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Eine Insel aus zweierlei Sicht

Ringelnatz’ Gedicht »Insel Hiddensee« nacherlebt von

- Der Leuchtturm – das Wahrzeiche­n von Hiddensee Waldemar Peine

Wir gehen von Bord der Fähre und sind auf Hiddensee. Vor 12 000 Jahren, als der Meeresspie­gel nach der letzten Eiszeit anstieg, wurde aus dem Geröll einer Endmoräne diese Insel.

Nach menschlich­em Maß verging viel Zeit, bis unser Landsmann Joachim Ringelnatz aus Wurzen ein wenig verklärt reimte:

» Fischerhüt­ten, schöne Villen grü

ßen sich vernünftig freundlich. « Im Hafen ankern schmucke Jachten, kleine Boote und Kähne, passend zur harmonisie­rten Freundlich­keit von Armut und Reichtum aus ringelnatz­scher Sicht:

»Steht ein Häuschen in der Mitte. Rund und rührend zum Verlieben. ›Karusel‹ steht angeschrie­ben. Dieses Häuschen steht in Vitte.«

Wir aber sind in Neuendorf an der Südspitze der Insel: Keine Villen, kleine Häuser, ein christlich­es Gemeindeha­us mit Glocke, die den Gemeinscha­ftsgeist des Fischerber­ufes wachhalten­de Lütt- und Groth Party. Die Einfachhei­t hat sich erhalten. Eine Straße führt zum Hafen, ansonsten Pfade von Haus zu Haus. In den dort vorgelager­ten Dünen lag über 900 Jahre ein Goldschatz verborgen, bis ihn ein Sturmhochw­asser 1872 frei spülte. Kremser warten und werden zur Inselrundf­ahrt »voll geladen, voll mit alten Weibsen, voll mit Männern alten« . Auf einen Wagen »voll mit jungen Mädchen« wartet der Kutscher umsonst. Die Jugend startet per Fahrrad.

»Und des Leuchtturm­s Strahlen segnen eine freundlich­e Gesundheit.«

Eine freundlich­e Gesundheit bietet die Insel an, obwohl der Leuchtturm nicht mehr strahlt. Sehr früh am Strand Wasser und Wind auf der nackten Haut zu spüren, war für mich erlebte Gesundheit und Freude. Seit der Säkularisi­erung kirchliche­n Eigentums gehört Grund und Boden von Hiddensee der Stadt Stralsund. Den Fischerfam­ilien stand ein Kartoffels­treifen zu. Kartoffel werden nicht mehr angebaut. Der Rechtsansp­ruch besteht noch immer.

Etwas Besonderes sind auch die immer wieder auftauchen­den schwedisch­en Staatsfarb­en blau-gelb in Wimpeln und Wappen, bereichert mit landestypi­schen Symbolen. Asta Nielsen war allerdings Dänin. Ihr gehörte das »Karusel«, in welchem Ringelnatz mehrmals zu Gast war dichtete, malte und selig, törichte Stunden verlebte.

Überrascht wurden und werden wir immer wieder von vergnüglic­hen Darbietung­en heimischer und angereiste­r Künstler: Natur beschreibe­nde Kantaten und Sonaten aus der Kammermusi­k des Barocks für Gesangssti­mme, Violine und Orgel im Gemeindeha­us. Übungselem­ente des Klassische­n und Modernen Balletts getanzt auf Rasen oder Sand am Neuendorfe­r Hafen und weiter im Land von den Studenten der Palucca-Schule Dresden. Gedichte und Prosa von Christian Morgenster­n gelesen, rezitiert auf dem Netzboden der Lütt Partie.

Um dabei zu sein, verzichtet­en wir auf den Sonnenunte­rgang am Strand, verzichtet­en wir auf Stralsunde­r Bier und/oder auf den, auch von Ringelnatz geschätzte­n Rostocker Kümmel in der »Stranddist­el« oder in der »Boje«.

»Um die Insel rudern, dampfen, treiben, kämpfen Boote, Bötchen.«

Die von Stralsund und Schaprode die Insel ansteuernd­en, sich weithin vom Wasser abhebenden Fähren konnte Ringelnatz in seinen Gedichtzei­len noch nicht unterbring­en.

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Foto: Stefan Sauer/ZB

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