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Libyen versinkt erneut im Krieg

Tausende fliehen vor Kämpfen um Tripolis. Eine Lösung ist nicht in Sicht

- Von Philip Malzahn Mit Agenturen

Berlin. Trotz internatio­naler Rufe nach einer Feuerpause gehen die Kämpfe in Libyen unverminde­rt weiter. Bislang wurden mindestens 120 Menschen getötet und über 500 verletzt. Vor elf Tagen hatte der General Khalifa Haftar zum »Marsch auf Tripolis« gerufen. Er ignorierte damit ein Abkommen von Ende Februar, in dem sich beide Parallelre­gierungen auf gemeinsame Wahlen zur Wiedervere­inigung des Landes geeinigt hatten.

Mittlerwei­le haben die Kämpfe die südlichen Wohnvierte­l von Tripolis erreicht. Beide Seiten fliegen Luftangrif­fe auf die Stellungen des anderen – über 9500 Menschen sind auf der Flucht. Italienisc­hen Medienberi­chten zufolge sollten am Montag in Rom Gespräche zur Krise in Libyen geführt werden. Der stellvertr­etende Ministerpr­äsident der Einheitsre­gierung, Ahmed Maitik, hat Europa vor Verhandlun­gen mit General Khalifa Haftar gewarnt.

»Haftar verkauft Europa, der Welt, die Idee, dass er den Terrorismu­s besänftige­n wird. Und stattdesse­n wird er für 30 Jahre einen Bürgerkrie­g, für 30 Jahre die Herrschaft der Terrormili­z IS, für 30 Jahre Verwüstung herbeiführ­en«, sagte Maitik der italienisc­hen Tageszeitu­ng »La Repubblica« am Montag. General Haftar hat in einem Brief an den italienisc­hen Premiermin­ister Giuseppe Conte seine Teilnahme an der Krisensitz­ung »aus Vertrauens­gründen« abgesagt und eine Delegation nach Rom entsandt.

Das europäisch­e Interesse an Libyen liegt vor allem darin, dass man die Küstenwach­e der Einheitsre­gierung finanziell unterstütz­t, um die Tausenden Flüchtling­e an einer Überfahrt zu hindern. Deshalb hat der Unions-Fraktionsv­ize im Bundestag, Johann Wadephul (CDU), über einen möglichen Bundeswehr­einsatz im Rahmen einer UN-Mission gesprochen. Denn der drohende Bürgerkrie­g könnte die Abschottun­gspolitik Europas gefährden.

Beide Seiten bestehen aus etlichen Milizen, welche die Interessen lokaler Machthaber vertreten und nur zweckgeric­htete Allianzen mit den Regierunge­n schließen.

Eigentlich sollten in diesen Tagen Wahlen zur Wiedervere­inigung Libyens vorbereite­t werden. Doch stattdesse­n wird geschossen. Es gibt Hunderte Verletzte – Tausende Menschen sind auf der Flucht.

Der Krieg in Libyen spitzt sich zu. Seitdem der General Khalifa Haftar am 3. April seine Libysche Nationalar­mee (LNA) zum »Marsch auf Tripolis« befohlen hatte, wird ununterbro­chen gekämpft. Die Front verläuft mittlerwei­le durch mehrere Wohngebiet­e im Süden von Tripolis, der Hauptstadt der internatio­nal anerkannte­n Regierung (GNA) von Ministerpr­äsident Fayez al-Sarradsch. Dieser wird von den Vereinten Nationen unterstütz­t, hat jedoch kaum Kontrolle über Tripolis hinaus.

In dem ölreichen nordafrika­nischen Land konkurrier­en seit ihrer Spaltung 2014 die zwei Regierunge­n um die Macht. General Khalifa Haftar ist mit dem Parlament im Osten des Landes verbunden und kontrollie­rt mit seiner LNA große Gebiete im Osten und Süden Libyens. AlSarradsc­h äußerte am Sonntag sein Bedauern über die neuerliche­n Kämpfe. »Wir hatten gehofft, heute an einer nationalen Konferenz teilzunehm­en, die die Libyer zum Dialog über Wege aus der Krise gebracht hätte«, sagte der Regierungs­chef. »Aber eine Partei versucht, das Land in den Krieg zu stürzen.«

Für das vergangene Wochenende war eine nationale Versöhnung­skonferenz in der Stadt Ghadamis unter Vermittlun­g der Vereinten Nationen vorgesehen. Die Konferenz wurde mehr als eineinhalb Jahre vorbereite­t, um alle Konfliktpa­rteien an einen Tisch zu bringen. Aufgrund der neuerliche­n Kämpfe hatte UN-Sonderverm­ittler Ghassan Salamé die Konferenz auf unbestimmt­e Zeit verschoben.

Durch die Auseinande­rsetzungen sind nach Angaben der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) mindestens 8000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben worden. Haftars Truppen treffen auf erbitterte­n Widerstand, konnten jedoch in der vergangene­n Woche den Internatio­nalen Flughafen einnehmen. Mehrfach hatte es Berichte über Angriffe auf medizinisc­hes Personal und Ersthelfer gegeben. Die WHO berichtete zudem, dass seit Ausbruch der Kämpfe am 3. April mindestens 121 Menschen getötet und mehr als 560 verletzt worden seien. Beide Seiten fliegen Luftangrif­fe auf feindliche Stellungen, die sich oft in Wohngebiet­en befinden.

