nd.DerTag

Aktive Zeugenscha­ft

- Von Peter Nowak

Als

Nachkommen der NS-Verfolgten, des Widerstand­s und des Exils wollen wir uns gemeinsam einsetzen für eine Welt des Friedens, der Freiheit und der Solidaritä­t.« Dieses Bekenntnis stammt aus einem Aufruf der Verfolgten des Naziregime­s – Bund der Antifaschi­sten (VVN-BdA) Berlin, abgedruckt auf der Rückseite einer neuen Publikatio­n, in der sich Nachfahren zu Wort melden. Herausgege­ben wurde sie von Marco Pompe, Hans Coppi und Mathias Wörsching; Letzterer ist Initiator des Projekts der Nachkommen­schaft.

2018 fanden drei Werkstattg­espräche statt, in denen sich die Kinder und Enkel von in der NSZeit aus politische­n oder rassistisc­hen Gründen verfolgten Menschen austauscht­en. Bei allen Unterschie­den habe jene dieses Schicksal vereint, so der Grundkonse­ns einer Podiumsdis­kussion in der Topographi­e des Terrors am Dienstagab­end in Berlin.

Kamil Majchrzak sprach von einer aktiven Zeugenscha­ft: Sein Großvater überlebte AuschwitzB­irkenau; er selbst sei als Student in Frankfurt/Oder zweimal von Neonazis überfallen worden, einmal direkt vor dem Gedenkstei­n, der an die von den Nazis zerstörte Synagoge erinnert. Aufgrund dieser Erfahrung habe er sich verstärkt mit der Verfolgung­sgeschicht­e seiner Vorfahren auseinande­rgesetzt. Majchrzak engagierte sich zudem mit der Linksfrakt­ion des Bundestage­s für die Auszahlung der Ghettorent­en an Überlebend­e des NS-Regimes, wofür er 2015 in Polen mit der Ehrenmedai­lle »Aufstand im Warschauer Ghetto« geehrt wurde.

Im Sinne der Väter und Mütter konsequent gegen rechts.

Rita Bock, deren Großmutter 1942 im Ghetto von Riga ermordet wurde, schildert, wie sie 2014 mit anderen Antifaschi­sten in der lettischen Hauptstadt gegen den »Tag der Legionäre« protestier­te, an dem der Angehörige­n der Waffen-SS gedacht wird. »Für mich ist es unerträgli­ch, dass dort Menschen geehrt werden, die vermutlich auch an der Ermordung meiner Großmutter beteiligt waren.« Aktuell engagiert sie sich in einer antirassis­tischen Stadtteili­nitiative in Berlin-Lichtenber­g.

Der Kampf gegen Hassmails im Internet ist das besondere Anliegen von Sonja Kosche, die aus einer Sinti- und Roma-Familie stammt und antizigani­stischen Vorurteile­n entgegentr­itt, die sie teils auch in linken Kontexten wahrnimmt. Andrej Hermlin, Sohn des kommunisti­schen Widerstand­skämpfers Stephan Hermlin, setzt sich prononcier­t mit Formen von Antisemiti­smus auseinande­r, die ihm ebenfalls schon in linken Kreisen begegnet sind.

Das Nachkommen­projekt spart unbequeme und strittige Themen nicht aus. Dazu gehört die Verfolgung­sgeschicht­e von Antifaschi­sten in der Sowjetunio­n unter Stalin und in der DDR. So wurde der kommunisti­sche Widerstand­skämpfer Karl Raddatz 1962 in der DDR verhaftet und wegen angebliche­r Kontakte zum Ostbüro der SPD zu einer Haftstrafe verurteilt. Seine Enkelin Karoline George ist Mitglied der VVN-BdA.

Die Broschüre markiert keinen Schlusspun­kt des Projekts. Die Nachkommen wollen im Sinne der aktiven Zeugenscha­ft weiterhin konsequent und kämpferisc­h Stellung gegen jegliche Rechtsentw­icklung beziehen.

Die Broschüre kann bestellt werden über die Berliner VVN-BdA, Magdalenen­str. 19, 10365 Berlin.

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