Meineid-Verdacht im Högel-Prozess
Starke Erinnerungslücken prägen Aussagen ehemaliger Kollegen des Serienmörders
Frühere Kollegen des Patientenmörders Nils Högel werden des Meineids verdächtigt. Die Staatsanwaltschaft untersucht, ob sie im Prozess gegen den Ex-Pfleger falsch ausgesagt haben.
»Ach herrje – der Todeshögel hat wieder Dienst.« An diesen Spruch einer Krankenschwester konnte sich ein Zeuge im Verfahren gegen den Serienmörder, seinen Ex-Kollegen im Klinikum Oldenburg, noch erinnern. Der Frau, die jene düstere Feststellung traf, war offenbar aufgefallen, dass es während Högels Einsatzzeiten oft Alarm gab: Patienten hatten einen Herzstillstand erlitten! Immer dann war der emsige Pfleger zur Wiederbelebung geeilt, manchmal gelang sie, manchmal nicht. Die Kranken, die der »Reanimateur« mit einer Spritze bewusst in Todesgefahr gebracht hatte, starben. »Sensen-Högel« war ein anderer Name, der auf der Herzstation des Krankenhauses im Nordwesten Niedersachsens geflüstert wurde.
Doch so gut erinnern wie besagter Zeuge konnten oder wollten sich vor Gericht nicht alle früheren Kollegen des Pflegers, der bereits wegen sechsfachen Mordes verurteilt worden ist und sich wegen weiterer 100 Tötungen von Patienten verantworten muss. Derart suspekt waren dem Landgericht in Oldenburg die vorgebrachten Erinnerungslücken, dass es mehrere Zeugen vereidigen ließ. Offensichtlich als Signal, dass ihnen eine Freiheitsstrafe droht, sollten sich ihre Äußerungen als unwahr herausstellen.
Beispielsweise die Einlassungen eines Oberarztes, der im gleichen Bereich gearbeitet hatte wie Högel. An konkrete Situationen im Zusammenhang mit jenem Pfleger könne er sich nicht erinnern, sagte der Mediziner im Prozess. Auch will er jene Statistik nicht gekannt haben, in der das Klinikum 2001 die Zahl der Reanimationen auf der Herzstation erfasste und aus der ersichtlich war, dass Högel die meisten Wiederbelebungsversuche unternommen hatte. Auch an Konferenzen, auf denen die häufigen Reanimationen zur Sprache kamen, könne sich der Arzt nicht erinnern, erklärte er; vermutlich sei er während solcher Meetings im Operationssaal gewesen.
Prozessbeobachter bewegt die Frage nach dem Hintergrund der Erinnerungslücken. Können Eindrücke von solch auffälligem Geschehen wie den häufigen, nicht selten mit dem Tod von Patienten endenden Reanimationseinsätzen jemals verblassen? Oder haben die Zeugen Angst, sie könnten selbst in die Mühlen der Justiz geraten, weil sie seinerzeit die Gefahr durch Högel nicht erkannt oder einen Verdacht nicht rechtzeitig gemeldet haben? Durch einen Hinweis, der womöglich das tödliche Tun hätte stoppen können?
In Oldenburg endete es erst, als Högel 2002 das Klinikum verließ; mindestens 36 Menschen soll er dort nach Erkenntnissen der Ermittler umgebracht haben, ehe er ans Krankenhaus Delmenhorst wechselte. Mindesten 70 Patienten, so wird ihm zur Last gelegt, habe er in jener Klinik ermordet.
Zwei der Zeugen, gegen die nun Ermittlungen wegen Verdachts des Meineids laufen, sind nach wie vor am Klinikum Oldenburg tätig. Jedoch hat sie dessen Leitung nach Bekanntwerden des staatsanwaltlichen Verfahrens vorerst von der Arbeit freigestellt mit der Begründung: Eine mögliche Falschaussage vor Gericht torpediere die Bemühungen des Hauses »um schonungslose, lückenlose Aufklärung« und könne nicht toleriert werden.
Der Prozess gegen Nils Högel wird am 21. Februar fortgesetzt. Am Strafmaß ändert sich nichts, er ist bereits zu lebenslanger Haft verurteilt worden, und die »besondere Schwere der Schuld« wurde festgestellt, das heißt: Er darf nicht nach 15 Jahren »automatisch« in Freiheit entlassen werden. Offen ist bislang, wie sich ein Gutachter zu der Frage äußert, ob der Mann wohl auch nach längerer Zeit hinter Gittern noch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen würde. Träfe dies zu, könnte Högel in Sicherungsverwahrung überstellt werden und bliebe womöglich bis zum Lebensende weggesperrt.
»Sensen-Högel« war ein anderer Name, der auf der Herzstation des Krankenhauses im Nordwesten Niedersachsens geflüstert wurde.