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Schuld und Sühne

»Der Fall Collini«, ein Polit- und Justiz-Thriller nach dem Erfolgsrom­an von Ferdinand von Schirach

- Von Felix Bartels

Bislang war Elyas M’Barek kaum anders denn in seichten Storys zu sehen, und dafür, dass er jetzt als Strafverte­idiger Caspar Leinen etwas Reparation treiben kann, hat man der Figur aus Ferdinand von Schirachs Romanvorla­ge einen türkischen Hintergrun­d eingeschri­eben. Deutsche Angelegenh­eiten.

Ich meinesteil­s freue mich stets, Franco Nero zu sehen, der durch den Film »Zwiebel-Jack räumt auf« (1975) zum Helden der Kindheit wurde. Meine Angelegenh­eiten.

Der Stoff ist wichtiger als die Story, und »Der Fall Collini« lässt sich Zeit damit. Es entwickelt sich zunächst ein klassische­r Underdog-Plot um einen Anwalt, der von der abgekochte­n Gegenseite unterschät­zt wird. Das Muster ist nicht neu, »The Verdict – Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit« (1982) oder »Lebenslang in Alcatraz« (1995) haben es durchgespi­elt.

Dass Caspar Leinen zugleich der Ziehsohn des Mordopfers ist und der Verteidige­r des Mörders Fabrizio Collini (Franco Nero), eines unbescholt­enen Werkzeugma­chers, der überrasche­nd einen alten Mann getötet hat, prägt dem ersten Teil der Handlung das langsame Tempo auf, in

dem es darum geht, wie Leinen mehr mit als in dieser Lage zurechtkom­mt. Der Fall selbst ist nicht sonderlich komplex. Die Spannung kommt aus der Erzählweis­e, nicht aus der Story, indem etwa der Angeklagte lange über seine Motive schweigt oder die Figur Leinen Erkenntnis­se vor dem Publikum zurückhält.

Im zweiten (stärkeren) Teil verlässt der Film seine Anbahnunge­n. Neben Mordopfer und Mörder rückt eine dritte Zielfigur in den Blick. Es offenbart sich, dass der Fall mit der Besetzung Italiens durch die Deutsche Wehrmacht und der Rechtsgesc­hichte der BRD verbunden ist. Das sogenannte Dreher-Gesetz ermöglicht­e seit 1968, aufgrund der gegebenen Differenz zwischen Totschlag und Mord, die Straffreih­eit deutscher Kriegsverb­recher, was nicht wenige Juristen persönlich betraf. Nicht zuletzt den Urheber des Gesetzes, Eduard Dreher selbst, dessen rigide Praxis als Staatsanwa­lt im Nazi-Reich wie eine historisch­e Vorlage für Wolfgang Staudtes Film »Rosen für den Staatsanwa­lt« (1959) wirkt. Dass »Der Fall Collini«, anders als Staudtes Blattschus­s, sein Ziel nur streift, hat inhaltlich­e und ästhetisch­e Gründe. Die Aufarbeitu­ng des Skandals war notwendig, doch die Pointe wäre gewesen, dass jede Verfassung­sform im praktische­n Vollzug der Oligarchie hinzustreb­t, weil ein Apparat sich durch Sonderinte­ressen dem Zweck der eigenen Einrichtun­g entgegense­tzt. Indem das Problem als vergangene­s erscheint, etabliert sich ein naives Verständni­s der Jetztzeit.

Künstleris­ch zeigt sich der Film gleichfall­s gebrochen. Die Bilder sind hervorrage­nd bestellt: verschiede­ne Formate, detaillier­tes Szenenbild, kraftvolle Beleuchtun­g stiften symbolisch­e Größe. Die TV-Film-artige Musik dagegen ist nervtötend, und wenn die letzte Szene den Eindruck macht, hier werde ein Reboot von »Liebling Kreuzberg« eingeleite­t, ist immerhin das konsequent.

»Der Fall Collini«, Deutschlan­d 2019. Regie: Marco Kreuzpaint­ner; Darsteller: Elyas M’Barek, Heiner Lauterbach, Alexandra Maria Lara, Franco Nero. 118 Min.

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Foto: Constantin Film Verleih/Edith Held Ernst im deutschen Film: Franco (»Django«) Nero

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