Besser als jeder Eltern-Ratgeber
Berlinale-Panorama: Der Indie-Film »Mid90s« ist eine Hommage an die 90er Jahre
vor
einigen Jahren begeisterte auf der Berlinale ein als Dokumentarfilm vermarkteter Film über Skateboardfahrer das Publikum. Leider stellte sich »This ain’t California« – über die Skateboard-Szene in der DDR – im Nachhinein als Fake-Doku bzw. als »fiktionaler Dokumentarfilm« heraus.
Mit »Mid90s« wird nun in diesem Jahr ein Film in der Panorama-Sektion gezeigt, in dem es nur vordergründig um das Skateboardfahren geht, denn das mitreißende Regiedebüt des mehrfach oscarnominierten Schauspielers Jonah Hill ist viel mehr als nur das.
Dem im 16-mm-Format gedrehten Indie-Film, zu dem Hill auch das Drehbuch schrieb, gelingt es nicht nur, das Lebensgefühl der Jugend in den 90ern einzufangen, sondern er funktioniert auch als zeitloses Por- trät der schwierigen Teenagerzeit von Jungs.
Stevie (herzzerreißend gespielt von Sunny Suljic) ist 13 Jahre alt und wohnt mit seinem älteren Bruder Ian und seiner alleinerziehenden Mutter Dabney in Los Angeles. Ständig wird er von seinem älteren Bruder vermöbelt, dennoch bewundert er ihn, schleicht sich heimlich in dessen Zimmer, setzt sich seine coole Basecap auf, befühlt seine Air Jordans und schreibt sich jeden Titel aus dessen CD-Regal ab. Das 90er-Jahre-Setund -Kostümd-Design des Films – bis hin zu den von den Nine-Inch-Nails- Musikern Trent Reznor und Atticus Ross zusammengestellten IndieRock- und Hip-Hop-Tracks des Soundtracks – ist fantastisch, ohne sich wichtigtuerisch in den Vordergrund zu drängen. Eines Tages fasst sich Stevie, der sich nach Zusammenhalt, Abenteuer und Initiation sehnt, ein Herz und versucht, bei der verheißungsvollen Skateboard-Clique zu landen, die sich regelmäßig in einem Skateshop trifft.
Tatsächlich gelingt es ihm, von dem coolen Anführer Ray, dem dauerbekifften Fuckshit, dem Filmemacher Fourth Grade und dem verzweifelt um Coolness bemühten, in der Hackordnung ganz unten stehenden Ruben unter die Fittiche genommen zu werden. Alle Charaktere werden von schauspielunerfahrenen Skatern verkörpert, die ihre Seele in ihre jeweilige Rolle legen und von Hill sichtbar genug Raum zum Improvisieren bekommen ha- ben, sodass sie entscheidend zum authentischen Flair des Films beitragen. Die Filme von Richard Linklater (»Boyhood«) scheinen hier Pate gestanden zu haben.
Wie ein Verrückter übt Stevie nun auf der Auffahrt vor seinem Haus das Skateboardfahren. Was es ihm an Können mangelt, beginnt er schon bald mit seinem halsbrecherischen Wagemut wettzumachen.
Herausgekommen ist ein klischeefreier Film: Teenage-Angst, Marihuana, Alkohol, riskante Autofahrten, dämliches Männlichkeitsgebaren, erste Petting-Erfahrungen und der Rausch, endlich irgendwo dazuzugehören. Besser als jede »Bravo«, jede Fake-Doku und jeder Eltern-Ratgeber. Go for it.
Marihuana, Alkohol, riskante Autofahrten, Petting und dämliches Männlichkeitsgebaren.
»Mid90s«, USA 2018. Regie/Drehbuch: Jonah Hill; Darsteller: Sunny Suljic, Lucas Hedges, Katherine Waterston. 85 Min.