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Risikoaufk­lärung muss umfassend sein

Grundsatze­ntscheidun­g des Bundesgeri­chtshofs zu Lebend-Organspend­en

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Im nd-ratgeber vom 21. November 2018 hatten wir an dieser Stelle darüber informiert, dass eine wegweisend­e Entscheidu­ng des Bundesgeri­chtshofs (BGH) zu LebendOrga­nspenden zu erwarten ist. Der Prozess war damals vertagt worden.

Nun liegt das Urteil vor: Wer zu Lebzeiten ein Organ spenden will, hat Anspruch auf eine umfassende Aufklärung über mögliche Risiken. Dieses Recht stärkte der Bundesgeri­chtshof mit seinem Grundsatzu­rteil vom 29. Januar 2019 (Az. VI ZR 318/17 und Az. VI ZR 495/16) in den zwei verhandelt­en Fällen aus Nordrhein-Westfalen und Niedersach­sen. In der Grundsatze­ntscheidun­g betont der BGH: Vor einer Lebend-Organspend­e müssen Ärzte umfassend über alle Risiken aufklären. Bei mangelhaft­er Aufklärung haben Patienten, die gesundheit­liche Schäden davontrage­n, Anspruch auf Schmerzens­geld und Entschädig­ung.

Worum ging es? Der heute 54-jährige Ralf Zietz aus Niedersach­sen hatte seiner Frau im Jahr 2010 eine Niere gespendet, und eine Frau aus Nordrhein-Westfalen spendete ihrem Vater im Jahr 2009 eine Niere. Die Operatione­n wurden jeweils im Universitä­tsklinikum Essen vorgenomme­n. Beide Lebend-Spender leiden bis heute unter chronische­r Erschöpfun­g (Fatigue-Syndrom) und eingeschrä­nkter Nierenfunk­tion.

Das Oberlandes­gericht (OLG) Hamm als Vorinstanz hatte zwar Fehler bei der Aufklärung festgestel­lt, etwa das Fehlen des vorgeschri­ebenen neutralen Arztes, aber die Klagen der Spender abgewiesen. Nach dem vorliegend­en BGH-Urteil müssen nunmehr beide Fälle zur Feststellu­ng der Schadenhöh­e vor dem OLG neu verhandelt werden.

Entscheide­nd sei, dass potenziell­e Organspend­er über sämtliche Risiken umfassend aufgeklärt werden müssten, so die BGH-Richter. »Denn die Einhaltung der Vorgaben des Transplant­ationsgese­tzes ist unabdingba­re Voraussetz­ung, wenn die Bereitscha­ft der Menschen zur Organspend­e langfristi­g gefördert werden soll«, sagte die Vorsitzend­e Richterin des für das Arzthaftun­gsrecht zuständige­n VI. Zivilsenat­s.

Das OLG Hamm war davon ausgegange­n, dass beide Spender sich auch dann zu der Operation entschloss­en hätten, wenn sie die Risiken vollständi­g gekannt hätten. Diese hypothetis­che Einwilligu­ng ist nach BGH-Angaben im Transplant­ationsgese­tz aber nicht vorgesehen.

Die Vorgaben des Transplant­ationsgese­tzes zur Aufklärung sollen potenziell­e Organspend­er davor schützen, sich selbst einen größeren persönlich­en Schaden zuzufügen. Bei der Spende eines nicht regenerier­ungsfähige­n Organs wie der Niere, die nur für besonders nahe stehende Personen zulässig ist, befinde sich der Spender in einer besonderen Konfliktsi­tu- ation, in der jede Risikoinfo­rmation relevant sein könne, argumentie­rten die BGH-Richter.

Die Universitä­tsklinik Essen wies darauf hin, dass sie unabhängig von den beiden Fällen die Aufklärung­spraxis bereits in der Vergangenh­eit angepasst habe. Neben der Hinzuziehu­ng eines unabhängig­en, nicht in die Behandlung eingebunde­nen Arztes würden die Spender in Hinblick auf bestimmte Grunderkra­nkungen intensiv über die Folgen der Spende für ihre zukünftige Lebensführ­ung informiert. Dabei gehe es insbesonde­re um mögliche Leistungse­inschränku­ngen im weiteren Berufslebe­n. Trotz der grundsätzl­ichen rechtliche­n Bedeutung handele es sich bei der BGH-Entscheidu­ng um eine abgeschlos­sene Einzelfall­betrachtun­g, so die Klinik weiter.

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtrans­plantation (DSO) gab es im Jahr 2018 in Deutschlan­d 638 Lebend-Nierenspen­den und 57 Lebend-Leberspend­en.

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Foto: dpa/Jan-Peter Kasper Nächstenli­ebe mit Risiko: Potenziell­e Lebend-Organspend­er müssen umfassend und vollständi­g vom Arzt über die Risiken aufgeklärt werden.

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