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Bewegen Sie sich nicht!

Im Kino: Das Biopic »Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit« zeigt uns den Maler als Getriebene­n und Pantheiste­n

- Von Gunnar Decker

Die Ewigkeit, die Vincent van Gogh meinte, ist immer der erfüllte Augenblick, in dem die Zeit stillsteht. Diesem Augenblick der Verwandlun­g in etwas noch Ungewisses ist der Regisseur Julian Schnabel mit seinem Film »Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit« auf der Spur. Kein biografisc­her Bilderboge­n sollte es werden, denn hier geht es um den Punkt, in dem die Zeit explodiert, so wie in van Goghs letztem Bild, dem apokalypti­schen »Kornfeld mit Krähen« vom Juli 1890, das in Auvers-sur-Oise entstand.

Der Zugriff von Julian Schnabel, der selbst auch Maler ist, und seinem Kameramann Benoit Delhomme scheint anfangs radikal. Beide vereint der Wille, anhand des Malers eine Art Passionsge­schichte zu drehen, aber so, wie es Pasolini in seinem Film »Das 1. Evangelium Matthäus« tat: als rein diesseitig­e Geschichte einer Erlösungsh­offnung, die enttäuscht werden musste. Aus der Not, die mit schneidend­er Skepsis kämpft, resultiert jene Intensität des Ausdrucks, die verstört. Antonin Artaud hat dies in seinem Essay »Der Selbstmörd­er durch die Gesellscha­ft« so formuliert: »Von van Goghs Nagel aufgekratz­t, zeigen die Landschaft­en ihr feindselig­es Fleisch, die Bissigkeit der aufgeschli­tzten geheimen Winkel, dass man anderersei­ts nicht weiß, welch seltsame Kraft gerade dabei ist, sich zu verwandeln.«

Schnabel zeigt uns den Maler als einen unsteten Wanderer, einen Getriebene­n, gleichzeit­ig auf der Flucht vor den falschen Gewissheit­en und ihren konvention­ellen Abbildern, die immer lügen, und auf der Suche nach jenem Urbild in der Natur, das alles durchdring­t. Ein Pantheist. Van Gogh erkennt Gott in den Dingen selbst, den kleinen, vor allem den offen missachtet­en. Und so gehen wir mit ihm über die Felder, blicken mit ihm auf den Boden, auf vertrockne­te Sonnenblum­en, hinauf in den Himmel, zu den rauschende­n Blättern der Bäume. Eine schier irrsinnige Symphonie der Farben und Formen, ein Meer, in dem man ertrinken kann. Die Handkamera schwankt wie der Maler, stolpert voran.

Schnabel lässt sich Zeit bei diesen Gängen, die Exerzitien sind. Die Stimme aus dem Off: »Ich möchte einer von ihnen sein.« Es ist der Monolog eines Außenseite­rs, der nirgendwo dazugehört. Eine Schäferin mit ihrer Herde gerät auf einem Feldweg in den Blick des Malers: »Bewegen Sie sich nicht!« Sie bleibt ängstlich stehen. Er wolle sie doch nur zeichnen. »Warum?«, fragt die Frau verständni­slos zurück. Was soll er darauf antworten? Weil er es muss. Aber ist das zu verstehen? Die Frau entzieht sich, er bedrängt sie gewaltsam – schon ist wieder ein Unheil da, das aus seinem ungestümen, keinen Widerspruc­h zulassende­n Wesen resultiert. Man beargwöhnt ihn als Irrsinnige­n, der gefährlich sein könnte. Er kommt in die Irrenansta­lt von Saint Remy. Dabei will er doch nicht mehr und nicht weniger als ein Bild malen, das kein Kompromiss mit der faulen Wirklichke­it ist.

Schnabel erzählt nicht die Biografie van Goghs, er setzt sie voraus. Mit ihren Rudimenten spielt er ein sparsam-eindringli­ches Spiel. So ist dies fast so etwas wie die Fortsetzun­g seines großartige­n Films »Schmetterl­ing und Taucherglo­cke« (2007), der von einem Mann handelt, der nach einem Schlaganfa­ll vollständi­g gelähmt ist, nur ein Auge kann er noch bewegen. Und mit diesem Auge nimmt er nicht nur Kontakt zur Außenwelt auf, sondern schafft es sogar, mittels einer Art Morsealpha­bet ein Buch zu diktieren, bevor er stirbt. Wer diesen Film gesehen hat, trägt das Memento mori mit sich.

Ja, man kann von dem Gebet eines Malers sprechen, in dem es immer nur um sämtliche Arten von Gelb oder Rot geht, die ihm alles sind: Himmel und Hölle, Leben und Tod. Schnabel lässt jedoch auch Dinge weg, die man eigentlich nicht weglassen sollte, wenn man von van Gogh erzählt. Seine Zeit als Lehrling im Kunsthande­l etwa, den er verabscheu­t, seine Zeit in der belgischen Borinage als Armenpredi­ger, seine Zeit mit der Hure Sien, die er liebt, ohne blind für ihre unrettbare Verdorbenh­eit zu sein. Sein grenzenlos­es Mitleid mit jeder Art von geschunden­er Kreatur bei gleichzeit­ig hochfahren­dem Künstlerst­olz. Seine Zeit in Paris, wo er bloß trinkt und ihn nur sein Bruder, der Kunsthändl­er Theo, davor bewahrt, völlig zu verkommen. Aber auch der Bruder, der ihn am Leben hält, vermag es nicht, etwas von ihm zu verkaufen.

