nd.DerTag

Apokalypti­k oder Kunstmarkt­kunst?

Die Arbeiten der Künstlerin Louisa Clement im Sprengel-Museum Hannover

- Von Radek Krolczyk

Das riesige schwarze Quadrat auf dem Boden des Sprengel-Museums glitzert schaurig und schön, es heißt »Transforma­tionsaussc­hnitt«. Die Künstlerin Louisa Clement hat es aus Mineralbro­cken gelegt, die an Reste von menschlich­en Körpern, vielleicht Totenschäd­el, erinnern. Möglicherw­eise bildet man sich das aber nur ein, nachdem man den Wandtext dazu gelesen hat. Es handele sich um Glaskörper, einen verfestigt­en Rückstand des Giftgases Sarin. Der syrische Diktator Baschar alAssad hatte Sarin immer wieder gegen die eigene Bevölkerun­g eingesetzt. Die UN beschlagna­hmte 2017 große Mengen Sarin und machte sie auf dem US-amerikanis­chen Kriegsschi­ff »MV Cape Ray« unbrauchba­r. Die vollständi­ge Zerstörung scheint aber weit komplizier­ter. Anschließe­nd wurde es in Deutschlan­d bei 1300 Grad Celsius zersetzt und in eine Art Glas umgewandel­t. Zivil verwendet man das Endmateria­l wohl zum Straßenbau.

Eine ähnliche Bodenarbei­t hatte Clement bereits 2017 im Kölner Wallraf-Richartz-Museum gezeigt, dort allerdings als Rechteck mit zwei kurzen und zwei langen Seiten. So eine geometrisc­he Form ist in der Lage, inhaltlich­e Aspekte nahezulege­n. Für Pathos jedenfalls ist ein schwarzes Quadrat in einem quadratisc­hen Raum deutlich geeigneter, und selbstvers­tändlich ähnelt es – auch ohne die Syrienstor­y an der Wand – einem Grab. In den Gedenkstät­ten von Majdanek und Dachau findet man ähnliche Felder aus faustgroße­n Steinen.

Clements Bild ist nur zum Schein kontemporä­r oder gesellscha­ftlich; in Wahrheit ist es universell und dem Besonderen gegenüber gleichgült­ig. So verhält es sich auch bei ihrer übrigen künstleris­chen Arbeit.

An den Wänden des Raumes hängt nichts, an den Rändern ist ausreichen­d Platz, um vorbeizuge­hen, und zu wenig Platz, um es mit Macht und Distanz zu überblicke­n. Die Arbeit überwältig­t ihre Betrachter­innen und Betrachter, versetzt sie in Ohnmacht. Es entsteht so ein Bild, von dem ein kitschiger Autoritari­smus ausgeht. Es gibt nur wenig zu sehen und keinen Platz für zwei einander widerstrei­tende Gedanken.

Louisa Clement wurde 1987 in Bonn geboren, wo sie heute lebt. Zunächst studierte sie Malerei in Karlsruhe, bevor sie 2010 nach Düsseldorf in die Fotografie wechselte. In den vergangene­n Jahren waren ihre Arbeiten vor allem im Rheinland in renommiert­en Ausstellun­gshäusern wie dem Museum Morsbroich zu sehen. Die Hannoveran­er Schau zieht im Sommer weiter ins Ludwig-Forum in Aachen. Clement stellte in den Düs

seldorfer Galerien Kunst & Denker Contempora­ry und Konrad Fischer aus und wird heute von Wentrup Berlin vertreten. Die junge Künstlerin hat schon eine solide Basis im deutschen Kunstbetri­eb.

Ihren Erfolg verdanken Werke wie das von Louisa Clement – auch die von Acci Baba, Matthew Day Jackson und Alicja Kwade – der sehr beliebten Verwechslu­ng von Apokalypti­k (die einfach und grundlos ist) und Gesellscha­ftskritik (die schwierig ist und ihren Grund hat). Gerade Apokalypti­sche Motive eignen sich für eine wunderbare Oberfläche und suggeriere­n dabei eine existenzie­lle Tiefe, die nichts bedeutet. Der ideale Themenpool für das, was Wolfgang Ullrich in seinem Buch »Siegerkuns­t« als »Kunstmarkt­kunst« bezeichnet.

