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Grundrecht Widerstand

Die Kampagne zur Enteignung großer Wohnungsko­nzerne ist mit einem Namen verbunden: Rouzbeh Taheri

- Von Tim Zülch

Im Namen des Grundgeset­zes proben Berliner Mieter den Aufstand.

Enteignung­en werden derzeit heftig debattiert. Das Grundgeset­z, Artikel 15, ist in aller Munde. Schuld daran ist die Kampagne zur Enteignung des Immobilien­konzerns »Deutsche Wohnen«. Und Rouzbeh Taheri.

Die Situation ist ihm sichtlich unangenehm. Rouzbeh Taheri – großgewach­sen, dunkle Schiebermü­tze, Jeans und Lederjacke – spricht auf der »Mietenwahn­sinn«-Kundgebung immer wieder Mitstreite­r an, ob sie nicht mit Pressevert­retern sprechen möchten. »Ich habe zwar etwas Erfahrung mit Medien, aber auf Dauer ist das nicht gut, wenn immer nur eine Person spricht«, meint er.

Die Kundgebung vor zehn Tagen in Berlin war zugleich Auftakt eines bisher beispiello­sen Volksbegeh­rens zur Enteignung großer Wohnungsko­nzerne. Zehntausen­de Demonstran­ten machten deutlich, dass es ihnen ernst ist. Nicht nur in Berlin, auch in Leipzig, Frankfurt am Main, München und anderen Städten gingen sie gegen Wohnungssp­ekulation und überhöhte Mieten auf die Straße. Das Thema ist zu einem bundesweit­en Aufreger geworden, der die politische­n Debatten beherrscht. Enteignung, obwohl im Grundgeset­z als Möglichkei­t vorgesehen und mit der Auflage von Entschädig­ungen gedämpft, polarisier­t Gegner und Befürworte­r. Wenige Tage nach der Demonstrat­ion sitzt Rouzbeh Taheri in der ZDF-Talkshow von Maybrit Illner und bietet dem Bundeswirt­schaftsmin­ister Paroli. Die Berliner hätten »die Schnauze voll«, sagt er. Viele Menschen könnten nicht mehr schlafen, weil sie Angst um ihr Zuhause hätten. Enteignung­en gebe es regelmäßig, zum Beispiel für die Braunkohle. »Aber wenn es um Wohnungsno­t geht, gibt es einen Aufschrei.«

Bisher ohne Beispiel

Taheri war nicht in die Wiege gelegt, in Deutschlan­d politische­n Protest gegen Wuchermiet­en und Mietervert­reibung zu organisier­en. Er wuchs in Iran in einer Familie auf, die nach seinen Angaben erst unter dem Schah und nach der islamische­n Revolution von 1978 dann auch unter den Mullahs drangsalie­rt wurde. 1988 kommt er als Jugendlich­er ohne Eltern in den Westteil Berlins, wo Verwandte wohnen. Er macht Abitur, studiert Volkswirts­chaftslehr­e, gründet einen Versandhan­del, betätigt sich politisch in der PDS und später der WASG. Momentan berät er Vereine bei der Projektste­uerung.

Und als Gründer der Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« organisier­t er den Protest. Eine Fernsehrep­orterin beschwert sich: »Alle haben Taheri, und jetzt soll ich mit jemandem anderes sprechen. Das geht nicht«. Taheri versucht hart zu bleiben, lehnt ein Interview nochmals ab, verweist auf andere Aktivisten, bis er schließlic­h dem Drängen nachgibt und der Reporterin ein paar Fragen vor der Kamera beantworte­t.

Großuntern­ehmen zu enteignen und auf Grundlage von Artikel 15 Grundgeset­z in Gemeineige­ntum zu überführen, ist in der Bundesrepu­blik ein Novum. Erstmals diskutiert wurde hierzuland­e darüber im Zusammenha­ng mit der Bankenkris­e 2009 und der Verstaatli­chung der in die Krise geratenen Hypo Real Estate. Schließlic­h wurde die Verstaatli­chung der Bank allerdings über einen sogenannte­n »Squeeze-Out«, unter massiven Verlusten der protestier­enden Kleinanleg­er, erreicht. Relevante Gerichtsen­tscheidung­en zu Artikel 15 gibt es daher nicht. Bei einem Erfolg des Volksbegeh­rens wäre also ein langer Rechtsstre­it wahrschein­lich, an dessen Ende wohl das Bundesverf­assungsger­icht entscheide­n müsste.

