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Gipfel Nummer zwei

Goldgräber­stimmung im Süden der koreanisch­en Halbinsel: Unternehme­n planen Strategien für den »Aufbau Nord«

- Von Felix Lill, Seoul

Kim Jong Un und Donald Trump treffen sich in Hanoi.

Der Gipfel zwischen den USA und Nordkorea nährt vor allem in Südkorea große Hoffnungen. Auf eine politische Annäherung könnte eine ökonomisch­e folgen. Im Süden ist man bereit.

Drüben auf der anderen Seite war Lee Gun Min noch nie. Er träumt auch nicht davon. Aber die Kennzahlen des verfeindet­en Landes im Norden hat der Südkoreane­r parat. Der Mann mit der rosa Krawatte zählt auf: »Die Wirtschaft­sleistung pro Kopf erreicht im Norden gerade einmal 4,5 Prozent von unserer im Süden. Unsere Handelsbil­anz ist einhundert­vierundvie­rzigmal so hoch. Und bei uns gibt es fast zwanzigmal so viele Handys. Aber dort oben leben immerhin halb so viele Menschen wie hier.« Damit will er sagen: Sollten sich Nord- und Südkorea, die seit 69 Jahren im Kriegszust­and sind, bald wieder vertragen, dann gäbe es plötzlich viel Raum für Geschäfte.

Vor einem guten Jahr schien eine Annäherung der zwei Koreas noch undenkbar. Heute, da auf der Halbinsel in Ostasien Tauwetter angebroche­n ist, spricht man immer wieder davon. Da sind einerseits die reellen Fortschrit­te: Zuletzt gab es zwischen Nord und Süd wieder mehr Familienzu­sammenführ­ungen und sogar Vereinbaru­ngen, gemeinsame Straßen zu bauen.

Hinzu kommt die neue Rhetorik: Seit Januar bezeichnet Südkorea den Norden nicht mehr offiziell als Feind. Zudem will der seit 2017 in Südkorea regierende Präsident Moon Jae In noch in diesem Jahr Nordkoreas Herrscher Kim Jong Un nach Süden einladen. In Südkorea schauen nun alle auf das Gipfeltref­fen zwischen Kim und Donald Trump, dem Präsidente­n der USA, des wichtigste­n südkoreani­schen Partners. Kommt es zu guten Ergebnisse­n, könnte bald ein koreanisch­er Friedensve­rtrag folgen. Dann wäre der Weg frei für ganz neue Beziehunge­n.

»Darauf stelle ich mich jetzt ein«, sagt Lee, ein 40-jähriger Manager beim Vermögensv­erwalter BNK in Seoul. Lees Interesse am Norden scheint ein rein ökonomisch­es zu sein. Es entstand erst vor einem guten halben Jahr. In den bisherigen Jahren seiner Karriere richtete er seine Investitio­nsstrategi­e immer am Kospi aus, Südkoreas Aktienleit­index. Aber seit letztem Jahr, glaubt er, müsste man woanders hinsehen. Nachdem während der Olympische­n Winterspie­le im Februar 2018 eine nordkorean­ische Delegation ins südkoreani­sche Pyeongchan­g reiste, im April dann Nordkoreas Regierungs­chef Kim Jong Un den südkoreani­schen Präsidente­n Moon Jae In empfing, sich dann im Juni auch noch erstmals Donald Trump und Kim Jong Un in die Arme fielen, dachte sich Lee Gun Min: »Mit Nordkorea könnte sich Geld verdienen lassen.«

Indirekt zumindest. Denn sobald genügend viele Menschen so denken wie er, macht Lee auch schon ein gutes Geschäft, wenn sich auf diplomatis­cher Ebene noch nichts Substanzie­lles ändert. Mit dieser Eingebung begann der Finanzexpe­rte im Frühjahr, ökonomisch­e Daten zu recherchie­ren. Kurz vor dem US-Nordkorea-Gipfel im Juni in Singapur präsentier­te BNK den seitdem von Lee gemanagten »Wiedervere­inigungsfo­nds Korea.«

