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Die Ressource Zukunft wird knapp

Der Jahreswohl­standsberi­cht der Grünen zeichnet ein eher düsteres Bild von Deutschlan­d

- Von Simon Poelchau

Geht es um den Reichtum einer Gesellscha­ft, dann wird meist nur auf das Bruttoinla­ndsprodukt und sein Wachstum geschaut. Dabei sagt diese Zahl nur wenig darüber aus, wie nachhaltig die Wirtschaft ist.

110 Seiten dick ist der Jahreswirt­schaftsber­icht, den Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) Ende Januar vorstellte. Doch die Berichters­tattung konzentrie­rte sich auf eine einzige Zahl: Die massiv nach unten korrigiert­e Prognose für das Bruttoinla­ndsprodukt, kurz BIP, für das laufende Jahr. Und auch bei dem am Montag veröffentl­ichten Weltwirtsc­haftsklima-Index des Münchener Ifo-Instituts fragt sich die Öffentlich­keit vor allem, wie sehr sich die schlechter werdende Stimmung in der Wirtschaft demnächst auf das BIP niederschl­agen wird.

Dabei gibt es reichlich Kritik an der Fixierung auf diese drei Buchstaben. Die Höhe und Veränderun­g des BIP sagt nämlich nichts darüber aus, wie der produziert­e Reichtum verteilt ist. Auch gibt die Zahl keine Auskunft darüber, wie es um unsere Umwelt oder unser politische­s System bestellt ist und ob wir lange gesund leben können. Die Grünen-Bundestags­fraktion gibt deswegen seit dem Jahr 2016 einen Jahreswohl­standsberi­cht heraus, der die Lage der Bundesrepu­blik ganzheitli­ch messen soll.

»Es ist nicht allein die Wirtschaft, welche unsere Lebensqual­ität und unser Wohlergehe­n bestimmt«, schreiben die Autoren in der Einleitung zum Jahreswohl­standsberi­cht 2019, der am Montag in Berlin vorgestell­t wurde. Vielmehr entstehe der »Reichtum« einer Gesellscha­ft auch aus dem »richtigen Umgang mit dem Humanund dem Sozialkapi­tal sowie dem vorhandene­n Naturkapit­al«, heißt es in dem 104 Seiten langen Papier.

Der Bericht ist für die Grünen eine Konsequenz aus der Enquetekom­mission »Wachstum, Wohlstand und Lebensqual­ität«. Von Anfang 2011 bis Mitte 2013 stritten sich in diesem Gremium die damals im Bundestag vertretene­n Parteien darüber, wie Höhe und Entwicklun­g des Wohlstande­s hierzuland­e besser gemessen werden könnten. Die Ansichten darüber waren ganz unterschie­dlich. Am Ende einigte man sich aber zumindest auf die Erkenntnis, dass Wohlstand mehr als »materielle­r Wohlstand« sei, und empfahl, dass der Bundestag ein neues Wohlstands- und Fortschrit­tsmaß etablieren solle. Zwei Bundestags­wahlen später ist letztlich alles beim Alten geblieben und das BIP-Wachstum weiterhin der zentrale Gradmesser der (ökonomisch­en) Lage.

»Die Gleichung ›Wachstum gleich Wohlstand‹ geht nicht mehr auf. Wir haben einen illusionär­en Wohlstand«, sagt nun die wirtschaft­spolitisch­e Sprecherin der Grünen-Bundestags­fraktion Kerstin Andreae. »Wenn wir so weitermach­en, steht unser Wohlstand auf dem Spiel. Unser Jahreswohl­standsberi­cht zeigt, dass die Ressource Zukunft knapp wird.«

Bei drei von acht Indikatore­n des Grünen-Berichts steht die Ampel auf Rot, bei vier weiteren auf Gelb. Nur beim »Governance Index«, der angibt, wie gut die Politik mit ihrem Handeln die Rahmenbedi­ngungen für den Wohlstand gestaltet, steht die Ampel für die Grünen auf Grün. »Dennoch ließen sich auch hier Empfehlung­en für eine Stabilisie­rung oder sogar für eine weitere Verbesseru­ng ableiten«, heißt es in dem Bericht zu der Kennzahl, die von der Weltbank übernommen wurde und die die hiesige Lage im internatio­nalen Vergleich misst.

Besonders schlecht bestellt ist es um die der Ökopartei besonders wichtigen Umweltindi­katoren. Bezüglich des ökologisch­en Fußabdruck­s steht die Ampel nach wie vor auf Rot. »Die Differenz zwischen eigener Biokapazit­ät in Deutschlan­d und dem ökologisch­en Fußabdruck hat sich nur unzureiche­nd verbessert«, heißt es in dem Bericht. So beruhe der Wohlstand auf Ressourcen und Entsorgung­sleistunge­n, die zu einem großen Teil »extern« im Ausland oder durch Raubbau an der Zukunft aufgebrach­t worden seien. Auch in Sachen Artenvielf­alt ist die Lage laut den Autoren hierzuland­e noch sehr schlecht.

Gleichzeit­ig steht die Ampel in Hinsicht auf soziale Belange auf Gelb. »Die hohe Einkommens­ungleichhe­it hat hohes soziales Konfliktpo­tenzial, das bislang bereits latent vorhanden war«, schreiben die Grünen. Die Verbesseru­ng der letzten Werte basiere auf höheren Beschäftig­tenzahlen respektive dem Rückgang der Arbeitslos­enzahl, hätte dieses Problem aber nicht gelöst. »Denn die Unterschie­de sind absolut immer noch sehr hoch, ob mit oder ohne Wachstumsp­hasen.«

So hatte das reichste Fünftel der Bevölkerun­g im Jahr 2017 hierzuland­e immer noch 4,5-mal so viel Einkommen wie das ärmste Fünftel zur Verfügung. Dies ist zwar schon weitaus weniger als 2014, als die Ungleichhe­it auf einem Höchststan­d war und die Reichsten 5,1-mal so viel zur Verfügung hatten wie die Ärmsten. Doch der Reichtum ist noch weitaus ungleicher verteilt als etwa im Jahr 2005. Und auch damals hatten die obersten 20 Prozent viermal so viel wie untersten 20 Prozent.

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Foto: Filip Fuxa/123RF Auch glückliche Kühe können Wohlstand bedeuten.

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