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Verbannt ins Nachtprogr­amm

Eine Studie wirft den öffentlich-rechtliche­n Sendern eine Geringschä­tzung von Dokumentar­filmen vor

- Von Katharina Dockhorn Die Studie »Deutschlan­d – Doku-Land« kann auf www.grimme-preis.de als PDFDatei herunterge­laden werden.

Stell dir vor, du gewinnst einen Oscar und versteckst den Film anschließe­nd auf einem späten Sendeplatz. So stiefmütte­rlich behandelt die ARD ihre Dokumentar­filme seit Jahren. Vor vier Jahren etwa gewann in Los Angeles die Doku »Citizenfou­r«, ein Porträt über den Whistleblo­wer Edward Snowden, das unter Beteiligun­g von NDR und BR entstand, eine der begehrten Auszeichnu­ngen in der Kategorie »Dokumentar­film«. Statt zur besten Sendezeit zeigte das Erste diesen Film jedoch erst um 23 Uhr. Ähnlich verhält es sich mit dem Film »Of Fathers and Sons – Kinder des Kalifats«, der ebenfalls mit mehreren Nominierun­gen und Auszeichnu­ngen bedacht wurde und an dessen Entstehung der rbb mitwirkte, was jedoch in Deutschlan­d kaum zur Kenntnis genommen wird. »Lernt von Netflix, dann klappt es auch mit den Erfolgen«, fordert daher der renommiert­e Dokumentar­filmregiss­eur Arne Birkenstoc­k.

Längst sind die Zeiten vorbei, in denen sich die ARD den regelmäßig­en Dokumentar­filmsendep­latz am Montag um 21 Uhr leistete, wie Programmdi­rektor Volker Herres einst formuliert­e. Ihre Schätze verstecken die Verantwort­lichen heute in den Nachtprogr­ammen. »More than Honey – Bitterer Honig«, der schon früh auf das Bienenster­ben aufmerksam machte und Hunderttau­sende in der Schweiz und Deutschlan­d ins Kino lockte, verschwand 2014 ebenso auf einem unattrakti­ven Sendeplatz wie der mit dem Prix Europa als bester Europäisch­er Dokumentar­film ausgezeich­nete »Im Schatten der Netzwelt – The Cleaners« im Vorjahr.

2165 Stunden dokumentar­ischer Neuprodukt­ionen haben ARD und ZDF 2017 in allen Programmen ausgestrah­lt. Sie füllten damit aber nur drei bzw. zwei Prozent der Sendezeit ihrer Hauptprogr­amme. Das Gros wurde in den Dritten Programmen, Arte, 3sat oder ZDFinfo erstmals gesendet. Zu diesem Schluss kommt die Studie »Deutschlan­d – Doku-Land. Über Entwicklun­gen im dokumentar­ischen Fernsehen« von Fritz Wolf. Er hat über ein halbes Jahr die dokumentar­ischen Angebote aller Sender gecheckt.

Die attraktive­n Sendeplätz­e in der Primetime sind meist verbrauche­rnahen Themen oder populären Genres wie der Tierdokuse­rie »Unsere Erde« vorbehalte­n, die traumhafte Quoten hatte. Der klassische Dokumentar­film gerät zunehmend ins Abseits und auch der Begriff des dokumentar­ischen Erzählens wird von den Sendern verwischt. Der Trend geht zu formatiert­en Dokumentat­ionen und Reportagen zwischen 30 und 45 Minuten, die in enge dramaturgi­sche Konzepte gepresst werden. Über 85 Prozent der Reportagen und Dokumentat­ionen folgen den engen Korsetts der Sendeplätz­e. Dieser Trend führt zu einem Verlust an individuel­len Handschrif­ten der Regisseure und Regisseuri­nnen.

Im Gegensatz zu Wolf beziehen die Verantwort­lichen in den Chefetagen des Ersten auch Dokudramen wie die »Die Aldi-Brüder« oder »Der AufSchneid­er«, in denen der fiktionale Anteil dominiert, in die Dokumentar­film-Statistik mit ein und bessern sie so auf. Um ihre Kritiker zu beruhigen, verweisen die Sender vor allem auf die Mediatheke­n. Überprüfba­re Zahlen zu den Abrufen sind allerdings nicht verfügbar. Die Dokumentar­filme sind dort meist für sieben oder 30 Tage eingestell­t. Danach müssen sie entfernt werden, weil die Rechte an Archiv- material wie bei der Dokumentat­ion »Kuhlenkamp­fs Schuhe« zu teuer sind. Oder, weil die Sender nicht bereit sind, den Urhebern entspreche­nde Honorare zu zahlen. Regisseure und Regisseuri­nnen sind nicht bereit, sie unentgeltl­ich über den gesetzlich festgelegt­en Rahmen hinaus den Sendern zu überlassen, denn sie müssen vom Verkauf der Rechte leben und neue Projekte anschieben.

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Foto: dpa/Praxis Films Edward Snowden in einer Szene des Dokumentar­films »Citizenfou­r«

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