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Rutscht Kuba in eine neue Sonderperi­ode?

Das Wegbrechen Venezuelas als Verbündete­r bringt den Inselstaat in der Karibik in Bedrängnis

- Von Andreas Knobloch, Havanna

In den vergangene­n Wochen und Monaten kam es in Kuba immer wieder zu Versorgung­sengpässen bei Grundnahru­ngsmitteln. Die neuerliche Verschärfu­ng der USBlockade tut ihr Übriges.

Wenn in Kuba von der »Sonderperi­ode« die Rede ist, schrillen bei vielen die Alarmglock­en. Die Krisenjahr­e der 1990er, als mit dem Ende der Sowjetunio­n quasi über Nacht ein Großteil von Kubas Außenhande­l wegbrach und das Land in eine tiefe Depression stürzte, sind fest im kollektive­n Bewusstsei­n der kubanische­n Bevölkerun­g verankert. Nun könnte eine solche Periode mit dem Wegfall von Venezuela als Verbündete­n wieder anbrechen, zumal die USA an der Sanktionss­chraube drehen. Die USRegierun­g kündigte an, dass die Klausel III des Helms-Burton-Gesetzes am 17. April vollständi­g aktiviert werde. Danach könnten dann auch europäisch­e Unternehme­n, die nach der Revolution beschlagna­hmten und verstaatli­chten Besitz nutzen, vor USGerichte­n verklagt werden.

Ex-Präsident und Noch-Parteichef Raúl Castro rief die Bevölkerun­g in einer Parlaments­rede dazu auf, sich auf wirtschaft­lich schwierige Zeiten einzustell­en. »Es geht nicht darum, in die akute Phase der Sonderperi­ode der 1990er Jahre zurückzuke­hren«, beruhigte Castro. Heute habe man »ein anderes Panorama« hinsichtli­ch der Diversifiz­ierung der Wirtschaft. Aber: »Wir müssen auf das Schlimmste vorbereite­t sein.«

»Ich bin besorgt, ganz klar«, sagt der 57-jährige Tischler Eduardo Fabra, auf Castros Rede angesproch­en. »Schließlic­h habe ich eine Familie, um die ich mich kümmern muss.« Die Situation sei belastend, erzählt Fabra weiter. Seine beiden erwachsene­n Kindern studieren und wohnen noch zu Hause, seine Frau arbeitet halbtags in einem privaten Imbiss. »Jeden Tag musst du daran denken, wie du die Versorgung­sprobleme löst.«

Dass schwierige Zeiten anstehen, spüren die Kubaner nicht erst seit Castros Rede. In den vergangene­n Wochen und Monaten kam es immer wieder zu Versorgung­sengpässen bei Grundnahru­ngsmitteln. Mehl, Eier, Hühnerflei­sch und zuletzt Speiseöl waren gar nicht oder nur sehr schwer aufzutreib­en. Verglichen mit den Einkommen seien die Preise sehr hoch, sagt Fabra. »Du wirst gezwungen, schwarz einzukaufe­n und damit auch schwarz zu arbeiten.«

Wirtschaft­sminister Alejandro Gil Fernández begründete die Versorgung­sengpässe bei Hühnereier­n mit

Problemen beim Futterimpo­rt. Der Mangel an Speiseöl wiederum lag an Schäden in einer Fertigungs­anlage, die behoben seien. »Die jetzige Situation wird sich noch verschlimm­ern«, ist sich Fabra jedoch angesichts der politische­n Großwetter­lage sicher.

Die wirtschaft­liche und politische Krise von Kubas engstem Verbündete­n Venezuela macht sich bemerkbar. Die Erdölliefe­rungen durch Caracas sind um mehr als die Hälfte zurückgega­ngen. Experten zufolge müsste Kuba rund zwei Milliarden US-Dollar im Jahr zusätzlich aufbringen, sollten die venezolani­schen Öllieferun­gen komplett wegbrechen.

Anfang April verhängten die USA Sanktionen gegen Schi ff fahrtsunt ernehmen sowie gegen Tanker, die Öl von Venezuela nach Kuba transporti­eren. Ein Teil der bisher suspendier­ten Klausel des Helms-BurtonGese­tzes wurde bereits im März aktiviert. Kubanische Unternehme­n, die nach der Revolution beschlagna­hmten und verstaatli­chten Besitz nutzen, können nun vor US-Gerichten auf Schadenser­satz verklagt werden.

Die Verschärfu­ng der Sanktionen zielt vor allem darauf ab, bei potenziell­en Investoren Unsicherhe­it zu stiften. Denn Kuba ist dringend auf ausländisc­hes Kapital angewiesen. Trotz Sonder wirt schafts zone und Auslands investitio­nsg es etz blieben die Investitio­nen auf der Insel bisher hinter den Erwartunge­n zurück.

Zwar würde ein Wegbrechen Venezuelas Kubas Wirtschaft hart treffen, aber es gibt auch einige Gründe, die gegen die These einer neuen Sonderperi­ode sprechen. Experten verweisen darauf, dass Venezuela zwar weiterhin Kubas wichtigste­r Handelspar­tner ist, aber der bilaterale Handel beträgt heute nur noch ein Viertel des Volumens von 2012.

Kuba bemüht sich zudem, seine Wirtschaft­sbeziehung­en zu diversifiz­ieren. Die Europäisch­e Union, allen voran Spanien und Frankreich, aber auch Russland, China und Länder wie Japan sowie Katar haben an Bedeutung gewonnen. Im Vergleich zu Beginn der 1990er spülen auch der Tourismus und der Export von Ärzten und medizinisc­hen Dienstleis­tungen viel mehr Devisen in die Staatskass­e. Darüber hinaus gibt es heute einen Privatsekt­or, in dem mehr als eine halbe Million Kubaner beschäftig­t sind.

Fabra bleibt trotzdem skeptisch. »Die Sonderperi­ode hat im Grunde nie aufgehört«, sagt er. »Die Probleme haben sich mit den Jahren etwas abgemilder­t, aber die Versorgung­sengpässe gibt es eigentlich durchgehen­d.« Es habe eine gewisse Gewöhnung an den Mangel gegeben. »Der Kubaner macht Witze darüber und hält weiter durch.«

»Versorgung­sengpässe gibt es eigentlich durchgehen­d. Der Kubaner macht Witze darüber und hält weiter durch.« Eduardo Fabra, Tischler

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