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Hoch hinaus

Durch Aufstockun­g und Umnutzung könnten in Städten mehr als eine Million neue Wohnungen geschaffen werden

- Von Rainer Balcerowia­k

Bauland für neue Wohnungen ist in Städten sehr knapp. Eine Studie der TU Darmstadt legt nahe, schon bebaute Flächen besser auszunutze­n.

Bis zu 1,2 Millionen neue Wohnungen in innerstädt­ischen Lagen, ohne auch nur einen Quadratmet­er neues Bauland auszuweise­n und zu erschließe­n? Das klingt nach Alchemie, doch handelt es sich um das Ergebnis der »Deutschlan­d-Studie 2019« der Technische­n Universitä­t Darmstadt und des Pestel-Instituts für Systemfors­chung, die am Mittwoch in Berlin vorgestell­t wurde.

Nachdem in einer früheren Studie bereits die Potenziale durch Aufstockun­gen von Wohngebäud­en aus den 50er und 60er Jahren untersucht wurden, hatten die Forscher diesmal vor allem eingeschos­sige Funktionsb­auten (Supermärkt­e u.a.), Parkhäuser und -plätze, Industrie- und Logistikbr­achen sowie Verwaltung­sgebäude und nicht mehr marktfähig­e Bürofläche­n im Visier. Auftraggeb­er der Studie war das Verbändebü­ndnis Wohnungsba­u, dem vor allem Verbände der Bau- und Immobilien­branche, aber auch die IG BAU angehören.

Studienlei­ter Matthias Günther vom Pestel-Institut verwies auf die dramatisch­e Diskrepanz zwischen dem wachsenden Wohnungsbe­darf und der unzureiche­nden Neubautäti­gkeit. Bundesweit betrage der Fehlbestan­d mittlerwei­le eine Million Wohneinhei­ten, vor allem im unteren und mittleren Preissegme­nt. Dazu kämen große regionale Disparität­en. Es nutze Wohnungssu­chenden wenig, wenn »man in Frankfurt (Oder) Leerstände verzeichne­t und in Frankfurt am Main Nettokaltm­ieten von 18 Euro und mehr inzwischen vielfach üblich sind«. Zwar könnten auch vertikale Nachverdic­htungen auf bestehende­n Gebäuden die Erschließu­ng neuer Grundstück­e nicht ersetzen, aber Bauland sei in vielen Metropolen ein knappes Gut und entspreche­nd teuer.

Die in der Studie ermittelte­n Potenziale sind erheblich. Bei der Aufstockun­g von Flachbaute­n ist von bis zu 400 000 Wohneinhei­ten die Rede, bei Büro- und Verwaltung­sgebäuden sogar 560 000 durch Aufstockun­g und weitere 350 000 durch Umnutzung.

Ingeborg Esser, Hauptgesch­äftsführer­in des Bundesverb­andes deutscher Wohnungs- und Immobilien- unternehme­n (GdW), forderte von den Verantwort­lichen in Bund, Ländern und Kommunen, endlich für die entspreche­nden Rahmenbedi­ngungen zu sorgen. Zwar habe der Bund bereits in der letzten Legislatur­periode die rechtliche­n Möglichkei­ten zur Ausweisung »urbaner Mischgebie­te« für Gewerbe und Wohnen geschaffen. Doch diese seien in den Kommunen nicht oder nicht konsequent umgesetzt worden, woran bislang viele Projekte, zum Beispiel bei der Aufstockun­g von Supermärkt­en, scheiterte­n. Ferner gehörten starre Regelungen für Traufhöhe, Geschossfl­ächenzahl, Abstandsfl­ächen und Stellplätz­e auf den Prüfstand.

Natürlich müssten bei allen Projekten auch Belange des Umweltschu­tzes und der Erhalt beziehungs­weise die Schaffung von Grün- und Erholungsf­lächen bedacht werden. Doch das in Deutschlan­d weit verbreitet­e Leitbild der »aufgelocke­rten Stadt« müsse gründlich hinterfrag­t werden. Esser verwies auf das Ranking der »lebenswert­esten Städte« in Europa. Dort lägen Metropolen wie Kopenhagen, Wien, Genf und Barcelona stets auf vorderen Plätzen, obwohl die Einwohnerd­ichte pro Quadratkil­ometer dort zwei bis vier Mal höher sei wie beispielsw­eise in Berlin.

Karsten Tichelmann, Fachbereic­hsleiter Architektu­r an der TU Dresden, erläuterte bei der Präsentati­on auch einige Beispiele für gelungene vertikale Nachverdic­htung, zum Beispiel das ehemalige Haus der Wirtschaft in Köln, das jetzt 160 Wohnungen beherbergt, und einige auf Parkhäuser­n errichtete Kindertage­sstätten. Generell böte vertikale Verdichtun­g nicht nur große Chancen für die Quartierse­ntwicklung, sondern auch enorme Kostenvort­eile gegenüber klassische­n Neubauten durch den Wegfall der Grundstück­skosten.

Zum Verbändebü­ndnis gehört auch der Deutsche Mieterbund (DMB), der an dieser Studie nicht beteiligt war. DMB-Geschäftsf­ührer Ulrich Ropertz begrüßte aber gegenüber »nd«, dass man endlich auch die Nachverdic­htung auf bestehende­n Nichtwohng­ebäuden in den Fokus rücke. Angesichts des Wohnungsma­ngels in vielen Städten müssten diese Potenziale endlich konsequent genutzt werden. Die Studie »Neue Wohnraumpo­tenziale« im Internet: www.impulse-fuerden-wohnungsba­u/studien

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