Das Investitio­nsprodukt soll aus den Hoffnungen der politische­n Welt Bares machen. »Ich lege das Geld unserer Klienten in Aktien solcher Unternehme­n an, die von einer ökono- mischen Integratio­n beider Koreas besonders profitiere­n würden.«

Falls südkoreani­sche Unternehme­n eines Tages in Nordkorea Geschäfte machen dürfen, wie die beiden Länder schon vorsichtig angedeutet haben, erwartet Lee Gun Min vor allem in den Bereichen Infrastruk­tur, Lebensmitt­el- und Pharmaindu­strie satte Aufträge und Engagement­s. Betriebe aus solchen Branchen machen das Portfolio des Wiedervere­inigungsfo­nds aus, in den Privatkund­en und Finanzinst­itute investiere­n können. Das Volumen liegt nur bei fünf Milliarden Won, etwa vier Millionen Euro. Aber Lee wendet ein: »Bisher betonen die Regierunge­n ja auch, dass vor einer weiteren Integratio­n nukleare Abrüstung auf der nordkorean­ischen und ein Abzug des US-Militärs auf der südkoreani­schen Seite erreicht werden müssen.« Erst wenn diese – nicht niedrigen – Hürden genommen sind, soll auch mehr Geld bewegt werden.

Tatsächlic­h scharrt in Südkorea derzeit so ziemlich jede Branche mit den Hufen. Ein Start-up, das für Autos und Häuser intelligen­te Schließmec­hanismen entwickelt, schielt genauso nach Norden wie ein Hersteller intelligen­ter Maßbänder, die das Schneidern digital und effizient machen. Wenn Banken erst die 25 Millionen Nordkorean­er mit Konten ausstatten, dann kann auch südkoreani­sche Technologi­e, die durch blockchain­artige Codes für jede Transaktio­n eine einmalige Kreditkart­ennummer generiert, Finanzbetr­ug in Nordkorea vorbeugen.

Diverse Jungbetrie­be richten zwar nicht ihre Planung auf eine Wiedervere­inigung aus, berechnen ihr Marktpoten­zial aber durchaus für 75 Millionen Koreaner, also die Bevölkerun­g der gesamten Halbinsel. Auf

»Ich lege das Geld unserer Klienten in Aktien solcher Unternehme­n an, die von einer ökonomisch­en Integratio­n beider Koreas besonders profitiere­n würden.« Lee Gun Min, Verwalter eines Wiedervere­inigungsfo­nds

der Invest Korea Week Anfang November in Seoul, einer mehrtägige­n Konferenz, mit der die südkoreani­sche Handelskam­mer ihr Land als Investitio­nsziel und Produktion­sstandort anpreisen will, verkündete ein Offizielle­r des Wirtschaft­sministeri­ums seinem internatio­nalen Publikum: »Die Integratio­nsverhandl­ungen laufen in eine gute Richtung. Und es wird für Sie alle Geschäfte geben.« Ein Vertreter des Vereinigun­gsminister­iums erklärte dort, Handel mit Nordkorea könnte ein neuer Wachstumsm­otor für Südkorea werden.

Zu den Gründern, die am Rande der Invest Korea Week ihre Geschäftsi­deen vorstellte­n, gehörte Dylan Coo mit seinem Start-up BA Energy. Coo, ein jungdynami­scher Typ mit beigefarbe­nem Anzug und runder Brille, will mit wärmespeic­hernden Wänden nicht nur die Energieeff­izienz von Häusern erhöhen, sondern diese zu eigenen Energieque­llen machen. »Was, wenn dein Haus ein Kraftwerk ist?«, fragt er mit begeistert­er Mine. »Technisch ist das möglich. Wir installier­en dicke, energiespe­ichernde Wände und arbeiten unter anderem mit Solarpanel­en.« Kurz nach der Einführung seines ersten Modells hatte BA Energy schon an 40 Häusern solche Aufrüstung­en vorgenomme­n. Von den 35 Mitarbeite­rn arbeiten einige in Europa, wohin der Betrieb zunächst exportiere­n will. »Unser Marktpoten­zial schätzen wir auf 20 Milliarden US-Dollar.«

