Nachdenklich
Der Anfang vom Nachdenken: Die Gewerkschaft der Polizei stellte ihr Verhältnis zum Populismus zur Diskussion
Gewerkschaft der Polizei diskutiert Verhältnis zum Populismus.
In Deutschland wie in anderen Ländern Europas feiern rechte Populisten Erfolge. Was kommt da auf Staatsdiener zu, fragten sich Experten der Gewerkschaft der Polizei zwei Tage lang in Berlin.
Es war am Sonntag vor einer Woche. In der Nähe von Alsfeld, das liegt im Vogelsbergkreis, gab es einen tödlichen Verkehrsunfall. Aus bislang ungeklärter Ursache prallte ein Auto gegen einen Baum. Am Steuer, so teilte die Polizei mit, habe ein Kollege vom Polizeipräsidium Osthessen gesessen. Nicht ganz alltäglich ist, dass die zuständige Staatsanwaltschaft einen Unfallgutachter bestellte. Dann kam heraus: Das Landeskriminalamt ermittelte gegen den 36-Jährigen.
So wurde wieder an einen Polizeiskandal erinnert, der im Nichts zu verlaufen scheint. Ende 2018 gerieten 38 hessische Beamte wegen möglicher rechter Umtriebe in Verdacht. Auslöser waren Ermittlungen gegen sechs Beamte des 1. Polizeireviers in Frankfurt am Main, die sich untereinander rassistische Nachrichten geschickt haben sollen. Mehr noch: Es besteht der Verdacht, dass unter ihnen die Urheber jener Drohungen zu finden sind, die jemand der Anwältin Seda BasayYildiz schickte. Unterzeichnet waren sie mit »NSU 2.0«. Man teilte der »miesen Türkensau« mit: »Als Vergeltung schlachten wir deine Tochter.« Um Angst zu schüren, waren Namen wie die Privatadresse angefügt.
Zuvor hatte, so fanden Ermittler heraus, eine im 1. Revier beschäftigte Polizistin per Dienst-PC Daten aus dem Melderegister abgerufen. Die Frau war Teil einer kollegialen WhatsApp-Gruppe. Auf dem Handy der Polizistin entdeckte man ein Hitler-Bild mit rauchendem Schornstein und der Unterschrift: »Umso größer der Jude, desto wärmer die Bude.«
Ein Einzelfall. So wie RechtsdrallVerfehlungen von Polizisten in Berlin, Neubrandenburg, München, Bonn, Hamburg, Cottbus, Hannover, Leipzig … Beamte diskriminieren systematisch Ausländer, hetzten gegen Linke, posten Fotos von sich mit Hitlergruß, fühlen sich als »Reichsbürger« nicht an die Ordnung der BRD-»GmbH« gebunden, kleben Losungen der sogenannten Identitären an Dienstwagen.
Im Bereich der »politisch motivierten Kriminalität rechts« wurden – so die Bilanz 2017 – 20 520 Straftaten erfasst. Wie viele davon Polizisten begangen haben, wird nicht gelistet. Die Zahl wäre auch nicht real, allzu viele werden durch Wegsehen »bearbeitet« oder intern bereinigt. Zudem würden Zahlen nichts über das Klima aussagen, das in den Polizeien der Länder und des Bundes herrscht.
Genau das interessiert die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Sie veranstaltete Ende vergangener Woche in Berlin eine Debatte zum Thema »Populismus – Auswirkungen auf Staat und Gewerkschaft«. Man lud Experten aus Forschung, Wirtschaft, aus der Welt des Fußballs und Journalisten ein und hielt das Thema bewusst offen nach links wie rechts.
Doch aus guten Gründen ging es eigentlich um die AfD. Die Rechtspopulisten stellen sich als Anwalt des »reinen Volkes« wider abgehobene und korrupte Eliten vor, delegitimieren demokratische Institutionen, präsentieren sich als Vertreter von Sicherheit und Ordnung.
Für komplexe Probleme bieten Populisten einfache Antworten, betonte der Sozialpsychologe Alexander Häusler von der Hochschule Düsseldorf und warnte: Die AfD-Führer träumen von einem anderen Land. Das ist nicht jenes, das Polizisten mit ihrem schweren und oft gefährlichen Dienst verteidigen. Ziel der Verführer ist die politische Macht, das Grundgesetz gilt ihnen nur als temporärer Mantel, den man ablegen kann. »Der Tag wird kommen, an dem wir alle Ignoranten, Unterstützer, Beschwichtiger, Befürworter und Aktivisten der Willkommenskultur im Namen der unschuldigen Opfer zur Rechenschaft ziehen werden! Dafür lebe und arbeite ich. So wahr mir Gott helfe!« Diese »christlich« gestützte Drohung hat bereits vor zwei Jahren einer der »Gemäßigten« getwittert: Der AfD-Landeschef von Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, ein einstiger Oberstleutnant der Bundeswehr.
