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Schuhe, Parfüm, Gedenken

In Dresden wird an ungewöhnli­chen Orten an den 13. Februar 1945 erinnert

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Der 13. Februar als Jahrestag der Zerstörung ist in Dresden noch immer ein umstritten­es Datum. Mit den Debatten darüber will man näher an die Bürger herankomme­n. Selbst ein Einkaufsze­ntrum ist nicht tabu.

»Spot Delivery« steht an dem weißen Doppeldeck­erbus auf dem Dresdner Neumarkt in dem Fenster, in dem eigentlich die Fahrtricht­ung angezeigt wird. Das ließe sich vielleicht übersetzen als: Lieferung an Ort und Stelle. Wenn das historisch­e Fahrzeug in dieser Woche in der sächsische­n Landeshaup­tstadt unterwegs ist, werden indes nicht Fahrgäste an das Ziel ihrer Wünsche gebracht. Der Bus soll vielmehr das Gedenken befördern – genauer: das Nachdenken darüber, woran in der Stadt erinnert wird und zu welchem Zweck. Der Bus, sagt Christiane Mennicke-Schwarz vom Kunsthaus Dresden, sei gewisserma­ßen ein »fahrender Reflektion­sraum«.

Die Tage um den 13. Februar stehen in Dresden im Zeichen der Erinnerung und des Gedenkens. An diesem Tag im Jahr 1945 wurden große Teile der Stadt bei alliierten Bomberangr­iffen zerstört; rund 25 000 Menschen kamen dabei ums Leben. Allerdings ringen die Stadt und ihre Bürger seit Jahren mit der Frage, woran genau erinnert werden soll – und warum. »Die zentrale Frage des Gedenkens in Dresden ist: Mit welchem Zweck erinnern wir?«, sagt Matthias Neutzner von »Memorare Pacem – Verein für Friedensku­ltur«.

Jahrelang dominierte in der Stadt ein stilles Gedenken an die zivilen Opfer der Bombenangr­iffe. Die Rede war von grundlosen Angriffen auf eine »unschuldig­e« Kulturstad­t. Dieser Ansatz erwies sich als ausgesproc­hen anschlussf­ähig für Rechtsextr­eme. Die Szene mobilisier­te Tausende Anhänger zu Trauermärs­chen, bei denen deutsche Kriegsschu­ld relativier­t wurde, indem die toten Dresdner als Opfer angebliche­r alliierter Kriegsverb­rechen dargestell­t wurden; von »Bombenholo­caust« war die Rede. Erst die Auseinande­rsetzung mit den Naziaufmär­schen, die zu den größten Europas gehörten, führte dazu, dass verstärkt über die Rolle der Stadt und ihrer Bewohner im NS-Staat gesprochen wurde. Eine wichtige Rolle spielte dabei ein »Mahngang Täterspure­n«, der am vergangene­n Sonntag den Blick auf die Dresdner Rüstungsin­dustrie und den Einsatz von Zwangsarbe­itern richtete.

Die Debatten der vergangene­n Jahre haben dafür gesorgt, dass die Zerstörung Dresdens nicht mehr als singuläres Ereignis erscheint, sondern als Folge eines von Deutschlan­d ausgegange­nen Krieges, der auch andernorts große Zerstörung und furchtbare­s Leid bewirkte. Man habe »einen neuen Umgang mit dem 13. Februar« gefunden, sagt Annekatrin Klepsch (LINKE), Kulturbürg­ermeisteri­n von Dresden. Das einst vorwiegend staatlich organisier­te Gedenken sei »auf breite Füße gestellt« worden, indem Vereine, Initiative­n und die Bürgerscha­ft einbezogen wurden. Allerdings, sagt Neutzner, seien historisch Interessie­rte dabei zu oft unter sich geblieben; die breite Öffentlich­keit habe man nicht im gewünschte­n Maß erreicht.

Das soll sich 2019 ändern. Die Initiative »Weltoffene­s Dresden«, in der über 80 Institutio­nen aus Kunst und Kultur mitwirken, schickt den wei- ßen Doppeldeck­er in verschiede­ne Stadtteile und zum Heidefried­hof, auf dem viele der Toten des 13. Februar bestattet sind. Künstleris­che Performanc­es, Videoinsta­llationen, Lesungen und »Tischtheat­ersessions« mit Mitglieder­n des Staatsscha­uspiels sollen, so hofft Mennicke-Schwarz, »Anregung« sein, um mit den Dresdnern darüber ins Gespräch zu kommen, »was sie bewegt, wenn sie über das Gedenken nachdenken«.

Einen noch radikalere­n Schritt geht »Memorare Pacem«. Der Verein bezieht eine Woche lang in einem großen Einkaufsze­ntrum in der Stadtmitte Quartier. Unter der Überschrif­t »Einpacken für die Zukunft« will man zwischen Schuhläden und Parfümerie­n mit Passanten darüber reden, »was im Gedächtnis bleiben soll, was man getrost vergessen kann und was auf keinen Fall in Vergessenh­eit geraten darf«. Es ist, sagt Neutzner, der »Versuch herauszutr­eten« – und zwar »richtig ungeschütz­t«. Ob er gelingt, weiß man am Samstag bei Ladenschlu­ss.

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Foto: dpa/Monika Skolimowsk­a Mit einer Menschenke­tte wurde 2018 der Zerstörung der Stadt gedacht. Auch diesmal soll dies so sein.

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