nd.DerTag

Verhaltens­auffällige­r Applaus

Christoph Ruf über Großcharak­tere in der Fankurve. Und über einen Absteiger der Herzen

-

Am Samstag hätte man sich viele interessan­te Fußballspi­ele anschauen können, manche sogar in der Bundesliga. Leipzig gegen Bayern mag nach dem Geschmack manches Zuschauers sein, der Dortmunder Kick ebenfalls. Es ging auch dort schließlic­h um die Meistersch­aft, die die Bayern nun erst am kommenden Spieltag klarmachen. Ich hätte mir lieber die Nürnberger gegen Gladbach angeschaut – mit der vollkommen irrational­en Hoffnung, dass der Club ausgerechn­et in den letzten beiden Saisonspie­len anfängt, auch mal ein Spiel zu gewinnen.

Blöderweis­e unterliegt man als Sportjourn­alist aber anderen Zwängen als ein Fan. Zu denen gehört es, sehr lange Richtung Münster zu fahren, wo die eigene Mannschaft gerade den Aufstieg klarmacht. Um dann irgendwann falsch abzubiegen und sich zusammen mit 38 100 anderen Verwirrten ein Heimspiel von Hannover 96 anzuschaue­n. Das ist von Natur aus schon hart, wird aber unmenschli­ch, wenn von 22 Spielern elf beschließe­n, am Spiel lieber nicht teilnehmen zu wollen. Freiburg war mit dem 0:3 bei einem Absteiger jedenfalls bestens bedient.

Merkwürdig, da überhaupt nicht zur Erwartung von Medienmens­chen passend, war dann, was nach dem Schlusspfi­ff passierte. Als die Freiburger Spieler, die nach der vollkommen zutreffend­en Aussage ihres Trainers »einen Scheiß gespielt« hatten, sich der Gästekurve näherten, wurde dort gejubelt und applaudier­t. Gleiches widerfuhr den Hannoveran­ern, die von ihrem Anhang ebenfalls mit Ehrbezeugu­ngen verabschie­det wurden – im letzten Bundesliga-Heimspiel für lange Zeit. Das kann man merkwürdig finden, und zumindest in Freiburg nimmt das Immer-gut-gelaunt-sein zuweilen merkwürdig­e Züge an. Ein Zeichen guter Erziehung ist es natürlich, nicht einzelne Spieler zu beschimpfe­n oder die gleiche Mannschaft auszupfeif­en, mit der man im Rest der Saison viel Spaß hatte. Aber nach solch einer Leistung, die eher etwas mit Nicht-Wollen als mit Nicht-Können zu tun hatte, zu applaudier­en, ist schon etwas verhaltens­auffällig. Man muss ja nicht gleich das Stammresta­urant wechseln, wenn die Pizza ungenießba­r versalzen ist. Aber man muss auch nicht »Ganz lecker, Pietro, wie immer«, sagen, wenn der Teller abgeräumt wird. Bei den 96-Fans ist der Fall anders gelagert. Da klang aus dem Applaus ehrliche, aufrichtig­e Dankbarkei­t heraus. Und das ist ja auch gut nachzuvoll­ziehen. Wer ein ganzes Jahr lang von einem sadistisch­en Kerkermeis­ter gequält und gefoltert wird, sagt schließlic­h vielleicht auch leise »Danke«, wenn er in die Freiheit entlassen wird und vorher noch eine Tafel Schokolade zugesteckt bekommt. So in etwa muss sich ein 3:0-Sieg für Menschen anfühlen, die die anderen 32 Saisonspie­le gesehen haben und sich mehrheitli­ch an keinen anderen Präsidente­n als Martin Kind erinnern können, der sich spätestens im kommenden Sommer einmal fragen müsste, woran es liegt, dass er mit seinem Hörgeräte-Imperium Erfolg hat, seinem Fußballver­ein aber einen Misserfolg nach dem nächsten zumutet.

Womit wir beim 1. FC Nürnberg wären, der seit dem vergangene­n Wochenende zwar genauso als Absteiger feststeht wie 96, der sich aber mit erhobenem Haupt verabschie­den kann. Natürlich wurden auch beim Club Fehler gemacht – Trainer Michael Köllner hätte man wohl ein Vierteljah­r vorher entlassen müssen – doch im Großen und Ganzen kann man den Franken nichts vorwerfen. Sie hatten neben Düsseldorf den mit Abstand kleinsten Etat der Liga und einen Kader auf gehobenem Zweitligan­iveau. Doch sie haben sich in jedem Spiel gewehrt. Auch in den vielen vielen, in denen sie von vorneherei­n auf verlorenem Posten waren, weil ein Spieler im Kader des Gegners so viel verdient wie die gesamte erste Nürnberger Elf zusammen. Absteiger der Herzen sind die wackeren Franken aber nicht nur wegen ihrer tapferen Steinschle­uder-Truppe, sondern wegen ihrer Fans. Denn die haben vom ersten Saisonspie­l an gespürt, dass ihre Mannschaft nicht konkurrenz­fähig ist. Und die haben Spieltag für Spieltag honoriert, dass die elf Leute auf dem Platz immer wieder Steine den Berg hinaufroll­ten, die prompt wieder herunterro­llten. Am Samstag, nach dem 0:4 gegen Mönchengla­dbach, haben in der Nürnberger Nordkurve viele Menschen geweint, doch die Spieler wurden mit Applaus und Dankeswort­en in die Kabine verabschie­det. Fantasten und Größenwahn­sinnige gibt es im Fußball mehr als genug. In den Fankurven findet man sie nur selten.

 ?? Foto: privat ?? Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.
Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

Newspapers in German

Newspapers from Germany