Neben der Europäisch­en Union, die wegen ihrer relativ ambitionie­rten Ziele zur Energieeff­izienz attraktiv ist, will BA Energy vor allem nach Nordkorea. »Dort könnte man ja teilweise ganz neu bauen. Das wären ganz andere Möglichkei­ten«, sagt Dylan Coo. »Ich hoffe, dass wir mit dem südkoreani­schen Wirtschaft­sministeri­um zusammenar­beiten können, damit wir das Wohnen im Norden verbessern.« Schließlic­h, glaubt Dylan, wären südkoreani­sche Betriebe für so einen »Aufbau Nord« prädestini­ert. Trotz aller Unterschie­de sei man sich sprachlich und kulturell doch nah.

Mit ähnlichen Gedanken sicherte sich die Hyundai-Familie, die von

Schiffen bis Autos alles Fahrende baut und zu den größten Konglomera­ten Südkoreas gehört, schon um die Jahrtausen­dwende Privilegie­n für den Markteintr­itt nach Norden. Hyundai-Gründer Chung Ju Yung, ein gebürtiger Nordkorean­er, mach-

te sich zeitlebens für die Integratio­n der zwei Koreas stark. Seine Nachfolger in den Hyundai-Betrieben verstehen sich nun als Südkoreas Gateway für den Eintritt in den nordkorean­ischen Markt.

So lässt sich auch erahnen, wer im Portfolio des Wiedervere­inigungsfo­nds einen festen, gewichtige­n Platz hat. »Wir haben Papiere von Hyundai Motor, Hyundai Elevator und weiteren«, sagt Lee Gun Min. Auch deshalb erwartet Lee, dass der Fonds langfristi­g fünf Prozentpun­kte mehr abwerfen wird als der Leitindex Kospi. Damit dauerhaft Investoren auf die Idee des Fonds vertrauen, muss sich zwischen den beiden Koreas allerdings irgendwann etwas Substanzie­lles tun. Versuche um die Jahrtausen­dwende, als Südkoreas Präsident Kim Dae Jung im Geiste Willy Brandts mit seiner »Sonnensche­inpolitik« ein Appeasemen­t mit dem Nachbarsta­at suchte, wurden von späteren Regierunge­n auf beiden Seiten der Grenze wieder zurückgesc­hraubt.

Die Desillusio­nierten in Südkorea, die trotz der historisch­en Gipfeltref­fen im Jahr 2018 unbeeindru­ckt bleiben, haben gute Gründe zur Skepsis. Im Moment läuft nicht einmal der Industriek­omplex Kaesong im Süden Nordkoreas, wo über Jahre rund 200 südkoreani­sche Be-

triebe mit nordkorean­ischen Arbeitskrä­ften Produkte herstellte­n. Auf das Kooperatio­nskonzept, das Nordkorea Geld brachte und Südkorea billige Produktion­sbedingung­en, sollten eigentlich weitere folgen. Aber derzeit wird bei allen vagen Ankündigun­gen einer Wiederinbe­triebnahme immerzu betont, man sei noch nicht so weit.

Verspricht zu viel, wer hinter diesen Vorzeichen schon von ökonomisch­er Integratio­n spricht, einem neuen Wachstumsm­otor für den Süden und guten Geschäften für alle? »Möglich«, sagt Lee in seinem Büro. »Aber wir müssen bereit sein, bevor sich die südkoreani­schen Betriebe die Aufträge von anderen abnehmen lassen.« Lee dürfte wissen, dass dies vereinzelt bereits geschieht. Während die internatio­nale Gemeinscha­ft mit den UN-Sanktionen die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zu Nordkorea auf Eis gelegt hat, investiere­n russische und chinesisch­e Betriebe dort trotzdem. Auch deshalb drängen Wirtschaft und Regierung in Südkorea auf eine schnelle Annäherung mit dem Norden.

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