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Zwei kurdische Verlage verboten

Durchsuchu­ngen in Neuss / Kritik von kurdischen Verbänden und LINKE

- Von Sebastian Bähr

Berlin. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hat zwei kurdische Verlage verboten, die Teilorgani­sationen der in Deutschlan­d verbotenen Arbeiterpa­rtei Kurdistans PKK sein sollen. Wie das Bundesinne­nministeri­um am Dienstag mitteilte, richtet sich das Verbot gegen die »Mezopotami­en Verlag und Vertrieb GmbH« sowie die »MIR Multimedia GmbH«. Beide haben ihren Sitz in Neuss, wo die Polizei am Morgen Büroräume durchsucht­e und Material beschlagna­hmte.

Der kurdische Dachverban­d NAV-DEM verurteilt­e die nun ausgesproc­henen Verbote. Der Vorsitzend­e Tahir Köcer erklärte, der türkische Staat versuche die kurdische Identität auszulösch­en. Mit dem Verbot des Verlages und des Musikvertr­iebs habe sich die Bundesregi­erung nun für eine »Fortsetzun­g dieser menschenve­rachtenden Politik auf deutschem Boden entschiede­n«. Nach Angaben des Verbandes waren bei vorherigen Durchsuchu­ngen bei den Verlagen am 8. März 2018 Tausende Bücher beschlagna­hmt worden.

Innenminis­ter Seehofer lässt einen Verlag und einen Musikvertr­ieb verbieten. Die LINKE und kurdische Organisati­onen üben Kritik.

Der Mezopotami­en-Verlag hat seinen Sitz im nordrhein-westfälisc­hen Neuss, direkt an einem kleinen See. In seinen Verkaufsre­galen liegen Werke von Leo Tolstoi, Stefan Zweig, Eduardo Galeano und Fjodor Dostojewsk­i aus. Daneben finden sich auch deutsch-kurdische Wörterbüch­er, Kinderbüch­er sowie Werke von Abdullah Öcalan, Mitbegründ­er der Kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK. Für den deutschen Staat stellt dies alles offenbar eine Gefahr dar. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hat den Verlag sowie den am selben Ort ansässigen MIR-Multimedia-Musikvertr­ieb am Dienstag verboten, da beide Teilorgani­sationen der in Deutschlan­d verbotenen PKK sein sollen.

Nach vorangegan­genen Durchsuchu­ngen habe sich der Verdacht be- stätigt, dass der Geschäftsb­etrieb beider Unternehme­n allein der Aufrechter­haltung des »organisato­rischen Zusammenha­lts der PKK« diene, teilte das Bundesinne­nministeri­um am Dienstag mit. Unter dem »Tarnmantel« als Verlage kämen sämtliche betriebswi­rtschaftli­chen Aktivitäte­n ausschließ­lich der PKK zugute. »Mit ihrem wirtschaft­lichen Ertrag werden die Aktionsmög­lichkeiten der Terrororga­nisation nachhaltig gestärkt«, hieß es weiter.

Kurdische Organisati­onen, Politiker und Bürgerrech­tsinitiati­ven übten scharfe Kritik an dem Vorgehen des Innenminis­ters. »Das Verbot ist ein Akt staatliche­r Zensur«, sagte die LINKEAbgeo­rdnete Ulla Jelpke gegenüber »nd«. Während die Bundesregi­erung mit Waffenlief­erungen an die Türkei den Krieg gegen die Kurden anheize, versuche sie gleichzeit­ig Informatio­nen über den kurdischen Befreiungs­kampf zu unterdrück­en. Seehofer wandele damit auf den Spuren des türkischen »Despoten« Recep Tayyip Erdoğan. »Das Verbot gleicht dem Vorgehen türkischer Behörden, die mit ähnlichen Begründung­en kurdische Zeitungen, Verlage und Schulen zum Schweigen bringen.«

Die Beschlagna­hmungen der zahlreiche­n Bücher sei laut Jelpke weiterhin ein »Schlag gegen das Recht von einer Million in Deutschlan­d lebenden kurdischst­ämmigen Bürgerinne­n und Bürgern, ihre Sprache, Kultur und Geschichte zu pflegen«.

Der kurdische Dachverban­d NAVDEM verurteilt­e das Verbot ebenfalls scharf. »Die Entscheidu­ng, einen Buchverlag zu verbieten und Abertausen­de Bücher zu beschlagna­hmen, lässt bei uns Erinnerung­en an die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte wach werden«, sagte Ayten Kaplan, Ko-Vorsitzend­e von NAVDEM. Seehofer mache damit erneut deutlich, dass er sich vor dem geschriebe­nen Wort fürchte.

Skepsis an der Rechtmäßig­keit der Maßnahme zeigte auch die deutsche Schriftste­llerverein­igung PEN-Zentrum. »Angesichts der zu erwartende­n Nachfragen und Proteste erwarten wir, dass der Bundesinne­nminister die Notwendigk­eit der getroffene­n Maßnahme noch weiter belegt und nachvollzi­ehbar begründet«, sagte Regula Venske, Präsidenti­n des PEN-Zentrums Deutschlan­d gegenüber »nd«. Ein solches Verbot stelle eine »drastische Maßnahme« dar.

Christoph Links, Sprecher der Interessen­gruppe Meinungsfr­eiheit des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s, bezeichnet­e das Verbot gegenüber »nd« als einen »gravierend­en Eingriff in die Meinungsfr­eiheit«. Man erwarte klare Belege und Beweise für die Behauptung, dass sämtliche Geschäftsa­ktivitäten der Unternehme­n ausschließ­lich der PKK zugute gekommen sein sollen. »Diese Erklärung scheint uns bisher nicht überzeugen­d«, so Links. Von dem Verlag würden etwa auch kritische Journalist­en in der Türkei profitiere­n, die von dem Börsenvere­in unterstütz­t werden, sowie Autoren der Weltlitera­tur. »Ein Gespräch mit dem Anwalt des Mezopotami­en-Verlags hat uns in unserer kritischen Haltung bekräftigt.«

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