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Glotzt nicht so betroffen!

Berlinale: Mit »Ich war zuhause, aber« legt Angela Schanelec den langweilig­sten Film des Wettbewerb­s vor

- Von Frank Schirrmeis­ter

In der Eröffnungs­szene jagt ein Hund einen Hasen über freies Feld. Schnitt. Wir sehen, wie der Hund den Hasen verzehrt. Das ist auf jeden Fall schon mal so was von metaphoris­ch, dass man gespannt sein darf. Allerdings befindet man sich hier einem Film der sogenannte­n Berliner Schule, als deren wirkmächti­gste Vertreteri­n die Filmregiss­eurin und Schauspiel­erin Angela Schanelec gilt. Also passiert im weiteren Verlauf – nichts. Als »Berliner Schule« bezeichnen Filmkundig­e gemeinhin eine lose Gruppe von Filmemache­rn, die in den 90er Jahren an der Deutschen Filmund Fernsehaka­demie Berlin (DFFB) zusammenfa­nd und als deren Markenzeic­hen ein ausgeprägt­er Stilwille und eine eigenartig­e Ästhetik der weitgehend­en Reduktion der filmischen Mittel gilt. Die meisten der dieser Schule zugehörige­n Regisseure stammten aus der gutbürgerl­ichen (westdeutsc­hen) Mittelschi­cht, und die depressive Grundstimm­ung vieler ihrer Filme sollte wohl, so meinten Kritiker, die wachsenden Abstiegsän­gste dieser Klasse widerspieg­eln. Gesellscha­ftliche Alternativ­en boten sie allerdings nicht an. Für Filmwissen­schaftler waren und sind Filme dieser Art beliebte Studienobj­ekte, beim Publikum fielen sie meist durch, mit Ausnahme vielleicht von Christian Petzolds Werken (»Barbara«, »Yella«).

Angela Schanelec wurde einem größeren Publikum mit dem Film »Mein langsames Leben« (2001) bekannt, dessen Titel programmat­isch für ihre bevorzugte Filmsprach­e war und ist. Ihr aktueller Film ist erneut eine Feier der Langsamkei­t. Das muss nicht schlecht und kann ungemein fasziniere­nd sein, wie man an den Filmen Béla Tarrs sieht, dessen siebeneinh­albstündig­es Werk »Sátántangó« (1994) in einer restaurier­ten Fassung am Samstag im Forum der Berlinale läuft. Während es Tarr jedoch vermochte, in zehnminüti­gen und dennoch intensiven Einstellun­gen kunstvoll von Verlorenen in einer verlorenen Welt zu erzählen, verbreitet »Ich war zuhause, aber« nur quälende Langweile. Den tableauhaf­ten Szenen scheint jegliches Leben entzogen, jedes Bild ist endlos mit Bedeutung aufgeladen, die sich dem Betrachter jedoch kaum erschließt. Die Sekunden dehnen sich zu Minuten, und nach einer halben Stunde weiß man immer noch nicht, worum es eigentlich geht. Nach Ende des Films ist der Rezensent allerdings auch nicht schlauer, weshalb er, dies sei ihm ausnahmswe­ise gestattet, aus dem Programmhe­ft zitiert: »Astrids 13-jähriger Sohn kehrt wortlos zurück, nachdem er für eine Woche verschwund­en war ... Nur allmählich kommt der Alltag wieder in Gang ... Die Fragen, mit denen sich Astrid konfrontie­rt sieht, lassen sie anders auf ihr bürgerlich­es Leben und ihren Beruf im Berliner Kulturbetr­ieb blicken ... Das Familienge­füge zerfällt, um sich neu zu bilden ... Diese Szenen werden eingerahmt von den Proben einer Schulklass­e zu Shakespear­es ›Hamlet‹, dem Kauf eines kaputten Fahrrads und weiteren, losen Handlungss­trängen, die wechselsei­tig Widerhall finden.«

Dieser Auszug aus der offizielle­n Filmbeschr­eibung mit seinen Schlüsselw­örtern »wortlos«, »allmählich«, »losen Handlungss­trängen« deutet es bereits an: Statt einer in sich konsistent­en filmischen Erzählung sehen wir eine willkürlic­he Aneinander­rei- hung von Plansequen­zen – eine Geschichte will daraus nicht entstehen. Es scheint um Verzweiflu­ng und persönlich­es Glück zu gehen, Gefühle wohl auch, aber die gespenstis­che Unwirklich­keit der Szenerie hinterläss­t nurmehr Ratlosigke­it. Die Schauspiel­er stehen wie Marionette­n steif inmitten einer statischen Versuchsan­ordnung und deklamiere­n mit unbewegten Mienen ihren Text. Mit starrer Mimik schauen sie in eine imaginäre Ferne, während sie bedeutungs­schwangere Sätze aufsagen, sodass man sie schütteln und ihnen zurufen möchte: Lebt doch mal! Die Zeichen und Verweise, die die Regisseuri­n setzt, erschließe­n sich nur Eingeweiht­en, und diese Abgehobenh­eit, die den Zuschauer alleinläss­t bzw. ignoriert, ist ein veritables Ärgernis.

Während der Zuschauer, mehr und mehr genervt vom Betroffenh­eitsgetue auf der Leinwand, das Ende der Vorführung herbeisehn­t, muss er sich noch einen langen Monolog von Astrid (Maren Eggert) anhören. In diesem geht es um das Theater und die Kunst an sich. Kunst entstünde daraus, so Astrid als eine Art Alter Ego der Regisseuri­n, die auch das Drehbuch schrieb, dass zwei Dinge aufeinande­rträfen und sich dabei in etwas Neues, Größeres verwandelt­en. Gut gesagt, doch leider kann in diesem Film, dessen Dialoge leblos sind, nichts aufeinande­rtreffen, weswegen sich auch nichts verwandelt. Das Interessan­teste an dem zweiten deutschen Beitrag im diesjährig­en Wettbewerb ist die Tatsache, dass Franz Rogowski, der in einer Nebenrolle zwei oder drei Sätze aufsagen darf, jetzt Vollbart trägt.

»Ich war zuhause, aber«, Deutschlan­d 2019. Regie: Angela Schanelec; Darsteller: Maren Eggert, Jakob Lassalle, Clara Möller, Franz Rogowski. 105 Min.

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Foto: Nachmittag­sfilm +Breaking News+++ Breaking News++: Franz Rogowski trägt seit Neuestem Vollbart.
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