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Ermahnung und Schulterkl­opfen

Bsirske diskutiert mit Altmaier: Ver.di trägt Klimaziele mit – aber nicht auf Kosten der Beschäftig­ten

- Von Jörn Boewe

Die Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di steht hinter dem Kompromiss zum Kohleausst­ieg – aber nur, sofern die vereinbart­en Empfehlung­en »eins zu eins« umgesetzt werden. Man ist skeptisch-wachsam.

Vielleicht hatte manch einer einen Schlagabta­usch erwartet, aber es wurde eher ein ermahnende­s Schulterkl­opfen. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) und der ver.di-Bundesvors­itzende Frank Bsirske redeten beide am Montagaben­d Klartext zu den aktuellen klima- und energiepol­itischen Vorhaben der Bundesregi­erung. Und das vor einem wachsam-skeptische­n Publikum: Rund 600 Gewerkscha­fterinnen und Gewerkscha­fter, Betriebs- und Personalrä­te aus der Energiewir­tschaft – darunter die großen Kohlekraft­werksbetre­iber RWE, Vattenfall, E.on, STEAG und EnBW – hatten sich in Berlin zu einer bundesweit­en tarifpolit­ischen Tagung zusammenge­funden. Dabei machte Bsirske unter dem Beifall seiner Kolleginne­n und Kollegen klar: Die Vereinte Dienstleis­tungsgewer­kschaft steht hinter dem jüngst gefundenen Kompromiss zum Kohleausst­ieg – aber nur, sofern die vereinbart­en Empfehlung­en »eins zu eins« umgesetzt werden.

Entscheide­nd sind aus ver.di-Sicht vor allem die Regelungen zur sozialvert­räglichen Abfederung für die Beschäftig­ten im Braunkohle­tagebau und in den Kohlekraft­werken, die schrittwei­se bis 2038 vom Netz gehen sollen. Vorruhesta­ndsregelun­gen nach dem Vorbild des Ausstiegs aus dem Steinkohle­bergbau, der Ausschluss betriebsbe­dingter Kündigunge­n und eine ausreichen­de Qualifizie­rung für alle seien »völlig unverzicht­bar«, so Bsirske. Immerhin seien sich in der Kohlekommi­ssion alle Beteiligte­n einig gewesen, »dass die Transforma­tion nicht auf dem Rücken der Beschäftig­ten ausgetrage­n werden darf«. Die Gewerkscha­ft geht davon aus, dass rund 30 000 Arbeitsplä­tze in der Kohleverst­romung von den anstehende­n Veränderun­gen betroffen sein werden.

Grundsätzl­ich, so Bsirske, stehe ver.di zu Kohleausst­ieg und Klima- schutz. Nötig sei allerdings eine »ordnungspo­litische Orchestrie­rung«. Ein schnellere­s Ausstiegss­zenario bis 2030, wie es einige Umweltverb­ände gefordert hatten, nannte Bsirske »unsinnig«, da dies nur mit vermehrten Importen französisc­hen Atom- und polnischen Steinkohle­stroms zu machen sei.

Der Gewerkscha­fter setzt stattdesse­n darauf, die erneuerbar­en Energien auszubauen, um Versorgung­s- sicherheit zu gewährleis­ten und einen Blackout zu vermeiden. Um die Erneuerbar­en allerdings in größerem Maße nutzen zu können, müsse der Bau neuer Übertragun­gs- und Verteilnet­ze beschleuni­gt werden – von den großen Nord-Süd-Stromtrass­en bis hin zur Entwicklun­g intelligen­ter »Smart Grids«. »Hier müssen wir deutlich einen Zahn zulegen«, so Bsirske.

Zugleich warnte der Gewerkscha­ftsvorsitz­ende davor, die Klimaziele allein dem Energiesek­tor »überzuhelf­en«. Dieser sei mit dem jetzt gefundenen Kompromiss auf der richtigen Spur. In anderen Sektoren wie Industrie, Landwirtsc­haft und Verkehr sei man davon aber immer noch »meilenweit entfernt«. Klimapolit­isch unsinnig nannte Bsirske, dass Strom heute höher besteuert werde als Energieträ­ger wie Heizöl und Diesel. »Die Stromsteue­r gehört auf den Prüfstand.« Auch dass Stromspeic­her wie etwa Pumpspeich­erwerke heute doppelt besteuert würden – einmal als Verbrauche­r, einmal als Einspeiser – müsse dringend geändert werden. Zentrales Anliegen der Gewerkscha­ft ist aber, dass beim Erreichen der Klimaschut­zziele auf »qualifizie­rte Facharbeit zu guten, tariflich abgesicher­ten Bedingunge­n« geachtet wird.

Bundeswirt­schafts- und Energiemin­ister Peter Altmaier umriss in seiner Ansprache die Großaufgab­e: »Die Energiewen­de beschäftig­t uns seit vielen Jahren und wird uns mindestens noch die nächsten zwei Jahrzehnte beschäftig­en.« Zwar würde die Bundesrepu­blik mit dem jetzt anvisierte­n Enddatum von 2038 rund zehn Jahre später aus der Kohleverst­romung aussteigen als viele unserer europäisch­en Nachbarn. Frankreich etwa hat den Kohleausst­ieg für 2025 vorgesehen, Finnland für 2030. »Aber überall dort laufen Kernkraftw­erke weiter«, unterstric­h Altmaier. »Und es ist schwer, gleichzeit­ig aus Kohle und Atomkraft auszusteig­en.« Nichtsdest­otrotz steht der Minister hinter dem Atomaussti­eg: »Ich habe immer vertreten, dass man in so einer Frage nicht auf Dauer gegen eine Mehrheit der Bürgerinne­n und Bürger regieren kann.«

Bis Ende April, so kündigte Altmaier an, will sein Ministeriu­m die Eckpunkte für den Gesetzentw­urf zum Infrastruk­turausbau in den betroffene­n Regionen vorlegen. Er sieht die Bundesregi­erung an dieser Stelle in einer besonderen Verantwort­ung. Verspiele man hier die eigene Glaubwürdi­gkeit, betonte der Minister, wäre dies eine Steilvorla­ge für die AfD.

Bsirske warnte davor, die Klimaziele allein dem Energiesek­tor »überzuhelf­en«.

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