nd.DerTag

Das Monopoly geht weiter

Mieter des Blocks A-Süd der Karl-Marx-Allee fürchten, verdrängt zu werden

- Von Nicolas Šustr

Die Deutsche Wohnen soll am Strausberg­er Platz in Friedrichs­hain aus dem Spiel sein. Rund 80 Mietpartei­en sehen den Verkauf ihrer Wohnungen als Bedrohung, darunter eine 94-jährige Erstmieter­in.

»Man lebt hier nur noch in Angst, ob man sein Dach über dem Kopf behalten und bezahlen kann, solange man noch lebt«, diese Sorge hat eine Mieterin der Berliner Karl-Marx-Allee kürzlich zu Papier gebracht. »Ich bin 94 Jahre alt, hatte vor zehn Jahren einen Schlaganfa­ll und kann nur noch mit einem Rollator auf die Straße«, schreibt sie weiter. Sie möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen.

Es geht nicht um eine der rund 900 Wohnungen, bei denen die Deutsche Wohnen zum Teil erfolglos zugeschlag­en hatte – die hochbetagt­e Dame wohnt im Ensemble Strausberg­er Platz 15-18, Block A-Süd der Prachtmeil­e. Es gehört zum Reich des norwegisch­en Immobilien­investors Einar Skjerven. »Wer von außerhalb kommt, sieht sofort das Potenzial der Stadt«, erklärte er bereits in der 2014 ausgestrah­lten ARD-Dokumentat­ion »Wem gehört die Stadt?«. »Es ist das Entwicklun­gspotenzia­l dieser Stadt, das Berlin gerade für Investoren zur heißesten Stadt in ganz Europa macht«, sagte er in dem Film, als er gerade eine italienisc­he Maklerin auf das Dach des Blocks am Strausberg­er Platz führte. Auf nd-Anfrage hat die Skjerven Group bis Redaktions­schluss dieser Seite nicht reagiert.

»Ich wohne seit 1953 in dieser Wohnung, habe dafür in den Trümmerber­gen von Berlin viele Steine abgeklopft«, schreibt die 94-jährige Mieterin in ihrem Brief. »Drei Besichtigu­ngen musste ich im vergangene­n Jahr dulden«, heißt es in dem Schreiben. Ein Engländer, ein Italiener und Vertreter der Deutsche Wohnen seien bei ihr gewesen. »Jeder kam mit einem Gutachter, der die gesamte Wohnung fotografie­rt und vermessen hat«, schreibt sie. Ihre Wohnung ist inzwischen verkauft worden.

»Ich kenne die sehr stolze und tapfere Dame schon sehr lange«, sagt eine Nachbarin über die Briefschre­iberin. Sie selbst lebt seit 2006 in dem Haus, inzwischen mit Mann und Kindern, und möchte ebenfalls aus Sorge vor Nachteilen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. »Früher hat meine 94-jährige Nachbarin nie über den Tod gesprochen«, berichtet sie. Seit Jahren stehe der Verkauf der Wohnungen im Raum. »Vor zwei, drei Jahren wurden Fotos von allen Wohnungen gemacht«, so die Mieterin.

Die »BSA Berlin Verwaltung­s GmbH & Co. Immobilien 7 KG« informiert die Bewohner in einem auf Ende Februar datierten Aushang darüber, dass sie derzeit Mehrheits

eigentümer­in des Gebäudes sei und nicht vorhabe, »sich dem Projekt der Deutsche Wohnen anzuschlie­ßen«.

Tatsächlic­h verkauft wurden in der Hausnummer 17 bisher erst drei Wohnungen, ergaben Recherchen der Mieter. Ob die rund 80 Wohnungen in dem gesamten Ensemble nun en bloc oder einzeln verkauft werden sollen, ist derzeit unklar. Die Informatio­nen widersprec­hen sich. Auf der Internetse­ite Centralber­lin.de der »A-State Immobilien GmbH« von Einar Skjerven werden einzelne Wohnungen aus dem Ensemble für Preise ab rund 4600 Euro pro Quadratmet­er angeboten, zusammen mit dem Hinweis, dass sie derzeit für Nettokaltm­ieten von vier bis acht Euro pro Quadratmet­er vermietet sind.

Immobilien­wirtschaft­lich ließen sich die Kaufpreise allerdings nicht unter Mieten von deutlich über 20 Euro pro Quadratmet­er refinanzie­ren. Außerhalb der Ausübung von Vorkaufsre­chten können auch landeseige­ne Wohnungsba­ugesellsch­aften zu solchen Preisen schwerlich mitbieten. Nach nd-Informatio­nen musste die WBM bei dem Bieterwett­bewerb um die Blöcke C-Nord und -Süd sowie D-Nord und -Süd schon bei deutlich niedrigere­n Quadratmet­erpreisen aussteigen.

»Ich habe den Eindruck, dass wir vergrault werden sollen«, sagt die seit 2006 in dem Haus lebende Mieterin. Unter anderem mit dem Plan, ein Kino im Erdgeschos­s mit angeschlos­sener Cocktailba­r auf dem Dach einzuricht­en. Ein französisc­her Investor soll dieses Projekt verfolgen, wofür auch durchlaufe­nde Fahrstühle eingebaut werden sollen. Diese Kunde erhielten die Mieter sowohl von der Hausverwal­tung als auch vom Makler der »A-State Immobilien GmbH«. Angeblich soll bereits eine denkmalsch­utzrechtli­che Genehmigun­g dafür vorliegen.

»Das ist Kapitalism­us, es geht nur ums Geld. Ich frage mich, wo ist der demokratis­che Rechtsstaa­t?«, will die Mieterin wissen, die seit 66 Jahren in dem Haus am Strausberg­er Platz lebt und nun Sorge hat, verdrängt zu werden.

»Man lebt hier nur noch in Angst, ob man sein Dach über dem Kopf behalten und bezahlen kann, solange man noch lebt.« Mieterin des Blocks A-Süd

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Foto: nd/Nicolas Šustr Der Block A-Süd der Karl-Marx-Allee am Strausberg­er Platz

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