Strukturwandel von unten
Fonds zur Stärkung der Zivilgesellschaft soll den Kohleausstieg in der Lausitz begleiten
»Der Strukturwandel wird dann gelingen, wenn wir die Menschen stärken, die sich kümmern.«
Die Kirche und der Verein Lausitzer Perspektiven schlagen vor, zehn Prozent der Fördermittel für Bürgerprojekte zu reservieren.
In der Lausitz ist so mancher wegen der Braunkohle gestorben. »Aber das steht in keinem Totenschein«, sagt Pfarrer Burkhard Behr. Da wird als Todesursache beispielsweise ein Herzinfarkt eingetragen. Der Betroffene war nicht mehr der Jüngste und hat die Aufregung nicht vertragen: Bleibt das Dorf stehen oder muss es einem Tagebau weichen? Ähnlich verheerend konnte sich die Angst um den Arbeitsplatz in einem der Tagebaue oder Kraftwerke auswirken.
Schon vor zehn Jahren forderte die evangelische Landeskirche den Einstieg in den Kohleausstieg, erinnert Pfarrer Behr. Damals seien Christen aus der Kirche ausgetreten, weil sie meinten, diese trete nur noch für den Umweltschutz ein und kümmere sich dabei nicht um die Menschen. Doch Behr denkt an die Menschen. Von ihren Sorgen hat er erzählt, als er vor der Kohlekommission sprechen durfte. Inzwischen hat die Kommission den Kohleausstieg bis spätestens 2038 empfohlen. Sie hat gleichzeitig angeregt, dass 40 Milliarden Euro Fördermittel für den Strukturwandel fließen, davon 17 Milliarden Euro in die Lausitz. Im Bericht der Kommission ist an einer Stelle davon die Rede, dass die Zivilgesellschaft etwas von dem Geld abbekommen soll.
Hier setzen die evangelische Kirche und der Verein Lausitzer Perspektiven an. Sie schlagen vor, einen »Fonds Zivilgesellschaft Lausitz« zu bilden. Zehn Prozent der Strukturmittel sollen in den Fonds eingezahlt und an Vereine, Bürgerprojekte und gemeinnützige Unternehmen weitergereicht werden. »Der Strukturwandel wird dann gelingen, wenn wir die Menschen stärken, die sich kümmern«, erklärt Pfarrer Behr am Montag bei Pressegesprächen früh in Cottbus und am Nachmittag in Berlin. Es gehe darum, die Lausitz so attraktiv zu machen, dass die Menschen hierbleiben, hierher zurückkehren oder sich hier neu ansiedeln. Initiativen und Projekte direkt und unbürokratisch zu unterstützen, die die Lebensqualität in ihren Dörfern und Städten verbessern wollen, sei auch das beste Mittel gegen antidemokratische Kräfte, findet Behr. Er macht sich Sorgen, dass solche Kräfte durch die Angst vor dem Strukturwandel Auftrieb erhalten. Man werde das bei den Landtagswahlen im Herbst sehen.
Die Idee, die Zivilgesellschaft finanziell zu unterstützen, finden viele gut, auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) und der Landtagsabgeordne-
Burkhard Behr, Pfarrer
te Thomas Domres (LINKE). Doch es gibt ein Problem. Abgesehen vom Sport ist das Vereinsleben in der Gegend vergleichsweise schwach entwickelt. Man müsse die Zivilgesellschaft »mit der Lupe suchen«, berichtet Pfarrer Behr. Auch Evelyn Bo-
denmeier vom Verein Lausitzer Perspektiven weiß das. Ihr ist eine depressive Grundstimmung aufgefallen. Der Fonds soll ein Medikament dagegen sein. »Es braucht eine Struktur, die den Menschen hilft, Eigeninitiative zu entwickeln«, sagt Bodenmeier.
Auch Fritz Reusswig vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung unterstützt dies. Als Soziologe erforscht Reusswig zum Beispiel die Konflikte um Windkraftanlagen. »Im Kern geht es um die Frage, was nach der Kohle kommt«, schildert er die Problemlage in der Lausitz. Viele stellten sich das so vor, dass die Lausitzer Energie AG geht und stattdessen ein anderes großes Unternehmen erscheint. »Aber so wird er nicht kommen«, warnt Reusswig. Das sei das Gefährliche an den Fördermitteln: die trügerische Hoffnung, dass die Hilfe von außen komme. Doch der Soziologe sieht auch Chancen. Er nennt die Technologiefreundlichkeit. Wo die Bevölkerung bereit gewesen sei, die Landschaft für die Kohle aufreißen zu lassen, da könnten künftig Algen in den Seen gezüchtet werden, um das Flugbenzin Kerosin zu ersetzen.