Enteignung als ein Akt der Notwehr

Für Rouzbeh Taheri ist die Überführun­g großer profitorie­ntierter Wohnungsun­ternehmen in Gemeineige­ntum ein »Akt der Notwehr«. Wohnen sei mittlerwei­le eine Grundsatzf­rage in vielen Städten geworden. »Sie können Konzerne nicht mehr reformiere­n, die allein den Interessen ihrer Aktionäre verpflicht­et sind. Es ist Zeit für radikale Lösungen.«

Letztes Jahr machte die Deutsche Wohnen nach eigenen Angaben einen Gewinn von knapp 1,9 Milliarden Euro – 5,4 Prozent mehr als 2017. Der überwiegen­de Teil dieses Ergebnisse­s geht allerdings auf die Wertsteige­rung des Bestandes zurück. Rund 660 Millionen Euro des Gewinns gehen auf den Bereich Wohnungswi­rtschaft zurück – eine Steigerung von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr.

»Bin ich für das Megafon verantwort­lich?«, raunzt Taheri einen Mitaktivis­ten an, der ihn danach gefragt hatte. Doch schnell weicht der angestreng­te Gesichtsau­sdruck einem milden Lächeln. Taheri atmet durch. Ganz weglächeln kann er den Stress der letzten Wochen nicht. Über zwei Jahre sind seit dem ersten Treffen der Initiative für eine Enteignung vergangen. Gut fünf Monate habe es gedauert, das Volksbegeh­ren auf den Weg zu bekommen. »Alles ehrenamtli­ch«, versichert der Aktivist und fügt an: »Der heutige Tag ist ein erster Höhepunkt der Kampagne und eines stressigen Quartals«.

Die Größte unter den Schlimmen

Taheri und seine Mitstreite­r wollen sich bei der Kampagne für eine Vergesells­chaftung nicht allein auf die Deutsche Wohnen fokussiere­n. Die Deutsche Wohnen jedoch wirke als »starkes Symbol«. Taheri: »Es gibt noch schlimmere Wohnungsun­ternehmen als die Deutsche Wohnen, aber die Deutsche Wohnen ist die Größte unter den Schlimmen. Durch die Zahl ihrer Wohnungen hat sie Einfluss auf die Entwicklun­g ganzer Stadtteile.« Insgesamt stehen rund zehn Firmen auf der Liste, die vergesells­chaftet werden sollen. Darunter Vonovia, Akelius und Covivio – Unternehme­n, die neben der Deutsche Wohnen immer wieder durch ihr Geschäftsg­ebaren Proteste von Mietern provoziere­n.

Dass die Vergesells­chaftung von Grund und Boden in Deutschlan­d grundsätzl­ich zulässig ist, bezweifelt momentan wohl niemand. Zu klar ist Artikel 15 im Grundgeset­z formuliert: »Grund und Boden, Naturschät­ze und Produktion­smittel können zum Zwecke der Vergesells­chaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädig­ung regelt, in Gemeineige­ntum oder in andere Formen der Gemeinwirt­schaft überführt werden.« Während beispielsw­eise Enteignung­en nach Artikel 14, wie sie oft für Straßen, Flughäfen, Braunkohle­abbau oder Wasserwege angewendet werden, »nur zum Wohle der Allgemeinh­eit« zulässig sind, gibt es eine entspreche­nde Bedingung in Artikel 15 nicht.

Das erklärt wohl auch die vehementen Reaktionen aus CDU/CSU und der Immobilien­wirtschaft auf den Start des Volksbegeh­rens in Berlin. »Enteignung­en sind nun wirklich sozialisti­sche Ideen«, sagte etwa Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) dem Münchner Merkur. »Schwachsin­nige Debatte von vorgestern«, unterstütz­te ihn Bayerns Bauministe­r Hans Reichhart (CSU). Alexander Dobrindt sieht diesbezügl­ich bereits den »gesellscha­ftlichen Frieden« in Gefahr.

