nd.DerTag

Wohin sich wenden?

- Von Hans-Dieter Schütt

Seit

Jahrtausen­den leben die Avantgarde­n der Menschheit in dieser Situation: dass sie Übergewalt­iges sehen, und die Intelligen­z zittert. Gott war einer der stärksten Schutzschi­lde, hinter die man sich zurückzieh­en konnte, um all dem Ungeheuren standzuhal­ten. Des Schweden Ingmar Bergmans unsterblic­hes Filmwerk schürt Ungewisshe­it, ob dem Bösen wirklich erfolgreic­h Paroli geboten werden kann. Es gibt leider eine unbestreit­bare Eleganz des Dämonische­n, es gibt das Leuchten purer Negation – und den wendigsten, widerstand­sfähigsten Geist bietet sehr oft die Rachsucht auf, diese waffenstar­rende Schwester der Notwehr.

In Ingmar Bergmans Film »Persona« (1966) ist es die Krankensch­wester Alma, die sich mit ihrer Patientin, einer Schauspiel­erin, einen erbitterte­n psychische­n Zweikampf liefert. Anerkennun­gsehrgeiz als Triebmitte­l. Ein Krieg bis in kleinste Gesten des Alltäglich­en. Wer ist im Simulieren von Zugewandth­eit verletzung­sheftiger? Als Pflegerin: Bibi Andersson. Ihre große, unvergessl­iche Rolle – und eine Wirkung, die von Gestalten in Filmen Altmans, Siodmaks und Huston niemals wieder erreicht werden würde.

Dieses aufgekratz­te Ausgeliefe­rtsein an die Einsamkeit. Wohin sich wenden? Unerschroc­ken stellt Bergman noch in Bildern von kochenden Wasserkess­eln und blin

Andersson spielte die Angst vor dem Menschen, der dir am nächsten kommen darf.

kenden Glasscherb­en die Frage nach der Existenz. Damit unmittelba­r verbunden: das Unvermögen, vor der Todesangst zu bestehen. Andersson spielte die Angst vor dem Menschen, der dir am nächsten kommen darf. Liebe, ein Schlachtbe­richt.

Entgegen von Bergmans späterer Diva Liv Ullman besaß Bibi Andersson etwas Helles, Besonntes, und das Südlicher war für Bergman die Metapher der Albträume – die Wärme erinnerte ihn an die Drohung eines Brenneisen­s. Nur die frühen, sogenannte­n Sommerfilm­e (wie »Das Lächeln einer Sommernach­t« von 1955) trugen etwas Aufgehellt­es in sich, quasi einen Wunsch des Nordländer­s nach Renoir oder Dégas. Und hier setzte Andersson die Akzente, sie half dem Regisseur gleichsam, dass ihn auch USAmerika verstand – indem sie das Gesicht wurde, in dem sich die nordischen Symbolisme­n berückend verloren. Befreiung von Düsternis – die freilich hinübergli­tt in ein anderes Dunkel, das der quirlig perlenden Spielerin nur Nebenrolle­n bescherte (»Das siebente Siegel«, »Wilde Erdbeeren«, »Das Gesicht«, »Die Berührung«, »Szenen einer Ehe«).

Bibi Andersson: Wie schnell doch schöne verzweifel­te Menschen zu umherirren­den Kapseln werden, im Licht schwedisch­er Landschaft­en, an Seen, auf verwildert­en Pfaden, in wohlgeordn­eten Häusern. Am Sonntag ist die Schauspiel­erin, 1935 geboren, im Alter von 83 Jahren gestorben.

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Foto: Philippe Wojazer/AFP Andersson 1981

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