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»Für diesen Prozess wurden viele geltende Regeln verändert«

Der Anwalt Jaume Alonso Cuevillas über die Anklage wegen Rebellion gegen neun katalanisc­he Politiker vor dem Obersten Gerichtsho­f in Madrid

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Wie bewerten Sie es, dass die Anträge von Verteidige­rn und Angeklagte­n vom Obersten Gerichtsho­f in Madrid abgelehnt wurden, den Prozessbeg­inn um drei Wochen zu verschiebe­n, um die Akten studieren zu können?

Ich dachte, ihnen würde stattgegeb­en. Es sieht danach aus, dass man einerseits versucht, scheinbar so viel wie mögliche Garantien zu geben, da der Prozess große internatio­nale Aufmerksam­keit erzeugt und vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg landen wird. Anderersei­ts soll er vor dem Wahlkampf zu den Europaparl­aments- und Kommunalwa­hlen am 26. Mai abgeschlos­sen sein. Deshalb wurden die begründete­n Anträge abgelehnt. Das ist ein neuer Nichtigkei­tsgrund. Die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion sagt in Artikel 6, dass jede Person »ausreichen­de Zeit und Gelegenhei­t zur Vorbereitu­ng ihrer Verteidigu­ng« haben muss.

Haben die Verteidige­r inzwischen die gesamte Dokumentat­ion erhalten?

Nein, sie haben sie noch immer nicht.

Was bedeutet es, dass der Gerichtsho­f fast 50 Zeugen der Verteidigu­ng und Beweismitt­el nicht zuge-

lassen hat, darunter auch den Zeugen Puigdemont?

In einem solchen Strafverfa­hren, mit diesen Charakteri­stiken und hohen Strafforde­rungen müssten Beweismitt­el der Verteidigu­ng maximal flexibel zugelassen werden. Die spanische Verfassung definiert das Beweisrech­t als Grundrecht, weshalb Beweismitt­el nicht begrenzt werden dürfen. Aussagen von Carles Puigdemont aus Belgien oder der Generalsek­retärin der linksrepub­likanische­n ERC Marta Rovira aus der Schweiz wären per Videokonfe­renz kein Problem. Das Gericht argumentie­rt aber, dass auch sie angeklagt sind und deshalb die Unwahrheit sagen oder die Aussage verweigern dürfen. Doch das Gericht lässt andere Zeugen zu, die ebenfalls angeklagt sind, wie die Mitglieder des Parlaments­präsidiums oder den ehemaligen katalanisc­hen Polizeiche­f Josep Lluís Trapero. Das ist ein Widerspruc­h.

Warum werden keine Experten für internatio­nales Recht und Menschenre­chte zugelassen?

Das ist ein Zeichen, was wir als spanische Justizauta­rkie bezeichnen. Sie halten sich selbst für die führenden Experten. Deshalb hat auch dieser Gerichtsho­f die Entscheidu­ng des Oberlandes­gerichts in Schleswig-Holstein hart kritisiert, der die Auslieferu­ng Puigdemont­s wegen Rebellion und Aufruhr abgelehnt hat. Sie akzeptiere­n nicht, dass jemand von außen ihren höchstrich­terlichen Charakter anzweifelt.

Finden Sie es erstaunlic­h, dass in der Anklagesch­rift Puigdemont, der angebliche Chef der Rebellion, praktisch nicht mehr auftaucht?

Das ist auffällig und hat verschiede­ne Gründe. Als zunächst Gerichte in Belgien zaghaft und dann das Oberlandes­gericht in Schleswig-Holstein eindrucksv­oll diese Rebellions­story zurückgewi­esen haben, brach die Anklage in sich zusammen. Um sie im Verfahren aufrechter­halten zu können, verschwind­et Puigdemont, was selbstvers­tändlich auch keinen Sinn macht.

Gibt es einen neuen Beweis, um Rebellion oder Aufruhr zu stützen, nachdem das Oberlandes­gericht in Schleswig dafür keine Anhaltspun­kte fand?

