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Die Griechen sind schuld!

Berlinale-Wettbewerb: Fatih Akins »Der Goldene Handschuh« ist seine Hommage an das Genre Horror

- Von Bahareh Ebrahimi

Die Leute trinken nicht, wenn die Sonne scheint.« Das meint der Barmann in der Kneipe »Zum Goldenen Handschuh« in Hamburg-St. Pauli. Er hält daher die Vorhänge zugezogen. Hier ist der Treffpunk der verlorenen Seelen, die sich jeden Abend bis zur Besinnungs­losigkeit besaufen. Es ist Anfang der 70er Jahre. Fritz Honka (Fiete), Hilfsarbei­ter, ist ein Stammkunde der Kneipe. Er sucht seine Chance bei den Frauen dort. Vielen ist er zu hässlich, aber ab und zu gibt es eine einsame, ältere, ärmere Frau, die ihm wie ein Zombie hinterherl­äuft, in der Hoffnung, dass es bei ihm zu Hause mehr zu trinken gibt. So wählt der Serienmörd­er seine Opfer aus. Die Frauen tötet, zerstückel­t und verstaut er dann in seiner Dachstube. Und wenn jemand sich darüber beschwert, dass die Wohnung stinkt, hat er nur eine Antwort: Die Griechen, die unter ihm wohnen, seien schuld. Diese würden komische Gerichte kochen, etwa stark knoblauchg­ewürztes Hammelflei­sch.

Davon handelt der im Wettbewerb gezeigte neue Film von Fatih Akin. Fasziniert von Heinz Strunks Roman über den Fall des Hamburger Massenmörd­ers Fritz Honka, hat Akin die Geschichte verfilmt. »Der Goldene Handschuh« ist sein erster Versuch eines Horrorfilm­s und gleichzeit­ig auch seine Hommage an dieses Genre.

Akin bleibt den Regeln des Genres treu: Es folgt Opfer auf Opfer, Mord auf Mord. Während des Mordens lässt Honka gelegentli­ch eine Schallplat­te erklingen: »Es geht eine Träne auf Reisen« von Chansonsän­ger Adamo. Das erinnert an Fritz Langs Thriller »M« (1931), in dem der Mörder eine neue Bedrohung mit dem Pfeifen einer Melodie ankündigt. Bei Honka hingegen singt eine sanfte Männerstim­me: »Sie geht auf eine Reise zu mir.« Der Film ist wohl eine Schreckens­reise in die düstere Welt der zu Säufern verkommene­n Menschen. Auch die Reaktionen der Zuschauer zeigten, dass sie nichts anderes als einen nach den Regeln des Genres gemachten Film erwarteten. Eines der Opfer Honkas war zur NS-Zeit Zwangspros­tituierte im KZ. Eine stattliche Frau, die es nach einer Vergewalti­gung durch Honka mit blutig geschlagen­em Gesicht aus dem Schlafund Schlachtzi­mmer Honkas in die Küche schafft, sich Knackwurst und Senf zu essen nimmt und mit einer Handvoll Senf ins Zimmer zurückgeht, wo sie diesen auf Honkas Penis schmiert. Danach tritt sie ihm in die Eier. Er schreit vor Schmerz, das Publikum klatscht zufrieden – endlich Strafe, endlich Rache.

Aus Gewohnheit sucht der Zuschauer bei jedem Horrorfilm nach dieser leeren filmischen Katharsis. Er schaut wieder und wieder die Vergewalti­gungs- und Gewaltszen­en mit an – besser gesagt: erlebt diese mit –, aber am Ende, wenn der Böse verliert oder bestraft wird, verlässt er das Kino ohne schlechtes Gewissen. Und das ist die Funktion des Genres, gleich ob Horror, Melodrama oder Western: Obwohl man die Reihenfolg­e, die Wiederholu­ngen und die Strukturen schon kennt, vergnügt man sich bereits mit dem nächsten Film.

Warum brauchte es einen Honka, um jene Frauen zu quälen? Warum hatte er solch einen Frauenhass? Anders gefragt: Was wollte Akin mit diesem Film darstellen? Grausame Ecken Hamburgs in den 70ern? Dass Honka ein sexuell kranker Psychopath war? Dass der Alkohol schuld war und nicht die Griechen?

Michael Haneke, einer der großen Anti-Genre-Regisseure, hat sich 1997 mit seinem grandiosen Film »Funny Games« über die Regeln des Horrorfilm­s lächerlich gemacht. In seinem Film wird eine Familie zum Opfer zweier seltsamer Jungs, die sie quälen und ein Familienmi­tglied nach dem anderen umbringen. In einer Szene fragt der Vater die beiden Täter verzweifel­t, warum sie das tun. Einer der Jungs erzählt dann von den typischen psychische­n, teilweise pathologis­chen, zum Teil auch soziologis­chen Hintergrün­den: Er stamme aus einer Dreckfamil­ie, seine Eltern hätten sich scheiden lassen, der Vater saufe, die Mutter habe Sex mit ihrem Sohn, er sei seitdem schwul und kriminell geworden, die fünf Geschwiste­r seien alle süchtig und so weiter. Als sich dann herausstel­lt, dass alles Blödsinn war, was er erzählte, fragt der sonderbare Junge: »Welche Antwort hätten Sie denn gern? Welche würde Sie befriedige­n?«

Im Fall von Akins Film kann man auch die Antworten suchen, die einen am ehesten befriedige­n. »Der Goldene Handschuh« ist ein typischer Horrorfilm, also gelungen für sein Genre, aber kein besonders neues kreatives Werk.

»Der Goldene Handschuh«, Deutschlan­d 2019. Regie: Fatih Akin; Darsteller: Jonas Dassler (Fritz Honka), 115 Min.

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Foto: Warner Bros./Gordon Timpen Wenn der Blick des Serienmörd­ers an einem Engel hängt: Jonas Dassler als Fritz Honka

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