Bereit zu weiteren Streiks
Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst gehen in die entscheidende Runde
Berlin. Nach der Tarifrundenchoreografie sollte die an diesem Donnerstag in Potsdam beginnende dritte Verhandlungsrunde für die mehr als 800 000 Tarifbeschäftigen im öffentlichen Dienst der Länder die letzte sein. Doch die Einschätzungen zum Stand der Verhandlungen könnten unterschiedlicher nicht sein. So meint der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, Verhandlungsführer der Gewerkschafen, man habe bislang in erster Linie über einzelne Berufsgruppen zum Beispiel im IT-Bereich oder in der Krankenpflege gesprochen. Er warnt, bei weiterer »Blockade« durch die Arbeitgeber sei man bereit, die Streiks in der nächsten Woche auszudehnen. Dagegen zeigt sich Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), der für die Bundesländer verhandelt, eher optimistisch. »In der zweiten Verhandlungsrunde ist es gelungen, die wichtigen Strukturthemen zu besprechen«, erklärt er gegenüber »nd«. In der dritten Runde sollten eine Verständigung über das Volumen erzielt, noch offene Punkte geklärt und dann ein Gesamtpaket geschnürt werden. »Wenn sich beide Seiten aufeinander zu bewegen, kann das auch gelingen«, so Kollatz.
Seit Wochenbeginn haben die Gewerkschaften den Druck auf die Arbeitgeber nochmals mit ganztägigen Warnstreiks in zahlrei- chen Bundesländern erhöht. Auch am Mittwoch legten Beschäftigte in Kitas, Schulen, Unikliniken, Behörden und Verwaltungen die Arbeit nieder. In der Hauptstadt beteiligten sich nach Gewerkschaftsangaben 16 000 Menschen an der zentralen Streikdemonstration – so viele wie seit etlichen Jahren nicht. Auch Eltern unterstützten die Aktionen.
Die Tarifverhandlungen sind bis Sonnabend angesetzt. Ver.di fordert sechs Prozent Gehaltssteigerung, mindestens aber ein Plus von 200 Euro sowie zusätzlich 300 Euro für die Pflegebeschäftigten. Die Länder lehnen das bislang ab.
Als Finanzsenator in Berlin ist Matthias Kollatz kein Knauserer. Als Verhandlungsführer der Länder muss dennoch hart mit ihm gerungen werden, wie viel an den öffentlichen Dienst verteilt werden soll.
Bei einem Verhandlungsführer, der einer rot-rot-grünen Regierung angehört, sind die Erwartungen besonders groß. Selbst wenn klar ist, dass der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) in den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder nicht nur die Linie der eigenen Koalition vertreten kann, sondern auch für die politisch andersfarbigen Bayern, Sachsen oder Nordrhein-Westfalen sprechen muss: »Gute Arbeit«, das Leitbild von Gewerkschaften, genießt bei Linkspartei, Grünen und Sozialdemokraten große Unterstützung. In der Rolle als Arbeitgeber im öffentlichen Dienst müssen sie daher beweisen, wie ernst es ihnen damit ist. Im Koalitionsvertrag von Berlin ist denn auch von einem »modernen, leistungsfähigen und attraktiven öffentlichen Dienst, der die Potenziale der Beschäftigten nutzt und wertschätzt«, die Rede. Dass es dabei nicht mit Schulterklopfen getan ist, dürfte allen Beteiligten klar sein. »Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen etwas davon haben, dass es den Ländern besser geht«, bestätigt Kollatz gegenüber »nd«.
In der Berliner SPD gilt er als Linker. Als Berlins Regierender Michael Müller Kollatz im Jahr 2014 als neuen obersten Finanzverwalter in der hoch verschuldeten Hauptstadt präsentierte, war man im ohnehin als links verschrienen Landesverband der SPD ganz aus dem Häuschen. Begeistert berichteten Sozialdemokraten über den ehemaligen stellvertretenden Juso-Bundesvorsitzenden aus Hessen, der noch heute als Delegierter bei Parteitagen mit derben linken Kommentaren auffallen würde. Das ist die eine Seite des Matthias Kollatz, der als linker Keynesianer die Investitionen in Berlin auf über zwei Milliarden Euro hochfuhr – in Koalitionskreisen wird er deshalb inzwischen auch scherzhaft »Moneten-Matze« genannt, weil er zahlreiche Projekte wie die milliardenschwere Schulbau-Offensive angeschoben hat. Kollatz hat auch einen Notfonds aufgelegt, um in einer Rezession Mittel zur Verfügung zu haben, um gegebenenfalls Investitionspakte auflegen zu können.
