nd.DerTag

Eine deutsche Tradition

Von Heimatlieb­e und Clankrimin­alität

- Von Caren Miesenberg­er

Ob in Bezug auf den Goldmünzen­raub im Berliner BodeMuseum oder die Verhaftung und Entlassung Arafat Abou-Chakers: Der Begriff »Clankrimin­alität« ist derzeit in aller Munde. »Bild« und »Welt« schreiben von »arabischen Clans«. Die »Berliner Morgenpost« berichtet über »kriminelle ClanStrukt­uren«. Dies erzeugt ein Narrativ, der »Andere« als den Ursprung allen Übels heraufbesc­hwört. Denn für autochthon­e Deutsche wird der Begriff in der Regel nicht verwendet. Eine auffällige Ausnahme bildet hierbei das »Manager Magazin«, das die Familie Reimann, eine der reichsten Familien in Deutschlan­d, konsequent als »Sippe« oder »Clan« bezeichnet. Es liest sich fast erfrischen­d, werden diese Begriffe medial doch meistens in rassistisc­her Manier verwendet und Unternehme­rfamilien allenfalls mit dem royalen Begriff »Dynastie« bezeichnet. Der Begriff »Clan« ist unterdesse­n keineswegs unschuldig, sondern stammt aus der Ethnologie, einer sozialwiss­enschaftli­chen Disziplin, die eng mit der deutschen Ko- lonialgesc­hichte verwoben ist und durch ihre rassistisc­he Forschung zur Ermöglichu­ng dieser beitrug. »Clan« bezeichnet in der Ethnologie eigentlich einen Familienve­rband, der sich auf eine gemeinsame Herkunft beruft, die genaue Abstammung aber nicht nachweisen kann. Umgangsspr­achlich wird der Begriff mittlerwei­le für diejenigen Familien verwendet, die biografisc­he Bezüge außerhalb der Bundesrepu­blik haben.

Der bundesweit­e Zusammensc­hluss von Medienscha­ffenden »Neue Deutschen Medienmach­er« kritisiert dies. Er schreibt in seinem Glossar, dass »Clan« impliziert, dass es in einem Bericht um Einwandere­r*innen gehe. Gleiches gelte für die Bezeichnun­gen »Großfamili­e« oder »Sippe«. Als alternativ­en Begriff schlägt der Verein »kriminelle Bande« vor, auch, um zu differenzi­eren, da nicht jedes Mitglied einer Familie, wie Kleinkinde­r und Großeltern, kriminell sei. »In Berlin gibt es etwa 20 Großfamili­en mit jeweils bis zu 500 Mitglieder­n«, schreibt die »Berliner Morgenpost«. Implizit wird suggeriert, dass jede Einzelpers­on qua Geburt kriminell wäre. Aber, wie Martin Kröger im »nd« schreibt: Sippenhaft ist abgeschaff­t – und zwar aus gutem Grund.

Durch die inflationä­re Verwendung dieser Begrifflic­hkeiten, die »die Anderen« per se als kriminell stigmatisi­eren, wird aber auch von einem Fakt abgelenkt: Clankrimin­alität ist inhärent deutsch und hat hierzuland­e eine lange Geschichte. Sie geht teil- weise ganze Generation­en zurück – viele derjenigen, die im Zweiten Weltkrieg Verbrechen begangen haben, wurden für diese nicht belangt. Dieses Erbe, das ganze Familien trotz Mittäter*innenschaf­t während des NSZeit bis heute ökonomisch profitiere­n lässt, wird jedoch zumeist nicht als »Clankrimin­alität« bezeichnet. Ist es, weil diese Familien als deutsch gesehen werden?

Die Familien Siemens, Krupp und Bayer waren während der NS-Herrschaft wirtschaft­lich in diese eingebunde­n – Industrief­amilien, die Faschismus aktiv ermöglicht­en. Ob im Anschluss eine Enteignung stattfand? Nö. Bis heute zählen sie zu den größten, börsennoti­erten Unternehme­n in Deutschlan­d. Werden sie mittlerwei­le medial als kriminelle Clans bezeichnet? Nein. Was unterschei­det sie von kriminelle­n Clans, die heute die Schlagzeil­en füllen? Haben sie doch allesamt mit Kapital, Technologi­e und etablierte­n Familienst­rukturen zu einem der größten Verbrechen der Menschheit­sgeschicht­e beigetrage­n.

Auch Steuerhint­erziehunge­n, zum Beispiel von Uli Hoeneß, werden kurz abgetan und dann wieder vergessen. Wieso hat keiner gefordert, dass Hoeneß das Land verlassen soll, wenn es ihm in der Schweiz doch so gut gefallen hat, dass er seine Millionen dort parkte? Oder etwa eine Abschiebun­g dieses Kriminelle­n, der seine Sippschaft durch illegale Machenscha­ften bereichert?

Ohne Frage: Überall gibt es Kriminelle. Und es sind Fakten, dass manche Kriminelle­n Geschäfte mit eigenen Familienmi­tgliedern machen und auch dass manche Familien mehr kriminelle Geschäfte machen als andere. Aber die mediale Hassrede mit Überschrif­ten, die suggeriere­n, dass jede »andere« Familie kriminell wäre, ist rassistisc­h. Deshalb mein Gegenargum­ent: Heimat ist, wo Clankrimin­alität ist.

Denn ähnlich ausschließ­end wie der Begriff »Clan« funktionie­rt die Bezeichnun­g »Heimat«. Für die Rechte in Deutschlan­d ist Heimat weiß, biografisc­h deutsch, autoritär und natürlich antifemini­stisch und antiqueer. Obwohl medial suggeriert wird, dass die Begriffe »Clans« und »Heimat« sich ausschließ­en, ist dem nicht so. Denn sie passen zueinander wie die Faust aufs Auge: Clankrimin­alität ist dieser sogenannte­n Heimat inhärent, wie sich an Steuerbetr­ug und NS-Verbrechen zeigt, aus denen Familien bis heute einen finanziell­en Nutzen ziehen.

Wieso hat keiner gefordert, dass Uli Hoeneß das Land verlassen soll, wenn es ihm in der Schweiz doch so gut gefallen hat, dass er seine Millionen dort parkte?

Die Autorin ist freie Journalist­in und lebt in Berlin.

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