Robotershopping in Shinjuku
Erstes Kaufhaus in Japan testet eine eigene Abteilung für niedliche oder nützliche Humanoide
In einem japanischen Kaufhaus werden Humanoide zum eigenen Geschäftsfeld. Wegen der Produktvielfalt und der starken Kundennachfrage findet man die teuren Geräte nicht mehr nur im Fachhandel.
»Soll ich für euch singen?«, fragt der Halbnackte mit den Knopfaugen und kräftigen Armen. Das Gekicher der zwei Teenagerinnen muss er gehört haben, denn er macht ein neues Angebot: »Wollt ihr ein Video sehen?« Die jungen Frauen reagieren begeistert: »Ja!« Und der unterarmgroße Typ aus Plastik namens »Atom« willigt ein. Man solle jetzt bitte auf den Bildschirm sehen, den er im Bauch trägt. Auf sieben mal sieben Zentimetern startet eine Zeichentrickepisode, in der natürlich er selbst der Star ist. »Sugoi« (krass), rufen die Besucherinnen.
Das eigentlich Krasse aber ist, dass »Atom« für 230 000 Yen (knapp 1800 Euro) zu haben ist und damit hier kaum aus der Reihe tanzt. Ähnliche Produkte reihen sich im neunten Stock des Kaufhauses der Kette Takashimaya in Shinjuku, dem geschäftigsten Viertel Tokios, aneinander. Seit ei- nem Jahr gibt es hier eine neuartige Abteilung: Im »Robotikstudio« stehen lehrende neben quasselnden Geräten, tanzende neben überwachenden. Keiner größer als kniehoch, die meisten werden als irgendwie innovativ angepriesen. Da sie sich zwischen all den Produkten wie Kosmetik, Geschirr und Bekleidung gut verkaufen, fragt sich die Kaufhauskette, ob ihr Testprojekt nicht Schule machen sollte.
»Zu Beginn hatten wir hier nur einen kleinen Tisch mit ungefähr zehn Robotern«, sagt Rira Iida. Die junge Frau im offiziellen Uniformkostüm, die im Kaufhaus nur für diesen Bereich zuständig ist, wundert sich im Nachhinein, dass der Versuch so vorsichtig startete. Nach einigen Monaten baute man aus, die benachbarte Abteilung für Babykleidung wurde nach hinten verdrängt. Mittlerweile stehen, wippen oder zappeln hier rund 30 Roboter. Einige können ihrem Nutzer beim Englischlernen helfen, andere lassen sich auf verschiedene Arten zusammenbauen und erlangen dadurch unterschiedliche, fernsteuerbare Bewegungsfähigkeiten. Das Sortiment reicht von Lehrern über Clowns bis hin zu Assistenten im Haushalt. »Es war eigentlich klar, dass das Konzept funktio- nieren würde«, meint Iida. »In Japan mag man Roboter einfach. Sie sind niedlich, nützlich oder beides.«
Das Verhältnis zu Robotik ist hier anders als in westlichen Ländern, wo kluge Maschinen schnell als unheimlich gelten. »Atom« ist ein gutes Beispiel. Der Roboter bezieht sich auf die Mangafigur »Astro Boy« (im japanischen Original »Tetsuwan Atomu«, also Eisenarm Atom), die ab 1952 ihren Siegeszug in Japans Popkultur antrat. Der atomar angetriebene Android wurde von seinem Schöpfer verstoßen, wird von den Zuschauern aber für seine Heldentaten geliebt.
Auch die blaue, spinnenartige Figur namens »Tachikoma«, links neben »Atom«, kommt eher süß rüber. Ein kleiner Junge schaut sie sich genau an, während »Tachikoma« ihn an seinem Getuschel und seinem Gesicht per Kamera im Bauch erkannt hat. »Hallo, was kann ich für dich tun?«, fragt die Spinne und bewegt die vorderen zwei ihrer acht Beine. Die Figur zum Preis von 170 000 Yen (1300 Euro) kann Handynachrichten empfangen und diese vorlesen. Ähnlich wie der Miniroboter »Bocco« nebenan, der nur 31 000 Yen kostet, wie ein alter Blechkasten designt ist und funktionell als Einbahnstraßen-Walkie-Talkie durchgehen kann: Seinem Träger sagt »Bocco« die zugeschickten Nachrichten auf. Eltern können damit ihren Kindern Anweisungen oder Erinnerungen schicken, die diese dann hoffentlich nicht genervt ablehnen, sondern interessiert beherzigen. Es ist ja nicht Mama, sondern der Roboter, der spricht.
Der Bestseller ist aber nicht etwa ein Helfer für die Kleinen. »Palro«, der pro Woche im Schnitt zweimal über den Ladentisch geht, ist als Wegbegleiter für Senioren gedacht. In Japans alternder Gesellschaft leben 35 Millionen Menschen über 65 Jahre, das Land hat Tausende Pflegeheime. Während Angehörige häufig weit entfernt wohnen, halten Roboter manchmal als Ersatzfreunde her. »Palro«, der wie ein Astronaut aussieht und 320 000 Yen (rund 2500 Euro) kostet, kann auch über die Nachrichten des Tages informieren und mehrere Fragen des Besitzers beantworten. »Von solchen Robotern könnte man in Zukunft auch Konkurrenzmodelle ins Sortiment nehmen«, sagt Rira Iida, die ohnehin schon auf die nächste Vergrößerung des Geschäftsbereichs wartet.
Mittlerweile hat das Konzept Robotershopping aus Shinjuku den ersten Nachahmer. Die TakashimayaFiliale in Osaka, Japans zweitgrößter Metropolregion, hat ebenfalls eine Roboterabteilung eröffnet, die sogar dreimal so groß ist wie das Vorbild in der Hauptstadt. Dort im Angebot ist unter anderem das Roboterkissen »Quoobo«, das sich wie ein Kater an den Besitzer schmiegt und durch bestimmte Streicheleinheiten weicher oder kratziger wird. Kostenpunkt: 13 000 Yen (rund 100 Euro).
Braucht kein Mensch? Verkauft sich aber gut, hat Mitarbeiterin Rira Iida gehört. »Das Stück ist bei den Kollegen eines der beliebtesten Produkte.« Sie hätte das Kissen auch gern im Sortiment, am liebsten daheim auf dem Sofa. Online wurde das Video zu »Quoobo« innerhalb von nur einer Woche nach Verkaufsbeginn über zehn Millionen Mal angesehen.
Das Verhältnis zu Robotik ist in Japan anders als in westlichen Ländern, wo kluge Maschinen schnell als unheimlich gelten.