Gewusel bei Puccini
»La Bohème« sorgt an der Komischen Oper in Berlin für Gänsehaut – und für Peinliches mit Spandex, Clownsnasen und Federboa.
Da konnten sie noch so neidisch über die Alpen rüberlinsen, so genial wie der Sachsenzwerg waren die Romanen nie. Weder Verdi noch Puccini reichten an die musikalische Virtuosität Wagners heran, obwohl dieser nicht viel mehr als Deutschtümelei, Stabreime und auf Schwänen reitende Helden im Hirn hatte. Wenigstens besaßen die Italiener etwas Humor, der ihren ganzen Schmalz um Tod und Liebe verdaulich machen konnte. Zwischen all dem Schmachten und Vergehen war immer noch etwas Platz für sarkastische Kommentare auf die Fratzen der Gesellschaft, während im Ring die massigen Walküren bierernst gen Walhall kämpften. In Giacomo Puccinis »La Bohème« von 1896 geht es um große, unschuldige Gefühle der einfachen Bevölkerung, in denen ein jeder sich wiederfinden soll. »Verismus« nannte man das, wenn nicht Adel und Fantasiewesen in mystischen Ländern toben, dafür aber der schnöde Tod als entzauberte Bedrohung. Die Schwindsucht raubt den Liebenden ihren Trost, der wenigstens die Kälte vertreibt – »Niuno è solo l’april/Im April ist niemand allein« ist wohl einer der weisesten Sätze der Opernliteratur.
Barrie Kosky, seines Zeichens Intendant der Komischen Oper zu Berlin, mag keinen Wagner mehr inszenieren. Ein Unglück – feierte der Mann mit den »Meistersingern von Nürnberg« 2017 in Bayreuth doch seinen größten Erfolg. Solche ironiefreien Epen stehen dem Australier gut zu Gesicht, weil er gerne effeminiert blödeln und klamauken lässt. Jegliches Humoristische, also alles Lustige, ist auf jeden Fall und in höchstem Maße von ihm fernzuhalten, weil er außer Slapstick und »Rocky Horror Picture Show« nichts davon versteht. In seiner Inszenierung von »La Bohème« wimmeln wieder ein paar Transvestiten herum, während die Künstlerjunggesellen albern und Fratzen ziehen dürfen. Bunte Kostüme, Männer in Fummeln, geschminkte Exzentriker und Federboas schmücken im zweiten Akt das Quartier Latin. Ein hervorragender Kinderchor unter der Leitung von Dagmar Fiebar, in schwarzem Spandex mit Clownsnasen, darf mithüpfen und hat sichtlich Spaß am Trubel. Vielleicht sollte man sich der Kinderoper widmen und nicht ständig mit infantilem Witzverständnis Erwachsenen den Nerv rauben.
Intellektuell wird außer Wikipedia wenig geboten. Weil die Urform der Fotografie, genannt Daguerreotypie, ungefähr um 1839 in Paris erfunden wurde und »La Bohème« um 1830 in
Paris spielt, scheint man verblüffende Parallelen zur Handlung entdeckt zu haben. Fotoplatten verblassen mit der Zeit: »Die Jugend! Der Tod! Die Vergänglichkeit! Alles drin!!!« Deswegen schmücken Projektionen von frühen Positiven, sowie eine halbwegs historische Balgenkamera den Bühnenraum. Maler Marcello ist hier also Fotograf und drückt erst recht noch einmal den Auslöser, als die dahinsiechende Mimi ihren letzten Atem aushaucht: »Die Millenials! Das Instagram! Alles drin!!!« Mit trivialen Fakten aus der Geschichte lassen sich herrlich einfach Bedeutungsebenen konstruieren.
Kapellmeister Jordan de Souza hebt das Niveau, weil er die Oper mit großer Dynamik und angenehm zügigem Tempo vorantreibt. Das Puccini’sche Freud- und Leidgewusel im ersten Akt läuft traditionell Gefahr lediglich manierlich dahinzuplätschern, wenn man sich als Dirigent allzu sehr auf das textlich angelegte Pathos verlässt. Hier nicht – es bleibt spritzig und emotional und geht in den Arien ganz unweigerlich an die Tränendrüse. So soll es sein, was will man auch sonst, außer ein bisschen kuschlig seufzen und flennen, weil es draußen nur einige Grad über null hat.
In den Hauptrollen treten Nadja Mchantaf als Mimi, Vera-Lotte Böcker als Musetta, Jonathan Tetelman als Rodolfo und Günter Papendell als Marcello auf. Die einzeln recht durchschnittlichen Gesangsleistungen erweisen sich im Zweiund Dreiklang als gut aufeinander abgestimmt, was man zum Beispiel in Musettas Walzer, dem »Quando m’en vo’«, erfahren kann. Wenn Böcker und Papendell vor Eifersucht und Leidenschaft aufeinanderbrüllen, wird es kurz gar ekstatisch; der Kanadier am Taktstock sorgt für entzückende Wellen der Gänsehaut. Das macht Wagner-Hassern Spaß.
Weitere Vorstellungen: 17., 22. und 30. März, 4. und 19. April.
Wenigstens besaßen die Italiener etwas Humor, der ihren ganzen Schmalz um Tod und Liebe verdaulich machen konnte. Zwischen all dem Schmachten und Vergehen war immer noch etwas Platz für sarkastische Kommentare.