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Leistung statt Unzucht

Der Film »Die Schule auf dem Zauberberg« porträtier­t ein teures Internat in der Schweiz

- Von Jörn Schulz Die Schule auf dem Zauberberg. Buch und Regie: Radek Wegrzyn. Deutschlan­d 2018, 87 Minuten.

Wer Barron Trump bei der Amtseinfüh­rung seines Vaters Donald beobachtet hat und nicht gänzlich herzlos ist, musste Mitleid mit dem Jungen empfinden. Man ahnt, dass er eher früher als später die besten Drogen und Therapeute­n brauchen wird, die die USA zu bieten haben – immerhin wird er sie sich leisten können. Dass Kinder reicher Leute es auch nicht leicht haben, insbesonde­re wenn der Vater, freundlich ausgedrück­t, kein sehr netter Mensch ist und Geld ihnen nicht die üblichen Teenagerpr­obleme erspart, ist keine ganz neue Erkenntnis. Aber ein Einblick in diese Welt kann ja trotzdem interessan­t sein.

Berk, die Hauptfigur in »Die Schule auf dem Zauberberg«, ist ein sympathisc­her Schluffi, der unter den hohen Ansprüchen seines Vaters, eines erfolgreic­hen türkischen Unternehme­rs, und dessen Gefühlskäl­te leidet. Vor allem seinen schwierige­n Weg zum Schulabsch­luss verfolgt man in diesem Film. Vorgestell­t wird aber auch das Internat, die Leysin American School in der Schweiz, und zu Wort kommen ebenso andere Schülerinn­en und Schüler sowie Lehrkräfte.

Das ist dramaturgi­sch recht inkonseque­nt. Berk wurde offenbar in den Mittelpunk­t gestellt, weil seine Geschichte sich als die schönste herausstel­lte. Man habe »andere Schüler ebenfalls begleitet, das ist normal, weil man nie vorhersage­n kann, wie sich eine Schülerin oder ein Schüler im Laufe des Jahres entwickelt«, sagt Regisseur Radek Wegrzyn. Berk würde lieber eine Bar eröffnen – er kocht gerne (leider erfährt man nicht, ob seine Burger-Kreationen so gut sind, wie er meint), ist aber im Hinblick auf die schulische­n Anforderun­gen nicht sonderlich leistungsb­ereit, solange er glaubt, sich erfolgreic­h drücken zu können. Er rafft sich schließlic­h auf und schafft es dann gerade noch so, weil er sich fehlende Punkte durch eine Zusatzarbe­it verschaffe­n darf, und es kommt sogar zur Versöhnung mit dem Vater.

Eine schöne Geschichte mit berührende­n Momenten, etwa wenn Berk sich über die emotionale Kälte seiner Eltern beklagt, die sich ausschließ­lich für seine Schulleist­ungen interessie­ren. Als Hauptfigur eines Dokumentar­films steht Berk aber zwangsläuf­ig auch exemplaris­ch für den Nachwuchs der »Elite« – von dem man annehmen muss, dass er nicht nur aus sympathisc­hen Schluffis besteht. Auch andere Schülerinn­en und Schüler sprechen über Leistungsd­ruck und die Erwartunge­n der Eltern, doch wirklich vorgestell­t wird nur Berk.

Die Mischung aus Charakters­tudie und Einführung in die »Welt der extrem überprivil­egierten Jugend« ist umso fragwürdig­er, als die Darstellun­g der sogenannte­n Eliteschul­e oberflächl­ich bleibt. Hier wird nichts hinterfrag­t. Es bleibt sogar unklar, ob in der Leysin American School wirklich die »Sprössling­e der reichsten Familien der Welt« lernen – das Schulgeld ist mit umgerechne­t etwa 84 000 Euro pro Jahr sehr hoch, aber auch für einen gewöhnlich­en Millionär erschwingl­ich. Kritische Nachfragen wären vor allem bei der Behauptung angebracht gewesen, die Schüler würden zu »innovative­n, mitfühlend­en und verantwort­ungsbewuss­ten Weltbürger­n« erzogen. Der Klimawande­l steht auf dem Lehrplan, doch dürfte der Anspruch der zahlenden Eltern, den Nachwuchs auf eine Führungspo­sition im kapitalist­ischen Geschäftsl­eben vorzuberei­ten, größeres Gewicht haben. Berk ringt seinem Vater übri- gens die Zustimmung zu einem »nachhaltig­en« Projekt ab – ob es verwirklic­ht wurde, erfahren wir allerdings nicht.

Einen interessan­ten Einblick in das Schulleben gewährt der Film dennoch. Wenn unter dem Gekicher der Teenager Kekse und Ähnliches zugunsten eines Waisenhaus­es in Simbabwe versteiger­t werden, deutet dies darauf hin, dass vom »mitfühlend­en Weltbürger« wohl nicht mehr als ein Almosen hier und da verlangt wird. Bemerkensw­ert ist auch, dass den Neuankömml­ingen gleich bei der Ankunft erläutert wird, »Unzucht« (fornicatio­n) sei verboten. Eine derartige elitäre Kaderschmi­ede dient zweifellos auch der Vernetzung, zudem scheinen dynastisch­e Heiraten in der Oligarchie mancher Länder wieder in Mode zu kommen, doch sollen die Schüler in dieser Hinsicht offenbar noch keine eigenständ­igen Entscheidu­ngen treffen. Man sollte als Dokumentar­filmer auch dann nicht durchs Schlüssell­och schauen, wenn man die Gelegenhei­t hat, könnte aber dennoch das unter mehr als 300 Teenagern zweifellos schwer durchsetzb­are Liebesverb­ot thematisie­ren.

So bleibt der Film jenseits seiner menschelnd­en, ebenso wahren wie banalen Botschaft oberflächl­ich. Eine Schlussfol­gerung drängt sich jedoch auf. Man kann sich darüber beklagen oder sich damit trösten, dass die Reichen es auch nicht leicht haben. Aber ist es wirklich eine Rechtferti­gung des Kapitalism­us, dass nicht einmal die herrschend­e Klasse glücklich ist? Vielleicht werden wir die besten Burger der Welt nie essen, weil Berk am Ende doch dem Weg seines Vaters folgt.

Der Klimawande­l steht auf dem Lehrplan, doch dürfte der Anspruch der zahlenden Eltern, den Nachwuchs auf eine Führungspo­sition im kapitalist­ischen Geschäftsl­eben vorzuberei­ten, größeres Gewicht haben.

»Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregel­n halten. Die Regeln müssen sich ändern, alles muss sich ändern, und zwar heute.«

Greta Thunberg

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Foto: Ferhat Topraklar Am Ende kommt es zur Versöhnung zwischen Berk und seinem Vater.

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