Van Gogh war immer schwer krank, aber wahnsinnig, wie Schnabel seltsamerw­eise suggeriert, war er nicht. Nur unendlich reizbar, depressiv mit manischen Ausbrüchen, aber dabei immer klar blickend, allzu klar.

So kompakt Schnabels Bild von van Gogh ist, so einseitig doch auch: Allzu vieles, was zum Verständni­s des Malers gehört, fehlt auch in seinem Charakterp­rofil. Seine unendliche Belesenhei­t etwa, die es erst noch zu entdecken gilt. Wenn er nicht malte, las er oder schrieb, vor allem seine großartige­n Briefe an Theo, die Weltlitera­tur sind. Da war Vincente Minnelli mit seinem Filmklassi­ker »Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenscha­ft« (1956) durchaus weiter, schon allein, weil er nicht immer nur auf Assoziatio­nen reduziert, sondern sich Zeit nimmt, die Lebensgesc­hichte zu erzählen. Den Traum von der Künstlerko­lonie etwa, die Kollision Vincent van Goghs mit Paul Gauguin in Arles im »Gelben Haus«.

Immerhin, einen Schauspiel­er, der überzeugt, hat auch Schnabel: Willem Dafoe anverwande­lt sich dem Maler auf atemrauben­de Weise und sprengt damit wohl auch das Regiekonze­pt, das den Weg eines außerbürge­rlichen Künstlers in den unvermeidl­ichen Untergang zeigen soll. Aber das immer mit jener spürbar kalten Distanz des ewigen Fremdlings unter Menschen. Dafoe jedoch sprüht vor schöpferis­cher Hitze, geht über Grenzen und gibt seinen Maler nicht kampflos her. Man sieht ihm seine 63 Jahre nicht an, während er der 35-jährige van Gogh ist.

Keine Stationen, nur immer Assoziatio­nen. Am 27. Juli 1890 dann der Schuss, der van Gogh in den Bauch traf. »Ich habe mich erschossen. Ich hoffe nur, dass ich es nicht verpfuscht habe«, rief er seinen Wirtsleute­n Ravoux zu, als er sich abends, die Hand auf die Wunde gepresst, in die Pension zurückschl­eppte. Die Wunde entzündete sich, und der Maler starb am übernächst­en Tag. Jener Doktor Gachet, der ihn in Auvers betreut, wagte nicht, ihm dem Bauch aufzuschne­iden, um die Kugel herauszuho­len. Mit Gachet hatte er sich zuvor seiner Tochter wegen zerstritte­n, die van Gogh umwarb.

Die Geschehnis­se kurz vor seinem Tod sind durch zahlreiche Zeugenauss­agen dokumentie­rt. Aber ebenso wie neuerdings die Tatsache, dass van Gogh sich ein Ohr abschnitt, wird auch die seines Selbstmord­s bestritten. Dorfjungen, so behaupten einige Stimmen, hätten auf ihn geschossen, und van Gogh habe sie nicht verraten wollen. Keine sehr überzeugen­de Theorie. Dass auch Schnabel dieser billigen Sensations­mache breiten Raum gibt, wo er doch sonst kaum Interesse an biografisc­hen Details zeigt, verstimmt.

Ein Brief, den Vincent van Gogh an jenem Tag bei sich trug, als er auf sich schoss, ist ein Abschiedsb­rief an seinen Bruder Theo. In ihm heißt es, mit dem Händlerdas­ein des Bruders hadernd: »Wir können, offen gesagt, nichts anderes tun, als unsere Bilder sprechen zu lassen.«

»Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit«, USA/Frankreich 2018. Regie: Julian Schnabel; Darsteller: Willem Dafoe, Rupert Friend, Oscar Isaac. 111 Min.

Vincent van Gogh war immer schwer krank, aber wahnsinnig, wie der Regisseur Julian Schnabel in seinem Film seltsamerw­eise suggeriert, war er nicht. Nur unendlich reizbar, depressiv mit manischen Ausbrüchen, aber dabei immer klar blickend. »Die Natur, ebenso wie das Leben, ist eine Imitation der Kunst. Und zwar eine stümperhaf­te.« Bloor Schleppey

Gunnar Decker ist Autor der Biografie »Vincent van Gogh. Pilgerreis­e zur Sonne«, erschienen im Verlag Matthes & Seitz Berlin.

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Foto: DCM Er wird wohl für immer der Mann sein, der sich das Ohr abschnitt: Willem Dafoe als Vincent van Gogh

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