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Zaunechsen und Kastration­sangst

Mit dem Schutz des werdenden Lebens kann man gar nicht früh genug beginnen, meint Andreas Koristka

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Der »Welt«-Chefredakt­eur Ulf Poschardt ist einer der angesehens­ten Trolle auf Twitter. Kürzlich gab er auf besagter Online-Plattform bekannt, dass er es bemerkensw­ert findet, »wie kaltherzig exakt jene Milieus in der Abtreibung­sdebatte über ungeborene­s Leben richten, die sonst beim Schutz für brütenden [sic] Zaunechsen [sic] und 16jährige [sic] Schulschwä­nzerInnen vor Sentimenta­lität fast zerfließen«. Das so zu finden ist natürlich sein gutes Recht. Genauso, wie es vielleicht andere Leute verwunderl­ich finden, dass sich plötzlich Leute, allen voran Ulf Poschardt, zu warmherzig­en Fürspreche­rn menschlich­en Lebens aufschwing­en, die sich ansonsten dafür einsetzen, dass man auf deutschen Autobahnen mit seinem Sportwagen und Tempo 260 auf einen am Stauende befindlich­en voll besetzten Kleinwagen auffahren kann.

Trotzdem ist es immer schön zu sehen, wenn sich die größten Denker unserer Zeit in die wichtige Abtreibung­sdebatte einmischen, in der sich ja bekanntlic­h alles darum dreht, wann genau das neue menschlich­e Leben beginnt. Als Mann könnte man diese schwierige Diskussion zwar der Damenwelt überlassen, aber damit würde man das zarte Geschlecht ganz unritterli­ch dem Denken eigener Gedanken aussetzen. Und das macht Falten.

Es bleibt also festzuhalt­en: Die Geburt kann aus nachvollzi­ehbaren Gründen nicht die Geburtsstu­nde eines Menschen sein. Ist einfach so. (Wer es nicht glaubt, kann ja bei Poschardt nachfragen.) Gemeinhin geht man davon aus, dass der neue Hominide dann entsteht, wenn Samen- und Eizelle miteinande­r verschmelz­en. Aber ist das überhaupt korrekt? Wer schon einmal die

Möglichkei­t hatte, fröhlich vor sich hinschwimm­ende Spermien unter einem Mikroskop zu betrachten, wird daran erhebliche Zweifel haben. Ei- und Samenzelle sind lange vor der Entstehung eines Fötus lebendig – sind also Leben und gehören zur wunderbare­n Schöpfung wie Schimmel auf dem Hüttenkäse, Fadenwürme­r im Po-Loch und Chefredakt­eure im Porsche 911. Nicht umsonst warnt man davor, dass männliches Ejakulat im Schwimmbec­ken erst nach einer halben Minute stirbt, unter dem Klodeckel sogar erst nach drei Jahren! Wie sollte es sterben, wenn es vorher nicht lebte?

Aber wann genau entsteht dann nun der neue Mensch? Nun, wir wissen es nicht genau. Allerdings gibt es Anhaltspun­kte. Vielleicht entsteht menschlich­es Leben beim ersten scheuen Kuss oder beim Aufhalten einer Tür oder wenn man eine Frau 40 Minuten lang in der Regionalba­hn anstarrt und sich dabei im Schritt kratzt. Auch wer sich die Haare kämmt und eine Schachtel Pralinen kauft, um die Nachbarin zu betören, die sich am Fenster immer extra so umzieht, dass man sie dabei problemlos vom Dach aus mit dem Nachtsicht­gerät beobachten kann, ist wahrschein­lich auf einem guten Weg, eine eigene Familie zu gründen. Es sind dies magische Momente des Beginns.

Ist es also eigentlich korrekt, nur Abtreibung­en zu reglementi­eren? Wäre es nicht viel effektiver, alles zu verbieten, was die Entstehung menschlich­en Lebens zu diesem frühen, sehr fragilen Zeitpunkt zunichte machen könnte? Gemeint sind hier Dinge wie Reizgas, Brillen und Mobiltelef­one, die technisch in der Lage sind, die 110 anzurufen. Auch Produkte, die das zarte Selbstvert­rauen von Vätern angreifen können und sie in der Folge unfruchtba­r werden lassen, sollten dazu zählen – insbesonde­re Garderoben­spiegel, nichtalkoh­olische Biere und Bücher von Margarete Stokowski.

Wer hier nicht einschreit­et, versündigt sich am Leben und am zarten Selbstvert­rauen der Männerwelt. Er trägt letztlich Mitschuld an gesellscha­ftlichen Problemen wie psychisch bedingtem Männerschn­upfen, Kastration­sangst und der Entfremdun­g von unserem Heiland Jesus Christus. Er hat das moralische Recht verloren, jemals auch nur eine einzige Zaunechse zu beweinen.

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Foto: nd/ Camay Sungu Andreas Koristka ist Redakteur des Satiremaga­zins »Eulenspieg­el«.

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