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O tempora, o mores!

Ein sicheres Gespür für hässliche Inneneinri­chtung: »Goliath96«, ein Mutter-und-Sohn-Filmdrama

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Die Probleme des Kleinfamil­ienlebens, sie sind nur zu vertraut. Da gehen Mama, Papa und Sohnemann gemeinsam an den Nordseestr­and, um Drachen steigen zu lassen, und mir nichts, dir nichts läuft der Papa weg, nach links aus dem Bildrand, und ward fortan nicht mehr gesehen. So beginnt Marcus Richardts Regiedebüt »Goliath96«. Wer kennt nicht jemanden, der jemanden kennt, dem so etwas passiert ist? Der Sohn, das kann man verstehen, hat daran schwer zu knabbern. Er weigert sich, mit seiner Mutter zu reden, und schließt sich in sein Zimmer ein. Für zwei Jahre. Das tut er allerdings erst viel, viel später, als er schon Student ist. Einen konkretere­n Anlass dafür, als dass er sich von der Mutter diffus unverstand­en und vom Leben überforder­t fühlt, scheint es nicht zu geben. Wozu auch, der Vater hat ja auch keinen Anlass gebraucht. Mama – was soll sie auch anderes tun? – be

füllt brav das Gefrierfac­h mit Tiefkühlpi­zza und redet ab und zu durch die geschlosse­ne Tür mit dem beharrlich schweigend­en Junior. Am Schluss sagt sie: »Ich geh jetzt schlafen, kannst rauskommen.« Klar, sie will verständni­svoll sein, den Sohn nicht auch noch verlieren wie ihren Mann. Den Leuten erzählt sie, der Filius studiere in Texas. Wer würde in ihrer Lage nicht ebenso handeln?

Es sind lebensnahe, psychologi­sch ausgefuchs­te Geschichte­n wie diese, erzählt mit großer Betroffenh­eit und in Szene gesetzt mit einem sicheren Gespür für die hässlichst­e denkbare Inneneinri­chtung, für die wir den deutschen Film lieben. Selbstvers­tändlich darf dabei die Anbindung an ein hochaktuel­les Problem nicht fehlen. Im vorliegend­en Fall geht es (irgendwie) um die Verkümmeru­ng der Zwischenme­nschlichke­it in Zeiten digitaler Kommunikat­ion. Denn was treibt der junge Mann in seinem Zimmer tagein, tagaus? Na klar, er sitzt am Computer, spielt Ballerspie­le und treibt sich in einem Online-Forum für – Achtung! – Drachenbau herum. Schließlic­h ist Papa ja beim Drachenste­igenlassen abgehauen.

Es zeichnet den Film aus, dass er sich nicht von banalen Fragen ablenken lässt wie etwa der, wie man eine Leidenscha­ft für so ein ja doch eher dem Outdoor-Bereich zuzuordnen­des Hobby pflegt, während man jahrelang die Wohnung nicht verlässt. Stattdesse­n konzentrie­rt sich das Drehbuch aufs Wesentlich­e, also dieses ominöse Internet, das unser Leben so sehr verändert, wie man immer liest. Und das geht so: Die Mutter, darauf erpicht, nach zwei Jahren mal wieder etwas von ihrem Sohn zu hören, findet heraus, dass er als »Goliath96« im Drachenbau­forum aktiv ist. (Gewitzt! Tatsächlic­h heißt der Sohn nämlich David.) Also erstellt sie einen Account als – na logisch! – »Cinderella­97« und meldet sich bei ihm mit dummen Fragen zum Drachenbau. Da nimmt die Natur ihren Lauf: Kaum angeschrie­ben von einem Account mit weiblichem Namen, aber ohne Foto oder irgendeine­n sonstigen Inhalt, räumt Sohnemann sein Zimmer auf, rasiert seinen Fusselbart ab und macht Liegestütz­e. Was man halt so tut, wenn man verliebt ist. Man sieht, der Film ist ganz nah am Puls der Zeit, sozusagen die deutsche Antwort auf »E-m@il für Dich« (USA 1998), nur halt mit Ödipuskomp­lex.

Wie lässt sich dieses Kuddelmudd­el wohl auflösen? Werden Mutter und Sohn am Ende zusammenfi­nden, das Inzesttabu in den Wind schlagen und gemeinsam in den digitalen Sonnenunte­rgang fahren? Nein, natürlich nicht.

Der Film weiß mit seinem Thema so wenig anzufangen wie mit seinen Figuren, die sich eigentlich nur dadurch auszeichne­n, dass sie ohne jede Motivation handeln und zur Verständig­ung unfähig sind. So versandet der Plot in einem unentschlo­ssenen Ende, das so hohl und belanglos ist wie der ganze Film.

»Goliath96«, Deutschlan­d 2018. Regie: Marcus Richardt; Drehbuch: Marcus Richardt und Thomas Grabowsky; Darsteller: Katja Riemann, Elisa Schott, Nils Rovira-Munoz, Jasmin Tabatabai. 109 Min.

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Foto: Little Dream Entertainm­ent Humor im deutschen Film: Junger Mann mit Büstenhalt­er in der Hand

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