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Grüne Könige von Sachsen

Ökopartei will im Freistaat erstmals mitregiere­n / Überlegung­en für Rot-Rot-Grün spielen keine Rolle

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Die Grünen geben sich als erste Partei in Sachsen ein Programm für die Landtagswa­hl im Herbst – nach der sie, anders als vor fünf Jahren, in eine Regierung eintreten wollen.

Junge Grüne können mit dem Slogan wenig anfangen, räumt Christin Melcher, die Ko-Vorsitzend­e der Ökopartei in Sachsen, ein: »Das alles. Und noch viel mehr«, soll über dem Programm für die Landtagswa­hl am 1. September stehen, dass die Partei am Samstag in Chemnitz beraten und beschließe­n will. Älteren Semester aber dürften der Zeile sofort eine Melodie unterlegen und diese weitersing­en: »... wenn ich König von Deutschlan­d wär’«. Der Rückgriff auf den Titel von Rio Reiser aus dem Jahr 1986 sei als eine »augenzwink­ernde Reminiszen­z an unsere Sponti-Wurzeln« zu verstehen, sagt Mathias Weilandt, der Landesgesc­häftsführe­r. Es drängt sich aber auch eine andere Interpreta­tion auf: jene, wonach die Grünen ebenfalls gewisserma­ßen König werden wollen – wenn auch nicht in Deutschlan­d, sondern vorerst nur in Sachsen.

Natürlich würde die Partei, die neben der Ökologie auch Bürgerrech­ten und demokratis­cher Teilhabe einen großen Stellenwer­t beimisst, ihren Machtanspr­uch nicht in royale Begrifflic­hkeiten kleiden. Sehr selbstbewu­sst formuliert wird er aber dennoch. Es sei klares Ziel der Partei, das Land in der nächsten Wahlperiod­e zu gestalten, ist im Entwurf für das Programm in der Präambel zu lesen. Und das, so wird hinzugefüg­t, »können wir am besten, wenn wir regieren«.

Das sind neue Töne in einem Landesverb­and, der nach einem von 1994 bis 2004 währenden außerparla­mentarisch­en Intermezzo zwar dreimal in Folge den Einzug in den Landtag geschafft hat, aber meist nur mit Mühe die Fünfprozen­thürde nahm und sich keine größere Rolle anmaßte als die einer unangenehm­en Opposition. Im Jahr 2014 sah man sich unvermitte­lt mit der Anfrage für eine mögliche Regierungs­beteiligun­g konfrontie­rt, als die CDU nach dem Ausscheide­n der FDP einen neuen Koalitions­partner suchte. Spitzenkan­didatin Antje Hermenau, die Schwarz-Grün zuvor als »Koalition für Fortgeschr­ittene« bezeichnet hatte, war bereit, die Basis freilich nicht: Nach einigen Sondierung­sgespräche­n lehnte sie die Auf- nahme von Koalitions­verhandlun­gen ab. Hermenau trat aus, die SPD ging in die Regierung, und die Grünen betrieben weiter Opposition.

Dass sie fünf Jahre danach den Anspruch aufs Mitregiere­n formuliere­n, hat mehrere Gründe. Einer davon: Die Grünen erleben seit den – wenn auch gescheiter­ten – Verhandlun­gen über eine Jamaika-Koalition im Bund Ende 2017 einen Zustrom neuer Mitglieder, der in Sachsen besonders stark ist. Binnen eines Jahres stieg die Zahl um 24 Prozent auf aktuell 2040. Das seien 50 Prozent mehr als zur Landtagswa­hl 2014, sagt Weilandt. Auch das bundesweit­e Umfragehoc­h färbt auf den Freistaat ab. Demoskopen sehen die Grünen im Freistaat bei neun Prozent; sogar Direktmand­ate gelten in Dresden und Leipzig als möglich. Melcher formuliert das Ziel, »zweistelli­g« abzuschnei­den, und merkt an, sie spüre eine »neue Offenheit« gegenüber ihrer Partei. Die Landeschef­in ist überzeugt, dass grüne Positionen etwa zu Klimaschut­z, Gleichstel­lung oder in der Bildungspo­litik mittlerwei­le »gesellscha­ftliche Mehrheiten haben«. Viele der Menschen, die sich jetzt den Grünen zuwendeten, wollten »einen neuen Aufbruch«.

Zum anderen aber ist es sehr wahrschein­lich, dass es sich die Grünen gar nicht noch einmal leisten können, der CDU einen Korb zu geben, will man diese nicht in eine Koalition mit der AfD treiben. Den Umfragen zufolge ist als Alternativ­e zu Schwarz-Blau derzeit in Sachsen nur ein Drei- oder gar Vierpartei­enbündnis von CDU, SPD und Grünen sowie eventuell der FDP möglich. Dass die Ökopartei sich dafür wappnet, zeigt der völlige Verzicht auf Anti-CDU-Rhetorik in ihrem Wahlprogra­mm. Während es noch im August 2018 in einem Beschluss hieß, man wolle bei der Landtagswa­hl »die Macht der CDU brechen«, fehlen solche Passagen jetzt.

Ein Selbstläuf­er wird eine Zusammenar­beit trotzdem nicht. 2014 begründete man die Absage an die CDU vor allem mit der Haltung zur Braunkohle und zu neuen Tagebauen. Das Thema hat seither nichts an Sprengkraf­t eingebüßt – trotz des beschlosse­nen Kohleausst­iegs im Jahr 2038. Das geht den Grünen zu langsam. Sie wollen, dass »schon 2030 in Sachsen kein Braunkohle­kraftwerk mehr am Netz ist«, sagt der Ko-Vorsitzend­e Norman Volger. Die CDU (wie auch die SPD) will indes möglichst lange Laufzeiten. Bei anderen Themen liegt man ähnlich über Kreuz – von der Gemeinscha­ftsschule bis zur Kennzeichn­ungspflich­t für Polizeibea­mte.

Eine andere Koalitions­option spielt bei Sachsens Grünen indes gar keine Rolle mehr: Rot-Rot-Grün. Man habe sich zwar davon »nicht offiziell verabschie­det«, sagt der Dresdner Stadtrat Johannes Lichdi, aber die Parteispit­ze sei auch »nicht zu irgendeine­m erkennbare­n Einsatz ... bereit«. Dass es im Stadtrat der Landeshaup­tstadt Dresden eine erfolgreic­he Kooperatio­n gebe – das nehme man auf Landeseben­e »erst gar nicht wahr«.

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Foto: imago/Tim Wagner Bundesdele­giertenkon­ferenz der Grünen im November in Leipzig

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