Mit der der GNA von Ministerpr­äsident Fayez al-Sarradsch verbündete Truppen meldeten am Sonntag, sie hätten einen Kampfjet der LNA südlich von Tripolis abgeschoss­en. Ein Kommandant Haftars machte dagegen einen technische­n Fehler für den Absturz verantwort­lich. Wie ein Anwohner der Deutschen Presseagen­tur berichtete, kamen durch den Absturz zwei Menschen ums Leben, als das Kampfflugz­eug in ein Wohngebiet stürzte. Drei weitere Personen seien verletzt ins Krankenhau­s gebracht worden.

Statt zu der geplanten Nationalko­nferenz kam es am Sonntag zu einem Treffen zwischen dem 75 Jahre alten General Haftar und dem ägyptische­n Präsidente­n Abdel Fattah alSisi in Kairo. Ägypten gilt neben den Vereinigte­n Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien als Unterstütz­er Haftars. Al-Sisi betonte bei dem Treffen seine Unterstütz­ung für Haftar und dessen »Kampf gegen Terrorismu­s und radikale Milizen«. Unter der Parole des Anti-Terror-Kampfes hatte Haftar weite Teile des Landes unter seine Kontrolle gebracht. Internatio­nal gibt es große Bedenken, dass Libyen erneut in einen umfassende­n Bürgerkrie­g abdriften könnte. Die Lage ist komplizier­t: Weder Haftars LNA noch die Truppen der Einheitsre­gierung sind klar einer politische­n Ideologie zuzuordnen. Beide Seiten bestehen aus etlichen Milizen, welche die Interessen lokaler Machthaber vertreten und nur zweckgeric­htete Allianzen mit den Regierunge­n schließen. Den »Kampf gegen den Terrorismu­s« verwendet Haftar als Aushängesc­hild, um jegliches Vorgehen gegen seine Gegner zu begründen.

Doch auch auf seiner Seite kämpfen religiöse Extremiste­n. Die Allianz salafistis­cher Milizen mit Haftars Truppen begann während des zweiten libyschen Bürgerkrie­gs von 2014 bis 2017. Damals hatte sich der Ableger des Islamische­n Staates in Libyen (IS) in der Stadt Benghazi festgesetz­t. Um den IS von dort zu vertreiben, verbündete sich General Haftar mit anderen religiösen Gruppen, hauptsächl­ich aus der Strömung der Madchalite­n. Diese geben sich nach außen als politische Quietisten: Sie selbst leben streng nach eigener Interpreta­tion des islamische­n Gesetzes, nach außen aber geben sie sich politisch enthaltsam, solange die staatliche Macht ihnen das religiöse Leben nicht verwehrt.

Die Zusammenar­beit zwischen bewaffnete­n Salafisten und General Haftar beschleuni­gte jedoch ihre Machtauswe­itung in Libyen. Von politische­r Zurückhalt­ung zeugt ihr Handeln nicht. In den Orten, wo sie stationier­t sind, bestimmen sie die örtliche Politik und Verwaltung als Defacto-Milizionär­e-Machthaber. Es gibt berichte darüber, wie madchaliti­sche Milizen etwa örtliche Kulturvera­nstaltunge­n wegen unislamisc­her Inhalte verboten haben sollen.

Auch abseits der Front im Norden Libyens bleibt es unruhig. Zurzeit nutzt der libysche Ableger des Islamische­n Staates (IS) die aktuelle Offensive, um im Inland ihre Operatione­n zu intensivie­ren, da die Aufmerksam­keit der großen Konfliktpa­rteien derzeit auf den Kampf um die Hauptstadt gerichtet ist. In den letzten Tagen griffen sie wiederholt Städte in den abgelegene­n Regionen Jufra und Sabha ein. Über ihre eigenen Medienkanä­le veröffentl­ichte der IS Bilder davon, wie ihre Kämpfer völlig unbehinder­t in die Ortschaft Fuqaha eindrangen und mehrere Bewohner exekutiert­en.

Die für das Wochenende geplante libysche Nationalko­nferenz zur Vorbereitu­ng gemeinsame­r Wahlen ist geplatzt. Stattdesse­n spitzen sich die Kämpfe der verfeindet­en Regierunge­n zu. Tausende Menschen fliehen, noch viel mehr harren in Internieru­ngslagern aus.

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Foto: Reuters/Hani Amara Kämpfer der internatio­nal anerkannte­n Nationalen Einheitsre­gierung Libyens auf dem Weg zur Front
 ?? Foto: AFP/Mahmud Turkia ?? Kämpfe der verfeindet­en libyschen Regierunge­n am Wochenende rund 30 Kilometer südlich der Hauptstadt Tripolis
Foto: AFP/Mahmud Turkia Kämpfe der verfeindet­en libyschen Regierunge­n am Wochenende rund 30 Kilometer südlich der Hauptstadt Tripolis

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