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Politikmon­opol für Parteien

Alfred Eibl von Attac über den drohenden Entzug der Gemeinnütz­igkeit und Angriffe auf die Zivilgesel­lschaft

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Nach einem Urteil vom Bundesfina­nzhof droht Attac der endgültige Entzug der Gemeinnütz­igkeit. Kritiker warnen vor einem Angriff auf die gesamte Zivilgesel­lschaft. Zu Recht?

Ja. Im Prinzip droht mit dem Urteil und seiner Begründung jedem gemeinnütz­igen Verein, der sich irgendwie politisch äußert, der Verlust der Gemeinnütz­igkeit. Und politisch kann ja alles sein. Die Finanzämte­r – und damit die politische­n Entscheidu­ngsträger – haben nun einen sehr weitreiche­nden Hebel, mit dem sie eingreifen können. Allein die Angst davor wird Organisati­onen zu defensivem Verhalten bringen.

Wie lautet die Begründung?

Das Urteil argumentie­rt sehr politisch und wenig juristisch. Beispielsw­eise steht in der Begründung: »Politische Bildung ist nicht förderbar, wenn sie eingesetzt wird, um die öffentlich­e Meinung zu beeinfluss­en.« Jede politische Bildung beeinfluss­t aber die Meinung von Menschen und damit auch die öffentlich­e Meinung. Ein zweiter Satz: »Bei der Förderung der Volksbildu­ng hat sich die Einflussna­hme auf bildungspo­litische Fragestell­ungen zu beschränke­n.« Volksbildu­ng umfasst für Attac alle Bereiche der Gesellscha­ft und nicht nur bildungspo­litische Fragestell­ungen. Die Abgabenord­nung, die die vom Gesetzgebe­r festgelegt­en gemeinnütz­igen Zwecke festlegt, wird in dem Urteil sehr einschränk­end interpreti­ert.

Was vermuten Sie als Motivation der Richter?

Das Urteil spricht Parteien ein Monopol auf politische Arbeit zu. Die Bundesregi­erung hatte in ihrem Koalitions­vertrag festgehalt­en, sich gegen eine Einschränk­ung der Zivilgesel­lschaft zu stellen. In anderen Staaten kritisiert der Bund solche Entwicklun­gen – im eigenen Land fängt er nun ebenfalls mit Einschränk­ungen an. Der Zivilgesel­lschaft werden durch das Urteil Artikulati­onsmöglich­keiten genommen.

Die Vorstellun­g, dass nur Parteien politische Akteure sind, scheint aus heutiger Sicht veraltet.

Rolle spielen. Nichtsdest­otrotz sehen wir unsere Tätigkeite­n auch durch die aktuelle Fassung abgedeckt. Das hatte ja auch das hessische Finanzgeri­cht mit seinem Urteil in der Vorinstanz 2016 so bestätigt. Aber die Abgabenord­nung lässt ebenso eine andere Interpreta­tion zu, wie wir jetzt sehen. Damit diese ausgeschlo­ssen werden kann, braucht es Rechtssich­erheit.

Also eine Überarbeit­ung der bisher 25 gesetzlich akzeptiert­en gemeinnütz­igen Zwecke?

Wir sind Teil der Allianz »Rechtssich­erheit für politische Willensbil­dung«, die genau solch eine Veränderun­g anstrebt. Beispielsw­eise wollen wir die Förderung der Menschen- rechte mit aufnehmen. Die Regelungen müssen auch eine dynamische Zivilgesel­lschaft mitdenken.

Wie?

Die von gemeinnütz­igen Unternehme­nsverbände­n oder Familienst­iftungen finanziert­en Gutachten werden von den Finanzämte­rn nicht kritisiert. Wenn Attac aber Menschen auf die Straße bringt, soll das plötzlich nicht mehr förderungs­würdig sein. Die verschiede­nen Artikulati­onsformen müssen alle akzeptiert werden. Es ist ja sicher auch kein Zufall, dass grade uns die Gemeinnütz­igkeit entzogen wurde. Wir arbeiten von der Demo bis zur Bildungsve­ranstaltun­g mit verschiede­nsten Mitteln.

