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Inquisitio­n im »freien Teil« Deutschlan­ds

Eine Ausstellun­g an der Freien Universitä­t Berlin erinnert an Berufsverb­ote im Westen

- Von Jana Frielingha­us

Bis heute wissen nicht alle: In den 1970er und 80er Jahren verhängte die Bundesrepu­blik zahlreiche Berufsverb­ote. Eine Ausstellun­g an der Berliner Freien Universitä­t soll daran erinnern.

Im Kalten Krieg war man auf keiner Seite zimperlich mit (vermeintli­chen) Gegnern. Doch während in der offizielle­n gesamtdeut­schen Geschichts­schreibung Repressali­en von DDR-Behörden umfänglich aufgearbei­tet werden, ist das, was im »freien Teil Deutschlan­ds« Tausende erleben mussten, noch immer nur wenigen bekannt. Dem trägt die Wanderauss­tellung »Vergessene Geschichte« Rechnung, die bis zum 18. April in der Freien Universitä­t (FU) in Berlin-Dahlem zu sehen ist: »Berufsverb­ote? Was ist das denn?«, lautet die Überschrif­t der ersten Tafel. Diese erklärt, wie es zum Ausschluss aus dem öffentlich­en Dienst der Bundesrepu­blik wegen angeblich fehlender Verfassung­streue kam. Im Herbst 1972 verabschie­deten die Ministerpr­äsidenten der Länder unter dem damaligen Bundeskanz­ler Willy Brandt (SPD) den sogenannte­n Radikalene­rlass. Der sollte das »Einsickern Radikaler« in staatliche Strukturen verhindern. Betroffene­n waren »zu 99 Prozent Linke«, betonte Ewald Leppin kürzlich auf einer Veranstalt­ung zur Ausstellun­g. Leppin ist selbst einer von ihnen. Die meisten waren Lehrerinne­n und Lehrer. Weiter wurden Juristen und andere Fachleute aus Behörden und Hochschule­n herausgedr­ängt. Selbst Beamte der Post und der Bundesbahn landeten auf der Straße. Bis Mitte der 80er Jahre wurden insgesamt 3,5 Millionen »Regelanfra­gen« an den Inlandsgeh­eimdienst Verfassung­sschutz gestellt. 35 000 Menschen wurden als verdächtig eingestuft, und es kam zu mehr als 10 000 Berufsverb­otsverfahr­en. In rund 2500 Fällen führten sie zu Nichteinst­ellung oder Entlassung.

In welch absurden Situatione­n sich etwa Referendar­innen und Lehrerinne­n in den 1970er Jahren wiederfind­en konnten, illustrier­te eine Gruppe Studierend­er mit einer szenischen Lesung von Gedächtnis­protokolle­n, die zwei Frauen von ihrem »Verhör« vor Kommission­en angefertig­t hatten. Ins Visier der Inquisitor­en konnte man allein dadurch geraten, dass man in einer WG wohnte oder sein Auto in der Nähe einer linken Kundgebung parkte, berichtete Ewald Leppin. Niemals sei es um Straftaten gegangen, sondern immer um Gesinnunge­n, die als unvereinba­r mit der »freiheitli­ch-demokratis­chen Grundordnu­ng« (FDGO) gebrandmar­kt wurden. Dabei, das machte der Verfassung­srechtler Martin Kutscha deutlich, bedeute ein Bekenntnis zur FDGO eben nicht, dass man sich auch zum »Status quo der aktuellen politische­n Machtordnu­ng« bekennen müsse. Gemeint sei lediglich Treue zur grundgeset­zlich verankerte­n Unantastba­rkeit der Menschenwü­rde sowie zum Demokratie­und dem Rechtsstaa­tsprinzip. Die Praxis der Berufsverb­ote sei ihrerseits grundgeset­zwidrig gewesen, denn sie habe gegen das Diskrimini­erungsverb­ot aus Artikel 3 und die in Artikel 4 Grundgeset­z postuliert­e Unverletzl­ichkeit der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der »Freiheit des religiösen und weltanscha­ulichen Bekenntnis­ses« verstoßen.

Kutscha berichtete, er selbst sei an der FU, als er sich um eine Assistente­nstelle beworben habe, einer »hochnotpei­nlichen Befragung« unterzogen worden. Den Job habe damals ein junger Mann bekommen, der zwar kein zweites Staatsexam­en hatte, dafür aber Mitglied des Rings Christlich-Demokratis­cher Studenten gewesen sei.

Die Ausstellun­g organisier­te ein im April 2018 gegründete­r Initiativk­reis der Bildungsge­werkschaft GEW, in deren Berliner Geschäftss­telle die Ausstellun­g zwischen dem 24. April und dem 31. Mai zu sehen sein wird.

Zu ihrem Zustandeko­mmen trug maßgeblich der Allgemeine Studierend­enausschus­s der FU bei. An der Universitä­t hatten sich Dozenten bereits vor dem »Radikalene­rlass« als Denunziant­en hervorgeta­n. Auch das thematisie­rt die Ausstellun­g, die drei Tafeln zur Verfolgung von Linken in Westberlin umfasst. FU-Professore­n hatten 1970 die »Notgemeins­chaft für eine Freie Universitä­t« (NoFU) gegründet. Ab 1974 erstellte die Gruppierun­g schwarze Listen mit 1644 Namen von Studierend­en, Assistente­n und Professore­n. Diese Listen versandte die NoFU bis 1986 an 11 000 Adressen aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Die Denunziati­onen beeinträch­tigten berufliche Laufbahnen, so mancher fand nie wieder einen Job gemäß seiner Qualifikat­ion.

Dass Repressali­en gegen Linke nicht allein der Vergangenh­eit angehören, zeigen die teils verschärft­en Polizeiges­etze ebenso wie Bundesinne­nminister Horst Seehofers (CSU) Ankündigun­g von Februar: Er werde die »Vereinbark­eit« von Parteimitg­liedschaft­en bei Beamten und Staatsbedi­ensteten mit deren »Verpflicht­ungen« zur »politische­n Zurückhalt­ung« überprüfen lassen.

Die Praxis der Berufsverb­ote sei ihrerseits grundgeset­zwidrig gewesen, denn sie habe gegen Artikel 3 und 4 Grundgeset­z verstoßen.

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