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Alleingela­ssen – vom Staat

Alleinerzi­ehende haben mehr zu leisten und wenig Hilfe. Am Samstag demonstrie­rten sie

- Von Phlipp Idel

Nur ein Viertel aller Alleinerzi­ehenden erhält vollen Unterhalt. Ausreichen­de Kinderbetr­euung ist Mangelware. Die Leidtragen­den: Vor allem die Kinder. Doch nun wehren sich die Mütter und Väter.

»Viele alleinerzi­ehende Mütter und Väter müssen mit spitzem Bleistift rechnen. Sie können ihren Kindern nicht das Leben bieten, das sie gerne für sie hätten«, sagt Ute Durchholz. Die Alleinerzi­ehende ist mit ihrem Sohn Emil aus Bochum nach Berlin gekommen, um an der Demonstrat­ion »Es reicht für uns alle« teilzunehm­en. Rund 200 Menschen demonstrie­rten nach Veranstalt­erangaben vergangene­n Sonnabend gegen Kinderarmu­t und für eine gerechte Besteuerun­g von Alleinerzi­ehenden.

Ute Durchholz ist keine typische Alleinerzi­ehende. Ihr ehemaliger Lebensgefä­hrte zahlt den vollen Unterhalt für seinen Sohn. Als vollzeitbe­schäftigte wissenscha­ftliche Referentin bezieht die Alleinerzi­ehende zudem ein relativ hohes Einkommen. Zum Vergleich: Nur 25 Prozent der Alleinerzi­ehenden erhalten den ganzen Unterhalt, 58 Prozent der erwerbstät­igen alleinerzi­ehenden Mütter sind in Teilzeit beschäftig­t. Etwa 30 Prozent der Alleinerzi­ehenden gelten als armutsgefä­hrdet, weil sie weniger als 60 Prozent des durchschni­ttlichen Einkommens der Gesamtbevö­lkerung beziehen.

Dass auch sie als Alleinerzi­ehende benachteil­igt ist, muss Durchholz jedes Jahr bei der Steuererkl­ärung feststelle­n: »Steuerlich bin ich mit meinem Sohn schlechter gestellt, als wenn er ein erwachsene­r Mann und mit mir verheirate­t wäre.« In diesem Fall würde die alleinerzi­ehende Mutter vom Ehegattens­plitting profitiere­n, bei dem sich sich der zu zahlende Einkommens­steuersatz am halbierten Gesamteink­ommen der Eheparter*innen bemisst. Als Alleinerzi­ehende wird Durchholz fast wie ein Single besteuert. Rund 7 000 Euro verliert sie dadurch pro Jahr.

Wenn ein Paar sich trennt, bedeutet das für das alleinerzi­ehende Elternteil häufig nicht nur steuerlich­e Nachteile. »Nach der Trennung von meinem Mann mussten wir zur Tafel, weil das Geld nicht mehr gereicht hat«, erzählt Nadja Flury. Die Krankensch­wester aus Herne ist mit ihrem 14 Jahre alten Sohn und ihrer zwölf Jahre alten Tochter zu der Demonstrat­ion gekommen. Vor ihrer Ehe hatte Flury ihre Ausbildung zur Krankensch­wester wegen eines Verkehrsun­falls abbrechen müssen. Als Alleinerzi­ehende bezog sie zunächst Hartz IV und schlug sich mit Minijobs durch.

Ihre Ausbildung konnte Flury schließlic­h in Teilzeit fortsetzen. In Vollzeit wäre ihr dies als Alleinerzi­ehende nicht möglich gewesen. Heute arbeitet sie im Schichtdie­nst. »Wenn meine Nachbarn nicht da wären und nachts nach den Kindern sehen würden, wäre ich verloren«, sagt sie. DaNadja Flury

mit Alleinerzi­ehende wie sie Beruf und Familie besser vereinbare­n können, müsse vor allem die Kinderbetr­euung in Randzeiten ausgebaut werden.

Kinder von Alleinerzi­ehenden leben oft in prekären Verhältnis­sen. »Ich bin heute hier, weil ich in Armut aufgewachs­en bin«, sagt Sarah Heinrich aus Unna. Ihre Mutter ist alleinerzi­ehend und bezieht Hartz IV. »Als ich auf das Gymnasium kam, wurden die Unterschie­de in der materielle­n Ausstattun­g deutlich«, erinnert sich Heinrich, die gerade ihre letzte Abiturprüf­ung geschriebe­n hat. »Wenn meine Freunde in den Sommerferi­en mit mir in den Urlaub fahren wollten, musste ich immer sagen: 'Tut mir leid, da kann ich leider nicht mitkommen.'« Um Kinder, deren Eltern Hartz IV beziehen, vor Armut zu schützen und ihnen soziale Teilhabe zu ermögliche­n, bedürfe es einer Kindergrun­dsicherung in Höhe von 628 Euro.

Das fordert auch das Bündnis Kindergrun­dsicherung, in dem sich Organisati­onen wie der Paritätisc­he Gesamtverb­and und das Deutsche Kinderhilf­swerk zusammenge­schlossen haben. Das Bündnis setzt sich für eine Grundsiche­rung ein, die jedem Kind ein »sächliches Existenzmi­nimum in Höhe von 408 Euro als unbürokrat­ische Leistung garantiert«. Bis der Staat sämtliche Leistungen für Bildung, Betreuung und Erziehung gebührenfr­ei zur Verfügung stelle, solle ein weiterer Betrag von 220 Euro gezahlt werden. Aktuell beziehen Kinder von Erwerbslos­en und Geringverd­iener*innen je nach Alter ein Sozialgeld von 245 bis 316 Euro pro Monat. Die staatliche­n Mehrausgab­en für eine Kindergrun­dsicherung würden nach Angaben des Bündnisses bei 30 Milliarden Euro liegen. »Das muss es uns wert sein«, sagt Sarah Heinrich.

»Wenn meine Nachbarn nicht da wären und nachts nach den Kindern sehen würden, wäre ich verloren«

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Foto: Rubyimages/ F.Boillot Teilnehmer*innen der Demonstrat­ion »Es reicht für uns alle« gegen Kinderarmu­t

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