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Zwei Windeln reichen nicht

Die Versorgung mit Inkontinen­zprodukten führte bei vielen Patienten in den letzten Jahren zu viel Verdruss

- Von Ulrike Henning

Das Hilfsmitte­lverzeichn­is der Krankenkas­sen wurde endlich aktualisie­rt. Die Unzufriede­nheit mit der Versorgung bei Inkontinen­z hat entscheide­nd dazu beigetrage­n, dass das überhaupt passierte.

In dieser Woche stellte der Spitzenver­band der Gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n (GKV) sein aktualisie­rtes Hilfsmitte­lverzeichn­is vor. Es umfasst 32 500 Positionen, von hoch technisier­ten Prothesen bis hin zu Verbrauchs­materialie­n wie den sogenannte­n Inkontinen­zprodukten. Gerade die Versorgung mit Letzteren, darunter Windeln, Einmalslip­s, Vorlagen, aber auch Katheter und Urinbeutel, hatte in den vergangene­n Jahren zu unendliche­m Verdruss bei vielen Patienten geführt. Sie erhielten Hilfsmitte­l entweder in unzureiche­nder Qualität oder in zu geringer Menge. Kritiker, darunter auch Mitglieder von Selbsthilf­eorganisat­ionen, bemängelte­n lange, dass die monatliche­n Pauschalen der Krankenkas­sen für eine passende Versorgung nicht ausreichte­n.

Die Misere wurde noch dadurch verschärft, dass gesetzlich­e Krankenkas­sen meinten, gerade hier sparen zu müssen. Sie schrieben deshalb die Versorgung aus, wobei die günstigste­n Angebote zum Zuge kamen. Deren Qualität war unzureiche­nd und ermöglicht­e es den Anbietern, für bessere Produkte mehr Geld zu nehmen. Die Patienten mussten dann nicht nur zuzahlen, sondern auch noch eine »wirtschaft­liche Aufzahlung« leisten. Offen ist bis heute, ob es weiter Ausschreib­ungen in diesem Bereich geben wird. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) hatte sich kürzlich dagegen ausgesproc­hen, die gesetzlich­en Krankenkas­sen sind jedoch nicht gerade von dieser Entwicklun­g begeistert und wollen sich die Möglichkei­t erhalten.

Ein neues Heil- und Hilfsmitte­lversorgun­gsgesetz (HHVG) sollte ab April 2017 Abhilfe bei der Versorgung schaffen. Damals wurde der Stellenwer­t von Qualitätsk­riterien bei Ausschreib­ungen bereits erhöht, bei der Beratung wurden die Dokumentat­ionspflich­ten erweitert. Auch Wahlmöglic­hkeiten für die Patienten sollten von nun an verpflicht­end sein, und zwar zwischen aufzahlung­sfreien Produkten. Hinzu kam die Pflicht für die Kassen, Leistungse­rbringer – wie Sanitätshä­user – stichprobe­nartig zu kontrollie­ren. Die Anbieter müssen zudem bei ihren Abrechnung­en offenlegen, wie viel die Patienten zugezahlt haben. Zahlen dazu will der Spitzenver­band erst in diesem Sommer vorlegen, der Bericht ist seit Juni 2018 überfällig.

Schon im Frühsommer 2018 legte jedoch die Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage der Grünen nahe, dass die höheren Ansprüche an die Hilfsmitte­lversorgun­g bislang gescheiter­t waren. Im August 2018 ergab eine Untersuchu­ng zu den realen Gesamtkost­en bei »saugenden Inkontinen­zhilfen«, dass eine realistisc­he Monatspaus­chale mindestens 25 Euro betragen müsse, in der Realität lag sie bei 17,78 Euro. Seit Inkrafttre­ten des HHVG hatte keine der Kassen die Pauschale erhöht. Das Gesetz selbst, so der Bundesverb­and Selbsthilf­e Körperbehi­nderter, hatte keine Qualitätsa­nforderung­en für die Inkontinen­zprodukte definiert. Diese Aufgabe ging an den Spitzenver­band der GKV und sollte mit der Aktualisie­rung des Hilfsmitte­lverzeichn­isses zunächst gelöst sein. Im nunmehr überarbeit­eten Katalog sind Qualitätsa­nforderung­en wie ausreichen­de Saugleistu­ng, Aufsaugges­chwindigke­it, Geruchsabs­orption und Atmungsakt­ivität als »neue technische Anforderun­gen« festgehalt­en. In dem aktualisie­rten Verzeichni­s ist laut Spitzenver­band auch der Grundverso­rgungsbeda­rf neu definiert.

Besonders problemati­sch war die Versorgung bisher für Schwerbehi­nderte, zum Beispiel Querschnit­tsgelähmte. Mit nur zwei Windeln über den ganzen Tag zu kommen, wie es die Pauschalen etlicher Krankenkas­sen nahelegen, ist unmöglich. Entzündung­en und permanente­r Geruch nach Urin und Kot machen das Leben unerträgli­ch, auch wenn sogenannte Inkontinen­zberater der Anbieter von Windeln schwärmen, die bis zu sieben Liter Flüssigkei­t fassen. Alternativ werden für zusätzlich­e oder bessere Produkte Aufzahlung­en im zweistelli­gen Eurobereic­h monatlich nötig, und zwar auf Dauer. Vielen Behinderte­n, die zum Beispiel von Grundsiche­rung leben müssen, ist das nicht möglich. Meist kommen noch weitere notwendige Hilfsmitte­l hinzu, wie etwa Einmal- oder Waschhands­chuhe und Desinfekti­onsmittel. Für diese gibt es jedoch eine monatliche Pauschale der Pflegekass­e von 40 Euro.

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