Glotzt nicht so betroffen!
Berlinale: Mit »Ich war zuhause, aber« legt Angela Schanelec den langweiligsten Film des Wettbewerbs vor
In der Eröffnungsszene jagt ein Hund einen Hasen über freies Feld. Schnitt. Wir sehen, wie der Hund den Hasen verzehrt. Das ist auf jeden Fall schon mal so was von metaphorisch, dass man gespannt sein darf. Allerdings befindet man sich hier einem Film der sogenannten Berliner Schule, als deren wirkmächtigste Vertreterin die Filmregisseurin und Schauspielerin Angela Schanelec gilt. Also passiert im weiteren Verlauf – nichts. Als »Berliner Schule« bezeichnen Filmkundige gemeinhin eine lose Gruppe von Filmemachern, die in den 90er Jahren an der Deutschen Filmund Fernsehakademie Berlin (DFFB) zusammenfand und als deren Markenzeichen ein ausgeprägter Stilwille und eine eigenartige Ästhetik der weitgehenden Reduktion der filmischen Mittel gilt. Die meisten der dieser Schule zugehörigen Regisseure stammten aus der gutbürgerlichen (westdeutschen) Mittelschicht, und die depressive Grundstimmung vieler ihrer Filme sollte wohl, so meinten Kritiker, die wachsenden Abstiegsängste dieser Klasse widerspiegeln. Gesellschaftliche Alternativen boten sie allerdings nicht an. Für Filmwissenschaftler waren und sind Filme dieser Art beliebte Studienobjekte, beim Publikum fielen sie meist durch, mit Ausnahme vielleicht von Christian Petzolds Werken (»Barbara«, »Yella«).
Angela Schanelec wurde einem größeren Publikum mit dem Film »Mein langsames Leben« (2001) bekannt, dessen Titel programmatisch für ihre bevorzugte Filmsprache war und ist. Ihr aktueller Film ist erneut eine Feier der Langsamkeit. Das muss nicht schlecht und kann ungemein faszinierend sein, wie man an den Filmen Béla Tarrs sieht, dessen siebeneinhalbstündiges Werk »Sátántangó« (1994) in einer restaurierten Fassung am Samstag im Forum der Berlinale läuft. Während es Tarr jedoch vermochte, in zehnminütigen und dennoch intensiven Einstellungen kunstvoll von Verlorenen in einer verlorenen Welt zu erzählen, verbreitet »Ich war zuhause, aber« nur quälende Langweile. Den tableauhaften Szenen scheint jegliches Leben entzogen, jedes Bild ist endlos mit Bedeutung aufgeladen, die sich dem Betrachter jedoch kaum erschließt. Die Sekunden dehnen sich zu Minuten, und nach einer halben Stunde weiß man immer noch nicht, worum es eigentlich geht. Nach Ende des Films ist der Rezensent allerdings auch nicht schlauer, weshalb er, dies sei ihm ausnahmsweise gestattet, aus dem Programmheft zitiert: »Astrids 13-jähriger Sohn kehrt wortlos zurück, nachdem er für eine Woche verschwunden war ... Nur allmählich kommt der Alltag wieder in Gang ... Die Fragen, mit denen sich Astrid konfrontiert sieht, lassen sie anders auf ihr bürgerliches Leben und ihren Beruf im Berliner Kulturbetrieb blicken ... Das Familiengefüge zerfällt, um sich neu zu bilden ... Diese Szenen werden eingerahmt von den Proben einer Schulklasse zu Shakespeares ›Hamlet‹, dem Kauf eines kaputten Fahrrads und weiteren, losen Handlungssträngen, die wechselseitig Widerhall finden.«
Dieser Auszug aus der offiziellen Filmbeschreibung mit seinen Schlüsselwörtern »wortlos«, »allmählich«, »losen Handlungssträngen« deutet es bereits an: Statt einer in sich konsistenten filmischen Erzählung sehen wir eine willkürliche Aneinanderrei- hung von Plansequenzen – eine Geschichte will daraus nicht entstehen. Es scheint um Verzweiflung und persönliches Glück zu gehen, Gefühle wohl auch, aber die gespenstische Unwirklichkeit der Szenerie hinterlässt nurmehr Ratlosigkeit. Die Schauspieler stehen wie Marionetten steif inmitten einer statischen Versuchsanordnung und deklamieren mit unbewegten Mienen ihren Text. Mit starrer Mimik schauen sie in eine imaginäre Ferne, während sie bedeutungsschwangere Sätze aufsagen, sodass man sie schütteln und ihnen zurufen möchte: Lebt doch mal! Die Zeichen und Verweise, die die Regisseurin setzt, erschließen sich nur Eingeweihten, und diese Abgehobenheit, die den Zuschauer alleinlässt bzw. ignoriert, ist ein veritables Ärgernis.
Während der Zuschauer, mehr und mehr genervt vom Betroffenheitsgetue auf der Leinwand, das Ende der Vorführung herbeisehnt, muss er sich noch einen langen Monolog von Astrid (Maren Eggert) anhören. In diesem geht es um das Theater und die Kunst an sich. Kunst entstünde daraus, so Astrid als eine Art Alter Ego der Regisseurin, die auch das Drehbuch schrieb, dass zwei Dinge aufeinanderträfen und sich dabei in etwas Neues, Größeres verwandelten. Gut gesagt, doch leider kann in diesem Film, dessen Dialoge leblos sind, nichts aufeinandertreffen, weswegen sich auch nichts verwandelt. Das Interessanteste an dem zweiten deutschen Beitrag im diesjährigen Wettbewerb ist die Tatsache, dass Franz Rogowski, der in einer Nebenrolle zwei oder drei Sätze aufsagen darf, jetzt Vollbart trägt.
»Ich war zuhause, aber«, Deutschland 2019. Regie: Angela Schanelec; Darsteller: Maren Eggert, Jakob Lassalle, Clara Möller, Franz Rogowski. 105 Min.