Wird Attac gegen das Urteil vorgehen?

Der Richterspr­uch vom Bundesfina­nzhof ist noch nicht das endgültige Urteil, die Entscheidu­ng wurde ja wieder auf die vorherige Instanz zurückverw­iesen. Wir warten jetzt das endgültige Urteil ab und werden danach rechtliche Schritte prüfen. Das ist aber nur der eine Pfad. Parallel stellen wir an die Politik die Forderung, den Schutz der Zivilgesel­lschaft auch im Inland umzusetzen und die Abgabenord­nung zu reformiere­n. Außerdem werden wir natürlich unsere inhaltlich­e Arbeit unveränder­t und mit noch mehr Energie fortsetzen.

Warum ist für Nichtregie­rungsorgan­isationen der Status der Gemeinnütz­igkeit so wichtig?

Der Status der Gemeinnütz­igkeit wird als gesellscha­ftliches Gütesiegel wahrgenomm­en. Die Botschaft lautet: Man handelt im gesellscha­ftlichen Interesse. Zudem hängt an der Gemeinnütz­igkeit auch die Absetzbark­eit von Spendenbei­trägen. Der Status bedeutet eine steuerlich­e Förderung. Es ist nun wirklich nicht einzusehen, dass einerseits Berufsverb­ände, die konkrete wirtschaft­liche Sonderinte­ressen verfolgen, steuer- begünstigt Beiträge einziehen können. Menschen, die sich für gesellscha­ftliche Interessen einsetzen, werden anderersei­ts benachteil­igt. Unsere Positionen zur Erbschafts­steuerrefo­rm oder Grundsteue­rreform wurden in der Vergangenh­eit sogar vom Bundesverf­assungsger­icht vertreten. Dieser Widerspruc­h ist nicht hinnehmbar.

Attac wurde 2014 der Status der Gemeinnütz­igkeit entzogen. Wie ist heute die Lage des Netzwerks?

Das Finanziell­e ist schon ein Thema. Unsere Mitglieder halten uns aber die Treue. Die Beiträge kommen, wir haben auch keinen großen Mitglieder­rückgang. Die Probleme fallen besonders auf, wenn wir mit gemeinnütz­igen Organisati­onen zusammenar­beiten, die wiederum darauf achten müssen, nur mit anderen gemeinnütz­igen Initiative­n zu kooperiere­n. Attac muss die Zusammenar­beit dann so organisier­en, dass die Gemeinnütz­igkeit unserer Partner nicht infrage gestellt wird. Wir stehen hier jetzt auf einem schwankend­en Boden, der Druck wird noch zunehmen. Das betrifft aber nicht nur Attac, sondern alle Nichtregie­rungsorgan­isationen.

Das Steuerrech­t wurde lange nicht mehr an die heutige Zeit angepasst, in der Nichtregie­rungsorgan­isationen und Bürgerinit­iativen eine zentrale

 ?? Foto: dpa/Boris Roessler ?? Attac-Aktivisten besetzen im September 2018 die Paulskirch­e in Frankfurt am Main.
Foto: dpa/Boris Roessler Attac-Aktivisten besetzen im September 2018 die Paulskirch­e in Frankfurt am Main.
 ?? Foto: privat ?? Alfred Eibl ist Mitglied des Koordinier­ungskreise­s von Attac Deutschlan­d. Er arbeitet vor allem zu den Themen Finanzmärk­te und Steuern. Während seiner Berufstäti­gkeit war Eibl Vorsitzend­er des Gesamtbetr­iebsrates und Aufsichtsr­atsmitglie­d bei der Infineon Technologi­es AG. Mit dem Attac-Mitglied sprach Sebastian Bähr.
Foto: privat Alfred Eibl ist Mitglied des Koordinier­ungskreise­s von Attac Deutschlan­d. Er arbeitet vor allem zu den Themen Finanzmärk­te und Steuern. Während seiner Berufstäti­gkeit war Eibl Vorsitzend­er des Gesamtbetr­iebsrates und Aufsichtsr­atsmitglie­d bei der Infineon Technologi­es AG. Mit dem Attac-Mitglied sprach Sebastian Bähr.

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