Russisches »Netzwerk« vor Gericht
Antifaschisten sollen Anschläge geplant haben
Am 8. April startete vor einem Militärtribunal in St. Petersburg der Prozess gegen zwei Anarchisten und Antifaschisten. Der Vorwurf gegen Wiktor Filinkow und Julij Bojarschinow lautet auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die der Staat jüngst unter dem Namen »Netzwerk« in ein Register verbotener Terrororganisationen eintragen ließ, in dem fast ausschließlich islamistische Gruppen aufgeführt sind. Das »Netzwerk« soll eine Reihe von Anschlägen mit dem Ziel geplant haben, einen Umsturz herbeizuführen. Zwei vermeintliche Anführer und einige weitere Angeklagte warten derzeit in Pensa auf den Beginn ihrer Gerichtsverhandlung, die für den 25. April angekündigt wurde.
Dünne Beweislage
In der Anklage gegen die beiden Petersburger fehlen Hinweise auf die Planung konkreter Vorhaben. Abstrakte Andeutungen, wonach unbekannte Personen zu einem unbekannten Zeitpunkt an einem unbekanntem Ort zukünftige Straftaten geplant haben sollen, gibt es dagegen reichlich. Einige wenige Namen und Treffpunkte geben nur bedingt Aufschluss über den Sachverhalt. Eines der zentralen Argumente der Staatsanwaltschaft ist, dass die Gruppe den Umgang mit Waffen geübt und Überlebenstrainings absolviert hätte. Dafür hätten sie eine Organisation aufgesucht, die zu Sowjetzeiten massenweise paramilitärische Schulungen zur Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft durchführte. Der Inlandsgeheimdienst FSB interessierte sich aber nicht dafür, dass dort völlig legal auch freiwillige Kämpfer für einen Einsatz im ostukrainischen Donbass trainierten. Selbst die Teilnahme schwedischer Neonazis, die später in Göteborg Terroranschläge verübt hatten, waren dem FSB keine Ermittlungen wert.
Vom Richter dazu befragt, ob er die Anklagepunkte nachvollziehen könne, antwortete Filinkow negativ. Anders Bojarschinow, der ein Schuldgeständnis abgelegt und beantragt hatte, in einem gesonderten Verfahren ohne Verhandlung abgeurteilt zu werden. Er sagte aus, dass es bei Treffen mit Leuten aus seinem Umfeld Diskussionen gab über einen möglichen Anstieg nationalistischer Tendenzen, ähnlich den Entwicklungen in der Ukraine und wie dagegen vorzugehen sei. Im Sommer 2016 hätten daran auch mehrere Gleichgesinnte aus Pensa teilgenommen. Allerdings trat Bojarschinow nicht als Zeuge der Anklage auf, während Igor Schischkin, der ebenfalls dem »Netzwerk« angehören soll, umfangreiche belastende Aussagen getätigt hatte und deshalb im Januar zu einer Haftstrafe von nur dreieinhalb Jahren verurteilt wurde.
Foltervorwürfe gegen FSB
Nicht zur Sprache kamen bislang die Begleitumstände der Festnahmen. Filinkow hatte sein anfängliches Geständnis mit dem Verweis auf Folter mit Elektroschocks revidiert. In Pensa fanden nach Angaben einiger Angeklagter unter dem leitenden FSB-Ermittler Walerij Tokarew weitaus brutalere Methoden Anwendung. Ein Geschäftsmann aus Pensa, der jüngst in Großbritannien Asyl erhalten hatte, berichtete in einem Interview für den Sender Rossija 24, dass er bei einem Verhör durch Tokarew gefoltert worden war und nun ein Strafverfahren gegen ihn anstrebe. Angesichts der Stellung des FSB käme dies einer Sensation gleich. Auf unhaltbare Zustände und grobe Misshandlungen im russischen Justizwesen wies kürzlich Generalstaatsanwalt Jurij Tschajka hin. Dass Folter als eigenständiger Straftatbestand anerkannt werden muss, fordern Menschenrechtler schon lange.