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Selbstbest­immung mit Grenzen

Verbot organisier­ter Sterbehilf­e wird vor dem Bundesverf­assungsger­icht verhandelt

- Von Ulrike Henning Mit Agenturen

Der neue Paragraf 217 des Strafgeset­zbuches soll profession­ellen Suizidbegl­eitern das Handwerk legen. Beschwerde gegen die Regelung erhoben in Karlsruhe auch Palliativm­ediziner und Schwerkran­ke.

Seit dem Dezember 2015 gibt es in Deutschlan­d ein gesetzlich­es Verbot der »geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e«. Dagegen klagen nicht nur Vertreter eben jener Sterbehilf­evereine aus Deutschlan­d und der Schweiz, deren Aktivitäte­n mit der Neuregelun­g eingeschrä­nkt werden sollten. Auch Schwerkran­ke und Mediziner haben gegen die Regelung beim Bundesverf­assungsger­icht Beschwerde eingelegt, weil sie im Grundgeset­z zugesicher­te Rechte wie Berufsfrei­heit oder das Persönlich­keitsrecht verletzt sehen. Das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe verhandelt­e dazu am Dienstag und Mittwoch öffentlich.

Am Dienstag befragten die Richter zunächst Experten, um eigene offene Fragen zu klären. Nach dem 2015 festgelegt­en Paragrafen 217 Strafgeset­zbuch drohen bei einer »geschäftsm­äßigen Förderung der Selbsttötu­ng« bis zu drei Jahre Haft. Der Begriff »geschäftsm­äßig« meint hier nicht nur kommerziel­le Leistungen, sondern auch wiederholt­e unentgeltl­iche Unterstütz­ung für verschiede­ne Betroffene. Angehörige und »Nahestehen­de« sind von dem Verbot ausgenomme­n.

Zu den Verteidige­rn des Paragrafen am ersten Verhandlun­gstag gehörten zunächst dessen maßgeblich­e Initiatore­n, die SPD-Bundestags­abgeordnet­e Kerstin Griese und der CDU-Politiker Michael Brandt. Sie hatten – mit einer Mehrheit des Bundestage­s – befürchtet, dass Suizidbeih­ilfe zur normalen Dienstleis­tung werde. Es sollte verhindert werden, dass sich Menschen dadurch unter Druck gesetzt fühlten. Am Dienstag wurden außerdem Experten aus der Psychiatri­e befragt. Sie vertraten die Auffassung, dass nur ein kleiner Teil aller Suizide freiverant­wortlich stattfinde­t. Meist seien psychische Erkrankung­en mit im Spiel.

Vehement unterstütz­t wurde die geltende Regelung vom Präsidente­n der Bundesärzt­ekammer, Frank Ulrich Montgomery. Seiner Meinung nach sei es die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten, das Leben zu erhalten. In den Berufsordn­ungen der Ärztekamme­rn in Deutschlan­d sei nirgendwo von einer ärztlichen Aufgabe der Beihilfe zum Suizid die Rede.

Die schwer kranken Beschwerde­führer möchten hingegen einen Sterbehilf­everein in Anspruch nehmen. Sie berufen sich vor allem auf das allgemeine Persönlich­keitsrecht und leiten daraus ein Recht auf selbstbest­immtes Sterben ab. Andere Kläger waren während des langen Verfahrens schon gestorben. Die Richter hatten es abgelehnt, das Gesetz auf einen Eilantrag hin bis zum Urteil außer Kraft zu setzen.

Am Mittwoch wandte sich das Bundesverf­assungsger­icht der rechtliche­n Bewertung zu. Die zentrale Frage war, ob sich aus dem Recht eines jeden Menschen auf einen selbstbest­immten Tod ein Anspruch auf Unterstütz­ung ableiten ließe.

Zum Auftakt des zweiten Verhandlun­gstags schilderte einer der klagenden Palliativm­ediziner die praktische­n Probleme mit dem Verbot der geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e. Vertreter dieser fachärztli­chen Richtung begleiten todkranke Patienten und unterstütz­en sie mit symptomlin­dernden Maßnahmen, etwa mit Schmerzmit­teln, wenn es keine therapeuti­sche Hilfe mehr gibt. Der neue Paragraf 217 im Strafgeset­zbuch behindere das Vertrauens­verhältnis zwischen Arzt und Patient, sagte der Schmerzthe­rapeut Dietmar Beck aus Stuttgart. Er kenne einzelne Kollegen, die Mittel zum Sterben zur Verfügung stellten. Die meisten seien aber verunsiche­rt.

Beck erzählte den Richtern von einer hochaltrig­en Patientin mit Depression­en, die nach einem gescheiter­ten Suizidvers­uch erblindet war. Das Ethikkonzi­l des Krankenhau­ses habe ihr schließlic­h das Sterbefast­en ermöglicht, also den freiwillig­en Verzicht auf Essen und Trinken. Das habe sich über drei Monate hingezogen, in dieser Zeit habe sie täglich um eine tödliche Spritze gebeten. Er wünsche sich die Freiheit, diese letzte Option zu haben.

Nach der Erfahrung von Psychiater­n und Ärzten seien Sterbewill­e und Lebenswuns­ch von Schwerstkr­anken oft ambivalent. Suizidwüns­che verschwänd­en oft, wenn sich Menschen aufgehoben und angenommen fühlten, erklärte Susanne Kränzle vom Hospizverb­and Baden-Württember­g.

Gerichtspr­äsident Andreas Voßkuhle hatte zu Beginn der Verhandlun­g darauf hingewiese­n, dass es »nicht um die moralische oder politische Beurteilun­g der Selbsttötu­ng« gehe, »sondern allein um die Reichweite des Freiheitsr­aums, den das Grundgeset­z einer staatliche­n Strafdrohu­ng entgegense­tzt«. Das Urteil wird voraussich­tlich in einigen Monaten verkündet.

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Foto: imago images/epd Schmerzmit­tel bis zum Tod – oder gibt es eine Abkürzung?

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