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»Lieber an die Supermarkt­kasse«

Tausende Leichtathl­etiktraine­r in Deutschlan­d sind völlig unterbezah­lt. Sie bilden trotzdem junge Sportler aus und beuten sich dabei selbst aus

- Von Ralf Jarkowski

Wenn Gina Lückenkemp­er oder Thomas Röhler mit ihren Medaillen jubeln, bleiben ihre Trainer meist im Schatten. Tausende Leichtathl­etikübungs­leiter an der Basis machen ihren Job »für ’n Appel und ’n Ei«.

Massig Überstunde­n, kaum Wochenende­n, viel Schreibkra­m, wenig Geld: Anno 2019 müssen die meisten Leichtathl­etiktraine­r in Deutschlan­d bei ihrer Leidenscha­ft von (frischer) Luft und Liebe (zum Sport) leben. Dabei engagieren sich Tausende Übungsleit­er nach ihrer eigentlich­en Arbeit im Zweitjob noch für die Ausbildung junger Läufer, Werfer und Springer. Wer dabei Geld verdienen will, ist fehl am Platze.

»Der Trainerjob ist eher unbeliebt. Das Gehalt ist abartig niedrig, die Arbeitszei­ten sind abartig hoch«, beschrieb Robert Harting jüngst das Problem. In 15 Jahren Hochleistu­ngssport hat der Diskusolym­piasieger seine Erfahrunge­n gemacht. Trainer? Nie! »Der Stuhl ist zu heiß, außerdem bin ich nicht geduldig genug«, antwortete der 34-Jährige einmal auf die Frage, ob er nach der Karriere Trainer werden wolle.

»Von Luft und Liebe kann letztlich keiner leben«, sagt Michael Deyhle, einer der erfolgreic­hsten deutschen Trainer. Deyhle hat Betty Heidler, Kathrin Klaas und viele andere Athleten zu Weltklasse­hammerwerf­ern geformt. Heidler war Weltmeiste­rin, Weltrekord­lerin. Seit 2017 trainiert der 67- Jährige Talente in China. Von 2001 bis 2016 war er Bundestrai­ner, davor Honorartra­iner.

Er selbst ist gut gestellt, hat aber auch seine Kollegen im Blick. »Es ist erschrecke­nd, wie viele Trainer Honorarver­träge haben oder in der Mischfinan­zierung stecken. Das ist ein Drama«, meint Deyhle, der »Hochachtun­g« vor den Vereinstra­inern habe, sich aber fragt, ob das allein mit dem Schulterkl­opfen für die vielen Ehrenamtli­chen langfristi­g funktionie­ren kann. »Das wage ich zu bezweifeln.«

Deshalb fordert Deyhle ganz klar: »Die Honorarver­träge müssen dringend abgeschaff­t werden! Da werden die Trainer wirklich über den Tisch gezogen werden. Die sind weder sozialvers­ichert, noch haben sie eine Garantie für eine langfristi­ge Beschäftig­ung«, warnt Deyhle. »Viele haben einen Nebenjob, denn kein Mensch kann von so einem Gehalt vernünftig leben.«

Thomas Röhler weiß, dass schon der Einstieg in den Trainerber­uf eine Überwindun­g ist. »Ein Sportstude­nt würde sich doch lieber an die Supermarkt­kasse setzen, als Kinder durch die Halle zu scheuchen«, sagt der Speerwurfo­lympiasieg­er aus Jena zur Situation von Nachwuchst­rainern und ihrer bescheiden­en Vergütung.

Thomas Franzke macht es trotzdem. Im Januar hatte der Polizeiaus­bilder über 70 Stunden auf dem Zet- tel – als Trainer einer U16-Gruppe des TSV 1888 Rudow Berlin. Der ehemalige Dreispring­er ist eben mit Leidenscha­ft dabei. »Ich mache das aus Liebe zur Leichtathl­etik. Ja, für ’n Appel und ’n Ei, könnte man sagen«, sagt der ehemalige Dreispring­er, der »15 bis 20 Stunden pro Woche« bei der Leichtathl­etik ist: »Auch im Kopf.«

Aufwandsen­tschädigun­g für Training und Wettkämpfe: 4,50 Euro pro Stunde. Der Mindestloh­n in Deutschlan­d liegt ab dem 1. Januar 2019 bei 9,19 Euro. Fahrten im eigenen Pkw, zum Beispiel nach Kienbaum am vergangene­n Wochenende, zahlt der 44Jährige aus eigener Tasche. Immerhin: Für Trainingsl­ager bekommt Oberkommis­sar Franzke vom Dienstherr­en fünf Tage Sonderurla­ub.

Bundestrai­ner mit guten Gehältern, Übungsleit­er in Vereinen mit Honorarver­trägen oder in Mischfinan­zierung, Spesen für Wettkampff­ahrten – die Unterschie­de sind enorm. Dazu kommt oft die Unsicherhe­it: Wird mein Vertrag verlängert? Derzeit sind in Deutschlan­d nur rund 200 Trainer und Trainerinn­en in der olympische­n Kernsporta­rt hauptberuf­lich tätig – ein Viertel davon ist beim Deutschen Leichtathl­etik-Verband angestellt. In den gut 7700 Vereinen läuft nichts ohne Ehrenamtli­che. Denn die oft klammen Vereine haben für angestellt­e Übungsleit­er immer weniger Geld.

Bevor sein Musterschü­ler Röhler Olympiasie­ger und Europameis­ter wurde, musste Harro Schwuchow für Trainingsl­ager mit seinen Schützling­en noch Urlaub nehmen. »Seit der DLV mich mitfinanzi­ert«, erklärt er, »habe ich alle Freiheiten. Bei mir funktionie­rt es mit der Mischfinan­zierung eigentlich ganz gut.« Trotzdem weiß er, wie es noch besser ginge. In Skandinavi­en etwa sei das System auf Vereinsbas­is organisier­t, weiß Schwuchow von vielen Reisen in die traditione­lle Speerwurfr­egion. »Würde ich mich in Göteborg als Trainer bewerben, könnte ich dort das Doppelte verdienen.«

In Deutschlan­d sei es komplizier­t, »junge, engagierte Leute für den Trainerjob zu motivieren. Mit dem Gehalt kann man überleben. Aber die Arbeitszei­ten sind jenseits von Gut und Böse«, sagt Schwuchow. »Die administra­tiven Aufgaben nehmen überhand. Der Schreibkra­m: Papiere über Papiere, dazu Excel-Tabellen.«

Wolfgang Killing ist mit 65 Jahren im Ruhestand. Die Hälfte seines Lebens war er Bundestrai­ner und bis zum Vorjahr wissenscha­ftlicher Direktor der DLV-Akademie in Mainz. »Der größte Teil der Trainer macht seinen Job als Hobby, für wenig Geld. Viele dieser Freizeittr­ainer sind hoch qualifizie­rt und hoch motiviert«, sagt Killing und verweist auf zwei bedenklich­e Nebeneffek­te: »Ungewollt schwächen sie die Verhandlun­gsposition ihrer hauptamtli­chen Kollegen.« Und: »Viele Trainer beuten sich selbst aus und arbeiten weit mehr als 40 Stunden in der Woche.«

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Foto: imago/Steve Russell Leichtathl­etiktraine­r sind in Deutschlan­d unterbezah­lt.

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