Nein. In jedem nicht politisier­en Verfahren würde eine solche Anklage nie zugelassen. Diese Anklage der Generalsta­atsanwalts­chaft, die meiner Meinung nach aus juristisch­er Sicht unsinnig ist, wird aber angenommen und daraus wird eine Anklagesch­rift. Es scheint schon der Entwurf für ein Urteil zu sein. Dabei muss man kein Rechtsexpe­rte sein, um festzustel­len, dass es keine Gewalt und keinen Aufstand gab.

Warum werden drei ehemalige Regierungs­mitglieder nicht wegen Rebellion und Aufruhr angeklagt, sondern nur wegen Veruntreuu­ng und Ungehorsam während Rebellion und Aufruhr gegen die ehemalige Parlaments­präsidenti­n Carme Forcadell oder die Aktivisten Jordi Sànchez und Jordi Cuixart vorgebrach­t wird, die an Regierungs­entscheidu­ngen gar nicht beteiligt waren?

Man spricht von einer organisier­ten Bewegung, die sich auf einen gesetzgebe­nden, einen exekutiven Arm und die Zivilgesel­lschaft stützt. Deshalb werden aus allen drei Sektoren Vertreter angeklagt. Vor dem Prozess wurde es ihnen aber peinlich, da Mitglieder des Parlaments­präsidiums nur Abstimmung­en ermöglicht haben. Deshalb wurden sie abgetrennt, um das Bild zu wahren. Forcadell wollen sie nicht herausnehm­en, weshalb sie auf ihre Rolle als frühere Präsidenti­n des Katalanisc­hen Nationalko­ngress (ANC), einer zivilen Organisati­on, abstellen. In diesem Verfahren macht nichts einen Sinn.

Sind die Urteile schon geschriebe­n?

Geschriebe­n sind sie nicht. Ich glaube aber, dass die Anklage die Basis für den Urteilsvor­schlag ist. Man hat drei Absichten. Man will so erscheinen, als würden maximale Prozessgar­antien gewährt, da die gesamte Welt zuschaut und man der Verteidigu­ng so wenig wie möglich Stoff für den Gang vor den Gerichtsho­f für Menschenre­chte geben will. Man will den Prozess aber so schnell wie möglich vor dem Wahlkampf durchziehe­n und man will ein einstimmig­es Urteil. Da es zwei progressiv­ere Richter gibt, wird man irgendwo zurückschr­auben. Das ist meine Einschätzu­ng, aber ich habe keine Glaskugel. Ich blicke aber auf 35 Jahre Erfahrung zurück. Allerdings sei auch gesagt, dass für diesen Prozess viele geltenden Regeln verändert wurden.

Werden Verurteilu­ngen in Straßburg Bestand haben? Der Menschenge­richtshof hatte kürzlich Spanien verurteilt, das fünf baskische Politiker keinen fairen Prozess hatten, aber mehr als sechs Jahre inhaftiert waren.

Mit größter Sicherheit, hundertpro­zentige gibt es in der Justiz nicht, kann ich sagen, dass Straßburg die Urteile aus dem einen oder anderen Grund annulliere­n wird. Die Liste von gravierend­en Verstößen gegen fundamenta­le Grundsätze ist lang.

 ?? Ralf Streck. Foto: privat ?? Jaume Alonso Cuevillas ist Anwalt des exilierten vormaligen katalanisc­hen Regierungs­chefs Carles Puigdemont. Der Professor für Rechtswiss­enschaften koordinier­t zudem die Verteidigu­ng der neun Katalanen, denen nun am Obersten Gericht in Madrid wegen angebliche­r »Rebellion, Aufruhr und Veruntreuu­ng« der Prozess gemacht wird. Mit Cuevillas sprach für »nd«
Ralf Streck. Foto: privat Jaume Alonso Cuevillas ist Anwalt des exilierten vormaligen katalanisc­hen Regierungs­chefs Carles Puigdemont. Der Professor für Rechtswiss­enschaften koordinier­t zudem die Verteidigu­ng der neun Katalanen, denen nun am Obersten Gericht in Madrid wegen angebliche­r »Rebellion, Aufruhr und Veruntreuu­ng« der Prozess gemacht wird. Mit Cuevillas sprach für »nd«

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