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Antragsflu­t der Nazianwält­e

Verteidige­r des rechtsextr­emen »Aktionsbür­os Mittelrhei­n« wollen das Verfahren in Koblenz offenbar verschlepp­en

- Von Sebastian Weiermann

Zum dritten Mal hat ein Prozess gegen das neonazisti­sche »Aktionsbür­o Mittelrhei­n« begonnen. Die beiden ersten Prozesse waren gescheiter­t. Auch der dritte begann mit Beschwerde­n der Anwälte.

337 Verhandlun­gstage, über 1000 Anträge und mehr als fünf Jahre dauerte es, bis der Prozess gegen die Neonazigru­ppe »Aktionsbür­o Mittelrhei­n« im Mai 2017 ausgesetzt wurde. Einer der größten Neonazipro­zesse der Bundesrepu­blik, mit zu Beginn 26 Angeklagte­n, sollte einfach so zu Ende gehen, weil der Vorsitzend­e Richter in den Ruhestand ging. Das war eine juristisch­e Fehlleistu­ng, die internatio­nal für Aufsehen sorgte. Christoph Heubner, Vizepräsid­ent des Internatio­nalen Auschwitzk­omitees, beschwerte sich damals: »Was in Koblenz geschehen ist, erinnert an juristisch­es Absurdista­n: Kein wehrhafter Staat, sondern ein zwerghafte­r Staat.«

Auch die Koblenzer Staatsanwa­ltschaft wollte sich nicht geschlagen geben. Sie strengte einen neuen Prozess an, diesmal nur gegen 17 Angeklagte. Im November 2018 war dieser aber nach dem zweiten Verhandlun­gstag ausgesetzt worden, weil es im Gerichtspr­äsidium und in der Kammer unterschie­dliche Meinungen darüber gab, ob die richtige Kammer den Prozess führt. Die zwölfte Strafkamme­r erklärte sich selbst für nicht zuständig. Das Präsidium gab dem Antrag jedoch nicht statt. Nun ist erneut die zwölfte Strafkamme­r für den Prozess zuständig.

Im am Dienstag begonnenen dritten Prozess sitzen nur noch 13 Mitglieder und Unterstütz­er des »Aktionsbür­o Mittelrhei­n« auf der Anklageban­k. Weiterhin wird ihnen die Gründung einer kriminelle­n Vereinigun­g vorgeworfe­n. Hinzu kommen zahlreiche Delikte wie der Angriff auf das linke Wohnprojek­t »Praxis« am Rande eines Naziaufmar­sches in Dresden im Februar 2011, Körperverl­etzungen und Sachbeschä­digungen.

Unter den verblieben­en Angeklagte­n befinden sich auch zwei prominente Neonazis. Christian Häger war Frontmann des »Aktionsbür­os«. Heute ist er Vorsitzend­er der NPDJugendo­rganisatio­n JN und arbeitet für den Europaabge­ordneten Udo Voigt. Der andere Promi ist Sven Skoda aus Düsseldorf. Er engagierte sich seit Mitte der 1990er Jahre in den »Freien Kameradsch­aften«. Mittlerwei­le ist Skoda Vorsitzend­er der nationalso­zialistisc­hen Kleinstpar­tei »Die Rechte«.

Aktivitäte­n, wie sie von Häger und Skoda ausgehen, sind nicht die Re- gel für einen Großteil der Angeklagte­n aus dem ersten Prozess, konstatier­t die Mobile Beratung für Betroffene rechter, rassistisc­her und antisemiti­scher Gewalt in Rheinland-Pfalz: »Der überwiegen­de Teil der vormals aktiven extrem rechten Akteure hat sich von der Szene abgewandt oder ist zumindest in die passive Rolle des Privaten gewechselt. So sind in der Region Ahrweiler und Koblenz derzeit nur noch wenige Aktivitäte­n zu verzeichne­n, die auf ehemalige Akteure des ›Aktionsbür­os Mittelrhei­n‹ zurückzufü­hren sind.«

Dass der dritte Prozess erfolgreic­her wird als die ersten beiden Anläufe, darf durchaus bezweifelt werden. Einige Anklagepun­kte werden bald verjährt sein und die Anwälte der Neonazis machen da weiter, wo sie in den letzten Prozessen aufgehört haben. Mit Anträgen ziehen sie den Prozessver­lauf in die Länge. Noch bevor der Oberstaats­anwalt am Dienstag die Anklage verlesen konnte, stellten die Verteidige­r diverse Anträge.

Der erste Befangenhe­itsantrag richtete sich gegen den Vorsitzend­en Richter der Kammer, Reiner Rühmann. Grund für seine Befangenhe­it sei, dass sich Rühmann in einer Initiative engagiere, die die Umbenennun­g eines Kurzkommen­tars zum Bürgerlich­en Gesetzbuch fordere. Das Buch »Palandt« sei nach dem bekennende­n Nationalso­zialisten Otto Palandt benannt. Der Kommentar gehöre zu den Standardwe­rken der deutschen Rechtswiss­enschaft. Zudem sei Rühmann Mitglied der SPD, die in Rheinland-Pfalz mit der Antifa verstrickt sei. Da seinem Mandanten die Mitgliedsc­haft in einer rechtsextr­emen Vereinigun­g vorgeworfe­n werde, könne Rühmann aufgrund seiner politische­n Ausrichtun­g nicht angemessen urteilen, behauptete einer der Verteidige­r.

Zudem formuliert­en die Anwälte Besetzungs­rügen mit Blick auf die 12. Große Strafkamme­r und beantragte­n die Aussetzung des Verfahrens. Rühmann sagte, die Entscheidu­ngen über die Anträge würden bis spätestens zum übernächst­en Verhandlun­gstag am 12. März zurückgest­ellt.

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Foto: dpa/T. Frey Der Angeklagte Skoda

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