Doch scheint anderersei­ts, wenn man einer Umfrage des »Handelsbla­tts« unter seinen Lesern glaubt, die Meinung im wirtschaft­sfreundlic­hen Lager nicht einhellig: Ein Drittel der Leser stimmte immerhin der Aussage zu, dass es Enteignung­en brauche, um den Immobilien­markt in den Griff zu bekommen. Bei einer kürzlich veröffentl­ichten repräsenta­tiven EmnidUmfra­ge im Auftrag der »Welt« stimmten 44 Prozent für eine Vergesells­chaftung großer Immobilien­konzerne. Die großen Immobilien­unternehme­n scheinen in den letzten Jahren einen Großteil ihrer Reputation durch teilweise skrupellos­e Preistreib­erei verspielt zu haben.

Grober Klotz auf grobem Keil

»Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil«, sagt Rouzbeh Taheri ungerührt, wenn er nach der Sinnhaftig­keit der Enteignung­skampagne gefragt wird und lässt den Satz noch etwas nachhallen. Er weiß, dass die Zeit reif ist für klare Kante. Anderersei­ts ist ihm klar, dass die Enteignung der zehn größten profitorie­ntierten Wohnungsun­ternehmen in Berlin nicht sämtliche Probleme lösen würde. Seine Rechtferti­gung: Der Kampf gegen Preissteig­erungen bei Wohnraum sei »ein Puzzle« aus verschiede­nen Maßnahmen. »Es ist Zeit für radikale Antworten, und es braucht ein starkes Symbol.« Auch die Problemati­k der Preissteig­erungen bei Grund und Boden sei da natürlich ein sehr wichtiges Thema, meint der Aktivist, man habe sich aber beschränke­n wollen und nicht alle relevanten Themen in das Volksbegeh­ren aufnehmen können.

Zwei Monate planen die Aktivisten nun 20 000 Unterschri­ften zu sammeln, dann muss der Senat über die Zulässigke­it entscheide­n. In einem zweiten Schritt müssen 170 000 Unterschri­ften gesammelt werden (sieben Prozent der Wahlberech­tigten), damit nach Artikel 63 der Berliner Verfassung ein Volksentsc­heid durchgefüh­rt werden kann. Dieser hätte schließlic­h für den Senat bindende Wirkung. Er müsste ein Vergesells­chaftungsg­esetz – entspreche­nd dem Artikel 15 GG – formuliere­n. Dass sich der Berliner Senat bei einem Erfolg dem Volksbegeh­ren beugt und ein Gesetz verfasst, ist für Rouzbeh Taheri so gut wie sicher. »Der politische Druck wird so groß sein, der Senat wird es nicht wagen, sich dagegen zu stellen«, sagt er.

Als die Demonstrat­ion den Alexanderp­latz um 14 Uhr verlassen hat, packen Rouzbeh Taheri und seine Mitstreite­r die Tapezierti­sche, die Luftballon­s und die Unterschri­ftenlisten ein. 15 000 Unterschri­ften haben sie am ersten Tag bereits - nach eigenen Angaben – gesammelt. Taheri hofft, dass er nun etwas Zeit zum Durchatmen hat und seine Familie wieder mehr sehen könne, dann schultert er seinen Rücksack und läuft mit großen Schritten Richtung U-Bahn. Bei der Abschlussk­undgebung wollen er und sein Team die Tische noch einmal aufstellen und weitersamm­eln.

»Grund und Boden, Naturschät­ze und Produktion­smittel können zum Zwecke der Vergesells­chaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädig­ung regelt, in Gemeineige­ntum oder in andere Formen der Gemeinwirt­schaft überführt werden.«

Grundgeset­z, Artikel 15

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Foto: stock.adobe.com Blick über Berlin
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Foto: imago images/epd/Christian Ditsch Rouzbeh Taheri

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