Unter der Ägide von Kollatz wurde auch der elendige Sparkurs im öffentlichen Dienst in der Hauptstadt beendet: Gegenüber knapp 100 000 Beschäftigten im Landesdienst und bei den Bezirken wie im Jahr 2014 ar- beiten jetzt wieder 10 000 Beamte und Tarifbeschäftigte mehr in der schnell wachsenden Metropole. Nach den harten Sparjahren war dieses Umlenken angesichts des maroden Zustands der Behörden überfällig. Kollatz, der in Berlin die Personalverantwortung trägt, kennt die Nöte der Beschäftigten im Staatsdienst also sehr genau. Dass Erzieher und Pflegekräfte mehr Geld bekommen müssen, bezweifelt der Finanzsenator nicht, das fordert die SPD ja selber. »In einigen Berufsgruppen wollen wir strukturell etwas tun, durch Eingruppierung oder durch Zulagen«, sagt Kollatz vor der dritten Verhandlungsrunde in Potsdam mit explizitem Verweis auf Erzieherinnen und Erzieher.
Neben dem linken Keynesianer gibt es aber noch den anderen Kollatz. Eben jenen harten Finanzer, der sich als Verhandlungsführer zwar kompromissorientiert gibt, der aber zugleich sagt, trotz der sprudelnden Einnahmen – allein das Land Berlin verzeichnete im vergangenen Jahr einen Haushaltsüberschuss von mehr als 2,4 Milliarden Euro – sei nicht genug für alle da. So führten strukturelle Verbesserungen einer Berufsgruppe dazu, dass sich der Spielraum beim Gesamtvolumen verringert. »Wir müssen zu einer Balance kommen.«
Die Gewerkschaften fordern für die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder sechs Prozent mehr Lohn, mindestens aber eine Erhöhung um 200 Euro sowie einen weiteren Zuschlag für die Pflegebeschäftigten. Außerdem geht es um strukturelle Verbesserungen der Entgeltordnung und eine gerechtere Eingruppierung. Kollatz geht das zu weit: »Was man nicht machen kann, dass man alles an Wünschen für einzelne Gruppen noch oben drauf sattelt«, sagt der Senator. Denn bezahlt werden müssten auch neue Stellen, Investitionen und Schulden. Da blitzt dann der Kollatz auf, der vor seinem Berliner Amt bei der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers tätig war und der mit Verweis auf die Schuldenbremse in seiner Amtszeit die finanziellen Belastungen Berlins von 63 Milliarden Euro auf unter 58 Milliarden gesenkt hat.
Die Gewerkschaften haben eine andere Vorstellung von Balance. Kollatz verlange, dass einige zugunsten anderer auf berechtigte Lohnsteigerungen verzichten sollen, empört sich die Gewerkschaft ver.di, die die Tarifverhandlungen auch für GdP, GEW und IG BAU führt. Ihnen ist wichtig, dass insgesamt das Volumen groß genug ist, um ein Gegeneinanderausspielen zu verhindern.
Mit dieser Haltung ihres Finanzsenators hatte zuletzt auch die Berliner SPD selbst ihre Probleme. Als aus dem Kreis des Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh im Herbst Pläne bekannt wurden, die schlechten Berliner Landesgehälter nicht mehr nur auf den Durchschnitt der Bundesländer anzuheben, sondern gleich auf Bundesniveau, stemmte sich Kollatz mit Vehemenz dagegen. Zu teuer. Auch jetzt als Verhandlungsführer für die Bundesländer bleibt er dabei. Unterschiede in der Bezahlung gebe es immer und überall, argumentiert der Wahlberliner, und nicht nur zwischen Bund, Ländern und Kommunen. So bekämen die einen Mitarbeiter »Ministerialzulagen«, in anderen Behörden derselben Stadt aber nicht. Wichtig sei, »dass die Differenzen nicht zu groß werden«.
Am Ende beschloss die Berliner SPD eine »Berlin-Zulage« von 150 Euro monatlich, die jeder Angehörige des öffentlichen Diensts ab 2020 bekommen soll. Damit will Berlin das Niveau des Bundes erreichen, mit dessen Behörden es um die Mitarbeiter direkt konkurriert. Für »Moneten-Matze« stellt der Parteitagsbeschluss einen Schlag ins Kontor dar. Ob und wie die Berlin-Zulage kommt, muss indes erst mit den Koalitionspartnern ausgehandelt werden – genau wie über die richtige Balance für den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst noch hart gerungen werden wird.
Heute beginnt die dritte Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst der Länder. Ursprünglich waren zwei Tage dafür angesetzt, inzwischen wird offiziell von Verhandlungen bis Sonnabend gesprochen. Mindestens. Ob danach tatsächlich ein Paket geschnürt ist, mit dem alle Seiten zufrieden sind – die Gewerkschaften haben Zweifel.
Neben dem linken Keynesianer gibt es aber noch den anderen Kollatz. Eben jenen harten Finanzer, der sich als Verhandlungsführer zwar kompromissorientiert gibt, der aber zugleich sagt, trotz der sprudelnden Einnahmen sei nicht genug für alle da.