Der Gefahr, dass die GdP-Debatte in eine allgemeine Betrachtung der Gesellschaft abglitt, wehrte Olaf Sundermeyer. Der Reporter vom RBB kennt sich aus in der regionalen rechtsextremen Szene und in vielen Bereichen der Polizei. »Ihre Berufsgruppe«, so spitzte der Medienmann zu, »weist eine sehr deutliche Nähe zu Rechtspopulismus auf.« Er konzedierte, dass Polizisten eine andere Wirklichkeit erleben als »Lieschen Müller«. Und es präge das Bewusstsein von Ordnungshütern, wenn sie von vermeintlich linksrevolutionärer Seite beschimpft und angegriffen werden, während sich Demonstrationsschützer von AfD oder Pegida – Hooligans, Türsteher und andere zumeist kriminelle Typen – als Hilfspolizei empfehlen. Wie einst die SA.
Sind in Debatten über Populismus »Ausflüge« in die düsterste deutsche Zeit angebracht? Sogar sehr, meinte Dr. Dirk Götting von der Polizeiakademie in Niedersachsen, denn: »Auch der Weimarer Republik war ihr Scheitern nicht vorherbestimmt.« Götting meint: Die Nazis liefern mit ihrer Propaganda und ihrer Art, Wählerstimmen zu erringen und die Demokratie zu attackieren, »geradezu die Blaupause für ihre heutige Nachahmer«.
Sundermeyers Beobachtungen etwa in Frankfurt an der Oder, Cottbus, Görlitz, Chemnitz führten zur Erkenntnis, dass nicht wenige Polizisten der Freiheit der Presse kaum, dafür aber der AfD »zugeneigt« sind. Hinterfragt werden muss: Wie tief in den Sicherheitsstrukturen ist die Rechtsaußenpartei verankert? Während die AfD vor dem Kanzleramt »Merkel muss weg« skandieren lässt, schiebt im Gebäude ein Bundespolizeibeamter Dienst, der ein AfD-Parteibuch hat.
So wie in Parlamenten AfD-Abgeordnete mit Bundeswehrvergangenheit sitzen, so haben sich da aktive und ehemalige Polizisten und Vertreter der Justiz festgesetzt. Der rechte Populismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und die AfD befindet sich auf dem Marsch durch die Institutionen. Ist die Vorstellung, dass demnächst etwa in Sachsen ein AfD-Mann Innenminister wird, weit hergeholt? Und was macht das mit dem »Apparat Polizei«? Einen Blick nach Wien warf Yvonne Hofstetter. Österreich zeigt, wie rasch die Koalition aus der bürgerlichen ÖVP und der rechtsextremen FPÖ sicher geglaubte demokratische Positionen ändern konnte. Der »Freiheitliche« Innenminister Herbert Kickl schickte sogar eine ihm gehorsame Polizeieinheit aus, um den österreichischen Verfassungsschutz unter sein Regime zu zwingen.
Polizisten, so Sven Hüber, Vorsitzender des Hauptpersonalrates der Bundespolizei, wühlten zumeist im Bodensatz der Gesellschaft. Umso hellhöriger müsse man werden, wenn in Kollegenkreisen über »Neger« oder »Ölaugen« gehetzt werde. Es dürfe da kein Wegsehen geben, auch nicht, wenn Kollegen sich mit Organisationen gemein machen, die wider das Grundgesetz agieren.
Wie soll eine Gewerkschaft umgehen mit uniformierten Wählern und Mitgliedern der AfD in den eigenen Reihen? Ausgrenzen, rausschmeißen, wie das die Eisenbahnergewerkschaft vor hat? Die Tagungsmehrheit lehnte dies augenscheinlich ab. Auch Stefan Körzell aus der Spitze der Dachgewerkschaft DGB plädierte dafür, das Gespräch mit diesen Kollegen zu suchen und sie durch Argumente »zurückzuholen«. Das Wie blieb bei der Tagung weitgehend offen. Doch, so scheint es: Das Nachdenken darüber hat begonnen. Zumindest in der GdP.
Deutsche Polizisten schützen Rechtsextremisten, manche sind gar selbst Nazis. Derartige Vorwürfe lassen sich – berechtigt oder an den Haaren herbeigezogen – nicht mit dem Hinweis abtun, das seien alles Einzelfälle. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begann eine Debatte über ihr Verhältnis zu politischem Populismus, speziell zur AfD.
In Österreich zeigt sich, wie demokratische Positionen schnell geändert werden.