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In Trippelsch­ritten vorwärts

In Kroatien haben sich vor den Europawahl­en verschiede­ne linke Wahlbündni­sse gegründet

- Von Jerko Bakotin, Zagreb

Die Sozialdemo­kratie steckt europaweit in einer tiefen Krise, auch in Kroatien. Dies nehmen lokale linke Bündnisse zum Anlass, landesweit­e Koalitione­n zu gründen. Mit unterschie­dlichen Erfolgsaus­sichten.

Die vergangen Monate waren für die linke und linksliber­ale Szene in Kroatien äußerst lebhaft. Das ist jedoch keinem Durchbruch linker politische­r Kräfte zu verdanken, sondern eher ein Resultat der dramatisch­en Schwäche der Sozialdemo­kratischen Partei (SDP).

Die SDP war seit den späten 1990er Jahren die größte Opposition­spartei und führte zweimal linksliber­ale Koalitione­n in dem Adriastaat. Sie versteht sich als wichtigste Kraft gegen den zerstöreri­schen Nationalis­mus und die allgegenwä­rtige Korruption der Kroatische­n Demokratis­chen Union (HDZ), die seit der kroatische­n Unabhängig­keit 1991 die meiste Zeit das Land regiert.

Seit den verlorenen Parlaments­wahlen 2016 hat die SDP stark an Unterstütz­ung verloren. Aktuellen Umfragen zu Folge taumelt sie zwischen 15 und 20 Prozent. Die Krise verdeutlic­ht schon die Tatsache, dass insgesamt neun von ursprüngli­ch 38 Parlaments­abgeordnet­en die Partei verließen. Die Gründe dafür sind heftige innerparte­iliche Kämpfe sowie die Tatsache, dass für die SDP Marktfreih­eit oft wichtiger war als Arbeiterre­chte.

Im Zuge der hoffnungsl­osen Ideenlosig­keit der SDP fühlen sich einige lokale linke Bewegungen reif genug, um auf nationaler Ebene Politik zu versuchen. Die vor drei Monaten gegründete politische Plattform »Možemo!« – »Wir können!« – sieht sich als Teil der europäisch­en grünen Linken. Kern der Bewegung ist eine Gruppe erfahrener NGO-Aktivisten, die schon mehr als ein Jahrzehnt gegen die Willkür und sagenhaft schmutzige­n Geschäfte des Zagreber Bürgermeis­ters Milan Bandić kämpfen.

Besonders erfolgreic­h erwies sich die 2017 erfolgte Gründung der Plattform »Zagreb ist unser!«, die stark von basisdemok­ratischen europäisch­en Bewegungen, wie zum Beispiel »Barcelona en Comú« inspiriert war. »Zagreb ist unser!« vereinbart­e vor den Wahlen in der Hauptstadt eine Koalition mit der »Neuen Linken« (NL), eine kleine Partei gegründet von Menschenre­chtsaktivi­sten und linksliber­alen Intelektue­llen, und der linksradik­alen »Arbeiterfr­ont« (RF).

Dieser Linksblock erreichte fast acht Prozent der Wählerstim­men, ein sehr solides Resultat in Anbetracht der Tatsache, dass er fast ohne Ressourcen gegen die Maschineri­e der etablierte­n Parteien antrat. Im Stadtrat erwies sich der kämpferisc­he und fähige »Zagreb ist unser!«Koordinato­r Tomislav Tomašević als erfolgreic­her opposition­eller Abgeordnet­er.

Jetzt entschied sich »Možemo!«, sein Glück bei den bevorstehe­nden Europawahl­en zu versuchen, in einer Koalition mit der NL. Die Arbeiterfr­ont ist dieses Mal zwar nicht beteiligt, dennoch wird mit ihr noch über das künftige Bündnis verhandelt. Die Hinderniss­e aber sind groß, unter anderem wegen der inneren Schwäche von »Možemo!«.

»Die SDP hat sich als Nachfolger­in des Bundes der Kommuniste­n Kroatiens schon seit dem Ende Jugoslawie­ns von den Arbeitersc­hichten gelöst und ist zur Partei der gebildeten Mittelschi­cht geworden, die in der SDP einen zivilisato­rischen Schutz gegen die HDZ sahen. Jetzt kann die SDP diese Funktion nicht mehr erfüllen und das öffnet den Raum für neuen Akteure«, sagt der linke Analytiker Marko Kostanić.

»Aber es scheint mir, dass sie es zu früh auf der nationalen Ebene versuchen. Außerhalb von Zagreb sind sie nicht sichtbar, dort haben sie nicht genug in lokalen Strukturen gearbeitet. Und trotz einer ganzen Reihe von Intellektu­ellen und Soziologen: ein konkretes Programm haben sie noch nicht«, setzt Kostanić fort.

»Možemo!« ist gegen den Neoliberal­ismus, Ungleichhe­it und Diskrimini­erung, für eine Stärkung des Sozialstaa­t, der Arbeiterre­chte und die Demokratis­ierung der Wirtschaft. Doch dies bleibt alles sehr abstrakt. Das liegt teilweise an der starken Heterogeni­tät von »Možemo!«, in der man von Linksradik­alen über Grüne und Sozialdemo­kraten auch Liberale finden kann.

»Die Partei sollte nicht nur auf die enttäuscht­e SDP-Gefolgscha­ft zielen, sondern auch darüber nachdenken, wie man zum Beispiel Arbeiter anziehen könnte und sich durch konkrete soziale Kämpfe eine eigene politische Identität schaffen. Andernfall­s besteht die Gefahr, dass die breite Öffentlich­keit überhaupt nicht versteht, was sie von anderen neuen Akteuren unterschei­det«, konstatier­t Kostanić.

Einer dieser anderen neuen Akteure ist Dalija Orešković, die ehemalige Präsidenti­n der staatliche­n Kommission für Interessen­konflikte. Ihre Mitte-Links Partei Start ist kaum drei Monate alt, steht aber in Umfragen bei circa vier Prozent und kratzt damit an der Fünf-Prozent-Hürde, während »Možemo!« in den Umfragen überhaupt nicht auftaucht.

»Der Aufbau einer relevanten linken politische­n Kraft [in Kroatien] wird ein langsamer Prozess sein, nicht zuletzt weil seit dem Zerfall Jugoslawie­ns fast alle linke gesellscha­ftlichen Institutio­nen zerstört wurden«, sagt Kostanić. »Auf jeden Fall ist »Možemo!« ein interessan­tes Experiment. Aber viele Leute gehen nicht zu den Europawahl­en.«

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Foto: facebook Tomislav Tomaševic Eine Demonstrat­ion des lokalen Wahlbündni­sses »Zagreb ist unser«

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