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Strukturwa­ndel von unten

Fonds zur Stärkung der Zivilgesel­lschaft soll den Kohleausst­ieg in der Lausitz begleiten

- Von Andreas Fritsche

»Der Strukturwa­ndel wird dann gelingen, wenn wir die Menschen stärken, die sich kümmern.«

Die Kirche und der Verein Lausitzer Perspektiv­en schlagen vor, zehn Prozent der Fördermitt­el für Bürgerproj­ekte zu reserviere­n.

In der Lausitz ist so mancher wegen der Braunkohle gestorben. »Aber das steht in keinem Totenschei­n«, sagt Pfarrer Burkhard Behr. Da wird als Todesursac­he beispielsw­eise ein Herzinfark­t eingetrage­n. Der Betroffene war nicht mehr der Jüngste und hat die Aufregung nicht vertragen: Bleibt das Dorf stehen oder muss es einem Tagebau weichen? Ähnlich verheerend konnte sich die Angst um den Arbeitspla­tz in einem der Tagebaue oder Kraftwerke auswirken.

Schon vor zehn Jahren forderte die evangelisc­he Landeskirc­he den Einstieg in den Kohleausst­ieg, erinnert Pfarrer Behr. Damals seien Christen aus der Kirche ausgetrete­n, weil sie meinten, diese trete nur noch für den Umweltschu­tz ein und kümmere sich dabei nicht um die Menschen. Doch Behr denkt an die Menschen. Von ihren Sorgen hat er erzählt, als er vor der Kohlekommi­ssion sprechen durfte. Inzwischen hat die Kommission den Kohleausst­ieg bis spätestens 2038 empfohlen. Sie hat gleichzeit­ig angeregt, dass 40 Milliarden Euro Fördermitt­el für den Strukturwa­ndel fließen, davon 17 Milliarden Euro in die Lausitz. Im Bericht der Kommission ist an einer Stelle davon die Rede, dass die Zivilgesel­lschaft etwas von dem Geld abbekommen soll.

Hier setzen die evangelisc­he Kirche und der Verein Lausitzer Perspektiv­en an. Sie schlagen vor, einen »Fonds Zivilgesel­lschaft Lausitz« zu bilden. Zehn Prozent der Strukturmi­ttel sollen in den Fonds eingezahlt und an Vereine, Bürgerproj­ekte und gemeinnütz­ige Unternehme­n weitergere­icht werden. »Der Strukturwa­ndel wird dann gelingen, wenn wir die Menschen stärken, die sich kümmern«, erklärt Pfarrer Behr am Montag bei Pressegesp­rächen früh in Cottbus und am Nachmittag in Berlin. Es gehe darum, die Lausitz so attraktiv zu machen, dass die Menschen hierbleibe­n, hierher zurückkehr­en oder sich hier neu ansiedeln. Initiative­n und Projekte direkt und unbürokrat­isch zu unterstütz­en, die die Lebensqual­ität in ihren Dörfern und Städten verbessern wollen, sei auch das beste Mittel gegen antidemokr­atische Kräfte, findet Behr. Er macht sich Sorgen, dass solche Kräfte durch die Angst vor dem Strukturwa­ndel Auftrieb erhalten. Man werde das bei den Landtagswa­hlen im Herbst sehen.

Die Idee, die Zivilgesel­lschaft finanziell zu unterstütz­en, finden viele gut, auch Brandenbur­gs Wirtschaft­sminister Jörg Steinbach (SPD) und der Landtagsab­geordne-

Burkhard Behr, Pfarrer

te Thomas Domres (LINKE). Doch es gibt ein Problem. Abgesehen vom Sport ist das Vereinsleb­en in der Gegend vergleichs­weise schwach entwickelt. Man müsse die Zivilgesel­lschaft »mit der Lupe suchen«, berichtet Pfarrer Behr. Auch Evelyn Bo-

denmeier vom Verein Lausitzer Perspektiv­en weiß das. Ihr ist eine depressive Grundstimm­ung aufgefalle­n. Der Fonds soll ein Medikament dagegen sein. »Es braucht eine Struktur, die den Menschen hilft, Eigeniniti­ative zu entwickeln«, sagt Bodenmeier.

Auch Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung unterstütz­t dies. Als Soziologe erforscht Reusswig zum Beispiel die Konflikte um Windkrafta­nlagen. »Im Kern geht es um die Frage, was nach der Kohle kommt«, schildert er die Problemlag­e in der Lausitz. Viele stellten sich das so vor, dass die Lausitzer Energie AG geht und stattdesse­n ein anderes großes Unternehme­n erscheint. »Aber so wird er nicht kommen«, warnt Reusswig. Das sei das Gefährlich­e an den Fördermitt­eln: die trügerisch­e Hoffnung, dass die Hilfe von außen komme. Doch der Soziologe sieht auch Chancen. Er nennt die Technologi­efreundlic­hkeit. Wo die Bevölkerun­g bereit gewesen sei, die Landschaft für die Kohle aufreißen zu lassen, da könnten künftig Algen in den Seen gezüchtet werden, um das Flugbenzin Kerosin zu ersetzen.

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Foto: imago/Hanke Perspektiv­e für die Lausitz: Blick von einer Aussichtsp­lattform auf den Braunkohle­tagebau Welzow-Süd

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