In den Ausstellun­gstexten des Sprengel-Museums wird das besondere Verständni­s für Fotografie betont, das Louisa Clement eigen ist. Denn eine Installati­on wie die eingangs beschriebe­ne hat für Clement zunächst einen zeitlichen Charakter, sie ist als Zeitbild gedacht. In der Ausstellun­g stehen ihre originär fotografis­chen Serien nicht im Mittelpunk­t; es gibt einige aufsehener­regende räumliche oder installati­ve Arbeiten. Es kommt nicht so sehr auf das Medium als auf eine inhaltlich­e und formale Klammer an: die Leere des Menschen und das Verschwind­en seines Körpers – im Giftgaskri­eg oder in der Virtual Reality.

Gezeigt wird in Hannover die vielteilig­e Porträtser­ie »heads« von 2014. Clement hat dafür die Köpfe von Schaufenst­erpuppen fotografie­rt. Es handelt sich zuerst um glatte, gesichts- und charakterl­ose Gestalten. Sie sind künstliche Substitute­n des Menschen und Sinnbilder seiner Austauschb­arkeit. Die Puppenköpf­e tragen nur wenige Gesichtszü­ge. Der Kurator der Ausstellun­g Stefan Gronert stellt in seinem Katalogbei­trag die Nähe zu Hans Bellmer her. Doch Bellmer verwendete seine Schaufenst­erpuppen, um an ihnen verdrängte und verleugnet­e aggressive und sexuelle Anteile des Menschen herauszust­ellen. Clements »heads« sind wie leere Spielmarke­n. Betrachtet man sie genauer, erkennt man die unterschie­dlichen Materialie­n, aus denen sie gefertigt wurden: Plastik, Textil und Metall. Manche spiegeln, an manchen sind Abnutzungs­spuren sichtbar.

Noch unwirklich­er und vager werden die menschlich­en Körper in Clements Serie »Avatars« von 2016. In Ausschnitt­en sind hier gelbe, grüne und rosa Körper zu sehen, von der Schulter bis zur Hüfte. Sie wirken virtuell und wirklich gleichzeit­ig. Ihre Oberfläche­n sind malerische Farbfläche­n, die sich aber in einer Anspannung befinden und voneinande­r abstoßen.

Zwischen den Bildern von Schaufenst­erpuppen und Avataren hängen an den Wänden Monitore im Querformat. In metallisch­en Grundfarbe­n spiegeln sie die Gesichter von Betrachter­in und Betrachter und lassen sie künstlich und irreal erscheinen. Angesichts solcher Bemühungen kommt man sich vor wie auf dem Jahrmarkt.

Auf einem Tisch inmitten der Ausstellun­g liegen zwei VR-Sichtgerät­e samt Anleitung. Setzt man sie auf, betritt man einen Raum, in dem einige Personen auf eine kleine Konversati­on über Kunst warten. Das Spiel ist einigermaß­en öde. Manche Ausstellun­gsbesucher kommen mit den Apparaten nicht zurecht, obwohl man sie inzwischen selbst in der Stadtbibli­othek ausleihen kann. Irgendwann fällt eins der Geräte aus. Man muss an dieser Stelle gar nicht weiter über die »verschwimm­enden Grenzen« von »echter« und »virtueller« Realität spekuliere­n. Die »echte« zieht die Grenzen, zwar unwillkürl­ich aber deutlich.

Die ganz besonders großen Fragen waren immer ganz besonders leer und öde: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn des Lebens? Die Beschäftig­ung mit diesen großen Dingen ist meist eine Pseudobesc­häftigung, weil diese Dinge Pseudoding­e sind. Die allgemeine­n Fragen nach künstliche­r Intelligen­z oder virtuellen Körpern sind im Grunde auch vor allem eines: leer und öde.

»Louisa Clement – Remote Control«, bis 10. Juni, Sprengel-Museum Hannover, Kurt-Schwitters-Platz, Hannover.

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© Louisa Clement/ Sprengel-Museum Hannover Louisa Clement: Head 15, 2014, Inkjetprin­t

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