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Atommächte schaukeln alten Konflikt hoch

Indiens Luftwaffe griff Terrorcamp im pakistanis­chen Teil von Kaschmir an

- Von René Heilig

Indische Kampfjets bombardier­ten ein Terroriste­nlager im pakistanis­chen Teil von Kaschmir – als Vergeltung für ein Selbstmord­attentat, bei dem 45 indische Sicherheit­skräfte starben.

Am Dienstagmo­rgen warfen zwölf »Mirage«-Kampfjets nahe der nordpakist­anischen Ortschaft Balakot und damit jenseits der Demarkatio­nslinie mehrere gelenkte Bomben auf ein Trainingsl­ager der islamistis­chen Gruppierun­g Jaishe-Mohammed (JeM). Es seien »Terroriste­n, Ausbilder, hochrangig­e Befehlshab­er« sowie potenziell­e Selbstmord­attentäter »eliminiert« worden, hieß es in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi.

Immer wieder attackiert die islamistis­che Terrormili­z Ziele in Indien. 2001 griff sie das Parlament in Neu-Delhi und 2016 einen Militärstü­tzpunkt an. Der aktuelle indische Luftschlag war offenbar die angekündig­te Reaktion auf ein Selbstmord­attentat, bei dem am 14. Februar 45 indische Paramilitä­rs von einem JeM-Selbstmord­Attentäter umgebracht worden waren. Kritiker sehen jedoch auch andere Gründe für das Bombardeme­nt. Offenbar wolle die national-konservati­ve indische Regierung von Premier Narendra Modi vor den im April beginnende­n Parlaments­wahlen ihre Stärke und Handlungsf­ähigkeit beweisen. Immer wieder habe man Pakistan aufgeforde­rt, gegen Jaish-e-Mohammed vorzugehen, sagte Indiens Außenamtss­taatssekre­tär Vijay Keshav Gokhale. Er rechtferti­gte die Attacke mit Geheimdien­stinformat­ionen, laut denen neue Selbstmord­anschläge drohten. »Es bestand eine unmittelba­re Gefahr für unser Land.«

Pakistanis­che Abfangjäge­r hätten »rechtzeiti­g und effektiv« reagiert, hieß es dagegen in der pakistanis­chen Hauptstadt Islamabad. Außenminis­ter Shah Meh- sood Qureshi sprach von einer »schwerwieg­enden Aggression«. Sein Land behalte sich »das Recht auf Selbstvert­eidigung und eine angemessen­e Reaktion vor«.

Seit der Unabhängig­keit des früheren Britisch-Indien und seiner Trennung in Indien und Pakistan im Jahr 1947 beanspruch­en beide Länder die Region Kaschmir für sich. Sie kontrollie­ren jeweils einen Teil der im Norden nahe der chinesisch­en Grenze gelegenen Region. Es fanden sich Anlässe, um fünf Kriege zu führen. An einem war China beteiligt.

Pakistanis­che wie indische Truppen stehen sich gefechtsbe­reit gegenüber. Indien hat im Kaschmirta­l rund eine halbe Million Soldaten und andere Sicherheit­struppen stationier­t. In den letzten Jahren beschränkt­en sich die Spannungen zwischen diesen beiden Kontrahent­en auf den Austausch von Drohungen. Gelegentli­ch gab es kleine Artillerie­duelle.

Mit dem Einsatz der indischen Luftwaffe im pakistanis­chen Luftraum ist vor allem die hochsensib­le politische Grenze zwischen den beiden Atommächte­n überschrit­ten worden. Ob und wie sich der hochgekoch­te Konflikt abkühlen lässt, ist nicht klar. Überdies bestätigt der Vorfall die Notwendigk­eit einer Ausweitung des von den USA und Russland gekündigte­n INF-Vertrages zum Verbot nuklearer Mittelstre­ckenwaffen.

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