150-mal »Knacks« sagen
René Pollesch ist ein versierter Komiker: »Black Maria« am Deutschen Theater in Berlin
Die Theaterabende von René Pollesch haben einen sehr besonderen Stil. Sie zeigen die Handlung des Denkens selbst, Mimesis an Theorie und Popkultur.
Aufgegriffen werden Bücher, Filme, Gesellschaftstheorie. Daraus wird eine Art Remix erstellt, in dem von A wie Adorno bis Z wie Žižek so allerlei auftaucht. Eine besondere Komik entsteht nicht nur durch das Prinzip der Iteration, durch das Wiederholende, sondern auch durch einen permanenten Wechsel zwischen uneigentlichem Sprechen und Buchstäblichkeit.
Wenn also in Polleschs neuem Stück »Black Maria«, uraufgeführt am 30.Januar. in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, in knapp zwei Stunden gefühlte 150-mal das Wort »Knacks« fällt, dann könnte sich das auf F. Scott Fitzgeralds »Der Knacks« und Gilles Deleuzes »Porzellan und Vulkan« beziehen (bei Merve in einem Band erhältlich), aber auch auf einen alltagssprachlich gemeinten Knacks, den jemand oder etwas, ein Schauspieler oder ein Teller zum Beispiel, hat.
Der permanente Wechsel dieser Ebenen erzeugt eine Spannung, schafft Erwartungen und kippt durch überraschende Wendungen wieder ins Komische. Plötzlich fehlt der Sinn, der sich vorher so aufdrängte, als man meinte, man wüsste, was das soll und wo man hier steht. Das Vergnügen am Komischen ist wohl nicht weniger als die Freude am freien Fall, bis man auf einer anderen und unerwarteten Ebene wieder Halt und Sinn findet – ein seit Aristophanes wohlerprobtes Mittel des Komischen im Theater.
Die Textschleifen von Pollesch gehorchen gewissermaßen der Definition Henri Bergsons, nach der es zum Lachen reizt, wenn Lebendiges durch etwas Mechanisches überdeckt wird. Und tatsächlich sind es hier die wie mechanisch ablaufenden theoretischen Exkurse, wobei der Umweg freilich das Ziel ist, die im Publikum einen komischen Effekt hervorrufen – ganz abgesehen von der mechani- schen Schnupftabakmaschine, die Franz Beil bedient. Der hat überhaupt eine Art, die Hände zu schütteln und dabei die Worte wie aus dem Hirn in die Mundhöhle und von dort in den Raum zu pressen, die wirklich außerordentlich komisch ist. Seine Mitspieler Benjamin Lillie, Astrid Meyerfeldt, Jeremy Mockridge und Katrin Wichmann stehen ihm nicht nach. Während sie alle Zigarettenpause machen und einer etwas sagt, stehen die anderen rum, hören zu, wie man so zuhört, gucken, wie man so guckt, manchmal mit Fragezeichen im Gesicht, alles so nebenher. Wenn dann noch ein paar Pointen gesetzt werden, die zum Merken und Weitererzählen einladen (wie »Die Regisseure können nichts und die Schauspieler endlich Nein sagen«), und eine Verkleidungs- und Verwandlungsorgie geradezu elisabethanischen Ausmaßes mit Hüten und Perücken persifliert wird, dann stellt sich große Heiterkeit im theateraffi- nen Publikum ein. So viel zur Methode des versierten Komikers René Pollesch.
Und nun zu dem, was verhandelt wird: Das erste kommerzielle Filmstudio der Welt, genannt »Black Maria«, befand sich in der Zeit von 1893 bis 1901 in New Jersey und war eine Hütte aus schwarzer Teerpappe mit einem Dach, das sich zwecks Beleuchtung durch Sonnenlicht öffnen ließ – um das optimal zu nutzen, war das Studio selbst drehbar. Einen
Nachbau desselben hat nun die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnende Nina von Mechow für die Bühne der Kammerspiele angefertigt. Es geht um Bilder. Um eine optische Politik. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Weiße Typen. Repräsentation. Alles Begriffe, die wie der Knacks gefühlte 150-mal im Laufe des Abends fallen.
Wenn dann die Seitenhiebe kommen, sowohl auf die »Macbeth«-Blutorgie des Kollegen Michael Thalheimer im nur wenige Hundert Meter entfernten Berliner Ensemble als auch, und vor allem, gegen den Dramaturgen Bernd Stegemann und dessen Vorstoß in Richtung eines neuen Realismus, wird man nicht gerade subtil auf die Absicht gestoßen. Bekämpft werden soll das Repräsenta- tionstheater, von dem niemand so genau weiß, was es sein soll, von dem aber beständig behauptet wird, dass dort Menschen mit Rollen und Texten gequält würden, mit denen man angeblich eine wie auch immer geartete Identität bilden müsse.
Als Pappkamerad taugt’s allemal. Aber heißt Antirepräsentationstheater dann, dass man im Theater ausschließlich übers Theater spricht? Ist das nicht auch nur ein sehr begrenzter Ausschnitt von Wirklichkeit? Und haut die Übertragung von Problemen des Films aufs Theaters wirklich hin? Lässt sich der Naturalismuseffekt einer Filmaufnahme wirklich mit einer Theateraufführung vergleichen? Kein Vorhang, alle Fragen offen.
»Black Maria« von René Pollesch am Deutschen Theater Berlin. Nächste Aufführungen am 15.2., 16.2., 23.2. und 24.2.
Pollesch folgt Henri Bergsons Idee, dass es zum Lachen reizt, wenn Lebendiges durch etwas Mechanisches überdeckt wird.