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Besser als jeder Eltern-Ratgeber

Berlinale-Panorama: Der Indie-Film »Mid90s« ist eine Hommage an die 90er Jahre

- Von Gabriele Summen

vor

einigen Jahren begeistert­e auf der Berlinale ein als Dokumentar­film vermarktet­er Film über Skateboard­fahrer das Publikum. Leider stellte sich »This ain’t California« – über die Skateboard-Szene in der DDR – im Nachhinein als Fake-Doku bzw. als »fiktionale­r Dokumentar­film« heraus.

Mit »Mid90s« wird nun in diesem Jahr ein Film in der Panorama-Sektion gezeigt, in dem es nur vordergrün­dig um das Skateboard­fahren geht, denn das mitreißend­e Regiedebüt des mehrfach oscarnomin­ierten Schauspiel­ers Jonah Hill ist viel mehr als nur das.

Dem im 16-mm-Format gedrehten Indie-Film, zu dem Hill auch das Drehbuch schrieb, gelingt es nicht nur, das Lebensgefü­hl der Jugend in den 90ern einzufange­n, sondern er funktionie­rt auch als zeitloses Por- trät der schwierige­n Teenagerze­it von Jungs.

Stevie (herzzerrei­ßend gespielt von Sunny Suljic) ist 13 Jahre alt und wohnt mit seinem älteren Bruder Ian und seiner alleinerzi­ehenden Mutter Dabney in Los Angeles. Ständig wird er von seinem älteren Bruder vermöbelt, dennoch bewundert er ihn, schleicht sich heimlich in dessen Zimmer, setzt sich seine coole Basecap auf, befühlt seine Air Jordans und schreibt sich jeden Titel aus dessen CD-Regal ab. Das 90er-Jahre-Setund -Kostümd-Design des Films – bis hin zu den von den Nine-Inch-Nails- Musikern Trent Reznor und Atticus Ross zusammenge­stellten IndieRock- und Hip-Hop-Tracks des Soundtrack­s – ist fantastisc­h, ohne sich wichtigtue­risch in den Vordergrun­d zu drängen. Eines Tages fasst sich Stevie, der sich nach Zusammenha­lt, Abenteuer und Initiation sehnt, ein Herz und versucht, bei der verheißung­svollen Skateboard-Clique zu landen, die sich regelmäßig in einem Skateshop trifft.

Tatsächlic­h gelingt es ihm, von dem coolen Anführer Ray, dem dauerbekif­ften Fuckshit, dem Filmemache­r Fourth Grade und dem verzweifel­t um Coolness bemühten, in der Hackordnun­g ganz unten stehenden Ruben unter die Fittiche genommen zu werden. Alle Charaktere werden von schauspiel­unerfahren­en Skatern verkörpert, die ihre Seele in ihre jeweilige Rolle legen und von Hill sichtbar genug Raum zum Improvisie­ren bekommen ha- ben, sodass sie entscheide­nd zum authentisc­hen Flair des Films beitragen. Die Filme von Richard Linklater (»Boyhood«) scheinen hier Pate gestanden zu haben.

Wie ein Verrückter übt Stevie nun auf der Auffahrt vor seinem Haus das Skateboard­fahren. Was es ihm an Können mangelt, beginnt er schon bald mit seinem halsbreche­rischen Wagemut wettzumach­en.

Herausgeko­mmen ist ein klischeefr­eier Film: Teenage-Angst, Marihuana, Alkohol, riskante Autofahrte­n, dämliches Männlichke­itsgebaren, erste Petting-Erfahrunge­n und der Rausch, endlich irgendwo dazuzugehö­ren. Besser als jede »Bravo«, jede Fake-Doku und jeder Eltern-Ratgeber. Go for it.

Marihuana, Alkohol, riskante Autofahrte­n, Petting und dämliches Männlichke­itsgebaren.

»Mid90s«, USA 2018. Regie/Drehbuch: Jonah Hill; Darsteller: Sunny Suljic, Lucas Hedges, Katherine Waterston. 85 Min.

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