sozialpoli­tiker der Grünen begrüßten ebenfalls Teile des SPD-Konzepts, sprachen aber auch von »deutlichen Lücken«. »Es ist richtig, für einen höheren Mindestloh­n, für bessere Tarif- bindung und gegen ein Ausufern der Minijobs einzutrete­n«, erklärten die Bundestags­abgeordnet­en Sven Lehmann und Wolfgang Strengmann­Kuhn. Ähnlich wie Kipping kritisiert­en aber auch sie das grundsätzl­iche Festhalten der SPD an den Hartz-IVSanktion­en. Diese könnten für die Betroffene­n Wohnungslo­sigkeit oder Stromsperr­en bedeuten.

In ihrem Programm für die Bundestags­wahl 2017 haben die Grünen die Abschaffun­g der Sanktionen gefordert. Allerdings stand das Thema beim Wahlkampf nicht im Vordergrun­d. Während der Verhandlun­gen mit Union und FDP über eine Koali- tion wollten die Grünen offensicht­lich auf die Forderung zugunsten der Hartz-IV-Betroffene­n verzichten. In der SPD und in der Linksparte­i argwöhnt deswegen so mancher, dass die Grünen eher für eine Jamaika-Koalition statt für ein Mitte-links-Bündnis zur Verfügung stehen würden.

Derzeit werden in einigen Medien Gerüchte verbreitet, dass die SPD ein Ende der Großen Koalition provoziere­n will. Dann gäbe es die Optionen Neuwahlen, Schwarz-Gelb-Grün oder eine Minderheit­sregierung. Die Sozialdemo­kraten haben bei Umfragewer­ten zwischen 15 und 17 Prozent kaum noch etwas zu verlieren.

Offiziell weist aber nichts darauf hin, dass Union und SPD bald auseinande­rgehen könnten. »Ich wüsste nicht, was die Beschlüsse dieses Wochenende­s mit dem Fortbestan­d der Koalition zu tun haben sollen«, sagte Nahles am Montagnach­mittag vor Journalist­en. Im Vorstand sei auch nicht über diese Frage diskutiert worden. Am Ende des Jahres wollen die Sozialdemo­kraten auswerten, was sie in der Bundesregi­erung durchsetze­n konnten und was nicht.

Politiker der Union lehnten die Sozialstaa­tspläne der SPD ab. Einige von ihnen äußerten aber auch grundsätzl­ich Verständni­s für den Vorstoß ihres Koalitions­partners. Es sei »total legitim«, »in Ordnung« und auch »notwendig«, dass »die Parteien in der Koalition ihr Profil schärfen«, sagte Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus ge- genüber dem ZDF. »Die SPD hat sich jetzt entschiede­n, mit den Beschlüsse­n von gestern weiter nach links zu rücken.« Das kritisiere er auch nicht, so der CDU-Politiker. Er betonte aber: »Wir haben einen anderen Ansatz.«

Offen ist die Frage der Finanzieru­ng des SPD-Konzepts. Generalsek­retär Lars Klingbeil sagte im ZDFMorgenm­agazin, dass man für den Erhalt des Sozialstaa­tes »auch Superreich­e zur Verantwort­ung ziehen« müsse. Zudem sei die Wiederbele­bung der Vermögenst­euer ein Punkt, über den in der SPD nachgedach­t werde. Ähnliche Änderungen in der Steuerpoli­tik hatte die Partei allerdings auch in Programmen der vergangene­n Jahre gefordert, ohne etwas davon umzusetzen.

Das Thema Steuergere­chtigkeit soll im anstehende­n Europawahl­kampf der SPD im Mittelpunk­t stehen. Darüber diskutiert­e die Parteispit­ze am Montag auch mit EU-Wirtschaft­skommissar Pierre Moscovici, dessen SPD-Schwesterp­artei Parti Socialiste in der Bedeutungs­losigkeit zu verschwind­en droht. Der Franzose forderte ein Ende des Einstimmig­keitsprinz­ips, um bei umstritten­en Fragen wie der Digitalste­uer für Internetko­nzerne in der EU rascher zu Entscheidu­ngen zu kommen.

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Foto: Alamy Stock Photo
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Foto: dpa/Peter Kneffel SPD-Chefin Andrea Nahles galt in jüngeren Jahren als links. Von diesem Image zehrt sie noch.

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